Das Paradies der gepanzerten Riesen

Das Paradies der gepanzerten Riesen Foto: Christina Nover

Schildkröten und die sinnliche Coco de Mer haben auf der Insel Curieuse im Indischen Ozean ihre Heimat. Unsere Redakteurin Christina Nover war auf den Seychellen unterwegs.

Lesezeit: 7 Minuten
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Von unserer Redakteurin Christina Nover

Nummer 14 liegt am Strand von Curieuse und blickt auf die Wellen, die stetig an Land rollen. Die Sonne verleiht dem Wasser seine typische, türkise Färbung, doch am Horizont ziehen Wolken herauf. Nur einige wenige Hundert Meter von der Insel entfernt liegt die „Sea Pearl“ vor Anker. Die Masten des historischen Seglers schwanken im Rhythmus der Dünung, kräftige Windböen lassen Seile und festgezurrten Stoff flattern. Die „Sea Pearl“ ist schon am Vorabend angekommen, mit geblähten Segeln pflügte sie von Praslin aus über Schaumkronen heran bis in die Bucht von Curieuse. Seit den frühen Morgenstunden ist die Crew dabei, die Vorbereitungen für den heutigen Ausflug zu treffen. Um 8.30 Uhr klang das Frühstücksläuten bis zu Nummer 14 herüber. Nun sitzen Passagiere an Deck und warten mit gepackten Rucksäcken – die Gesichter der Sonne entgegengestreckt, die schon jetzt mit voller Kraft vom Himmel strahlt. Einer nach dem anderen steigt in das Beiboot, das neben der „Sea Pearl“ angebunden wurde und heftig schwankt. Kurz darauf werden die Seile gelöst und das Boot nimmt Kurs auf die Insel.

Nummer 14 reckt den Hals, und weiße Sandkörner fallen zurück auf den Boden. Wenige Minuten später ist die Ruhe vorbei, denn die Riesenschildkröte mit der gelben 14 auf dem Rücken wird von den ankommenden Besuchern umringt. Erst beäugen sie das Reptil aus sicherer Entfernung, dann rücken sie näher. Lassen ihre Hände über den dicken Panzer streichen und lächeln für das Erinnerungsfoto. Nummer 14 lässt das alles über sich ergehen. Es ist der Preis dafür, dass er an diesem Strand der Einzige seiner Art ist. Der Rest befindet sich vor allem auf der anderen Seite der Insel – dort werden die Schildkröten gehegt und gepflegt und sind die Attraktion von Curieuse. Jedes Jahr kommen Hunderte Besucher auf die mit 2,85 Quadratkilometern fünftgrößte Insel der Seychellen, um die Aldabra-Riesenschildkröte zu sehen. Über 200 der Reptilien leben heute auf der Insel – mehr gibt es nur auf Aldabra selbst, das zu den „Outer Islands“ gehört und mehr als 1000 Kilometer entfernt liegt.

Der Curieuse Marine National Park wurde 1979 gegründet – da war Nummer 14 schon an die 100 Jahre alt. So genau wissen es nicht mal die Ranger, die auf der Insel arbeiten. Eine junge Frau krault Nummer 14 am Hals, und er kann nicht anders – sein Hals wird immer länger, bis sich die schrumpelige Haut spannt. Genüsslich schließt er die Augen. Als der Besuch auch noch eine Banane herausholt, ist es mit der Langsamkeit der Schildkröte vorbei. Ungeduldig öffnet er das Maul und entblößt zwei Reihen von kleinen Zähnen, mit denen er in die Schale beißt. Mehrere Früchte verschlingt er so zur Freude der Umstehenden. Bis die ersten Regentropfen vom Himmel fallen und sich die Menschen unter das schützende Blätterbach retten. Nummer 14 hat keine Probleme mit dem Schauer. Das Wasser prasselt auf seinen Panzer, während sich die Schildkröte wieder in den Sand legt.

Entdeckungsreiche Wanderung durch den Mangrovenwald

Ein paar Minuten später ist der Regenguss wieder vorbei, und die Passagiere der „Sea Pearl“ machen sich auf den 1,7 Kilometer langen Weg über die Insel bis zum Lager der Schildkröten. Über Felsen, Holzstege und matschigen Untergrund geht es durch den Mangrovenwald. Immer den Schildern nach. Echsen wuseln durchs Unterholz, vereinzelt zwitschern Vögel. Der schwarze Papagei, den es nur auf zwei Inseln auf den Seychellen geben soll, lässt sich jedoch nicht blicken. Dort, wo die exotischen Bäume eng stehen und gelb-schwarze Spinnen ihre Netze gespannt haben, lässt die schwüle Hitze die Wanderer schwitzen. Kaum öffnet sich das Land zur See hin, entlockt ihnen der Wind verzücktes Seufzen. Löcher im Boden ziehen die Aufmerksamkeit der Frauen und Männer auf sich. Im Augenwinkel sehen sie, wie kleine Krebse sich fluchtartig darin zurückziehen, sobald die Menschen in ihre Nähe kommen. Je weiter die Gruppe geht, desto größer werden die Löcher und desto häufiger lassen sich auch große, mit kräftigen Scheren bewaffnete Krebse sehen, deren orangebraune Panzer im Sonnenlicht leuchten. Auf den sandigen Flächen führen grünliche Artgenossen Tänze auf, seitwärts flitzen sie herum und kämpfen um die besten Behausungen.

Regenschauer bringen Abkühlung für Mensch und Schildkröte

Einige britische Besucher kommen den Passagieren der „Sea Pearl“ entgegen. „Ist es noch weit?“, fragt eine, und sie bekommt zur Antwort: „Noch ein bisschen, aber es lohnt sich wirklich.“ Dadurch angespornt, wird weitergekraxelt, bis sich zur Rechten schwarze Steinformationen auftürmen. Die Granitformationen der „Inner Islands“ sind beliebte Fotomotive. So auch hier, wo der dunkle Fels einen harten Kontrast zu den verschiedenen Blautönen des Indischen Ozeans bietet, der dahinter schimmert. Wolkentürme bauen sich auf und kündigen einen weiteren Regenschauer an. Bald rollen die ersten Tropfen an Palmenwedeln hinab, und gerade rechtzeitig erreichen die Deutschen die große Überdachung am Strand. Überall liegen große und kleine Schildkröten auf dem Gelände der paradiesischen Bucht. Nummer 72 robbt zum Strand, Nummer 90 knabbert an Algenbüscheln, und Nummer 13 hat die Augen geschlossen und schläft. 2013 gab es einen Zensus auf der Insel, dabei wurden die erwachsenen Landschildkröten elektronisch markiert und mit entsprechenden Nummern versehen. Einige der etwa 100 Schildkröten, die rund um die Rangerstation leben, haben auch Namen – wie zum Beispiel Tyson, Cobra oder McGregor, der der größte von allen ist.

Sobald die Sonne den Himmel zurückerobert hat, streifen auch die Gäste der „Sea Pearl“ über die Fläche, auf der sich die Schildkröten tummeln. In einem Gehege macht der Nachwuchs seine ersten Schritte, hier sind sie geschützt vor Fressfeinden. Im Gegensatz zu Wasserschildkröten legen die Landschildkröten weniger Eier ab – etwa ein bis drei Gehege mit fünf bis 25 tennisballgroßen Eiern. Eine Tafel zeigt bildlich, wie männliche und weibliche Landschildkröten zu unterscheiden sind. Unter anderem sind die Männchen größer und haben einen längeren Schwanz, die Weibchen längere Fußnägel an den Hinterbeinen und einen ebeneren Panzer.

Nummer 14 am Strand von Curieuse.

Christina Nover

Der Blick hinab in die Bucht

Christina Nover

Auf Holzstegen geht es durch den Mangrovenwald.

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Krabben tummeln sich am Wegesrand.

Christina Nover

Auf Sandflächen kämpfen die Tiere um die besten Behausungen.

Christina Nover

Diese Felsformationen sind typisch für die Inseln der Seychellen.

Christina Nover

Die Riesenschildkröten auf Curieuse fressen fast alles, was ihnen vor die Schnauze kommt. Sie versuchen es zumindest.

Christina Nover

Wer hundert Jahre alt wird, der hat sich sein Nickerchen auch verdient.

Christina Nover

Diese Schildkröte will mal riesig werden.

Christina Nover

Die Coco de Mer-Palme hat ihren Namen bekommen, weil man früher dachte, die angespülten Früchte kämen von Palmen, die am Meeresgrund wachsen würden.

Christina Nover

Männlich und weiblich – ein Vergleich.

Christina Nover

Christina Nover

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Eidechsen huschen durchs Unterholz.

Christina Nover

Sieht gefährlich aus, macht aber nichts.

Christina Nover

In einer Hütte liegen Exemplare der berühmten Coco de Mer, die Frucht eines Kokosnussbaumes, der nur auf Curieuse und der größeren Insel Praslin heimisch ist. Im Vallé de Mai können Seychellenurlauber bei einer Führung durch das Unesco-Weltkulturerbe erfahren, was es mit der Meereskokusnuss auf sich hat. Als Seefahrer zum ersten Mal die seltsam geformte Nuss zu Gesicht bekamen, soll ihnen ganz warm geworden sein. Es braucht nicht viel Fantasie, um einen Vergleich zum weiblichen Unterleib herzustellen. Neben ihrer erotischen Ausstrahlung weckte auch die unbekannte Herkunft das Interesse der Finder. Die Nüsse wurden von den unbewohnten Inseln durch Wind und Meer über viele Meilen hinweg getragen. Man vermutete einen Baum unter Wasser, Vulkane, die die Früchte an die Oberfläche spuckten, und Riesenvögel, die als Bewacher dafür sorgten, dass niemand das Schauspiel miterlebte. In England wurden horrende Summen für Exemplare der Coco de Mer bezahlt, mit Gold und Edelsteinen verziert wurden sie zu wahren Schmuckstücken. Der Hype endete erst, als die Inseln mit den entsprechenden Bäumen entdeckt und die Nüsse ladungsweise nach Europa gekarrt wurden.

Doch auf den Seychellen blieb die Faszination für die seltsamen Nüsse. Lange Zeit war nicht klar, wie sich die Bäume fortpflanzen. Es wurde gemunkelt, dass sich die männlichen Palmen in besonders stürmischen Nächten zu ihren weiblichen Gegenstücken hinüberbeugten. Auch das bekam nie jemand zu sehen – jeder Beobachter wurde den Geschichten nach vom Schlag getroffen. Mittlerweile ist auch dieses Rätsel gelöst, und die Coco de Mer wurde zum Staatssymbol. Überall trifft man auf sie – in Form von Souvenirs, aber auch der Stempel im Reisepass hat die Form der Nuss. Ein Original mitzunehmen, geht jedoch nur mit Zertifikat – für ein solches Geschenk für Daheimgebliebene zahlen Gäste 150 bis 300 Dollar, je nach Form. Das Gelee, das die Coco de Mer in frühen Reifephasen enthält, soll köstlich sein. Aufgetischt wird es jedoch nur zu ganz besonderen Anlässen, ansonsten ist das Aufbohren der Nüsse streng verboten.

Den Schildkröten von Curieuse ist die Aufregung um die Nüsse in ihrer Heimat fremd. Da fressen sie lieber die Mitbringsel der Gäste und freuen sich über alles, was vom Barbecue abfällt. So hat auch Nummer 14 am Mittag seinen Posten am Strand verlassen und hat sich zu einer Hütte begeben, unter der die Crew der „Sea Pearl“ für ihre Gäste das Essen aufgebaut hat. Auf einem schwarzen Rost wartet ein gegrillter Fisch, auf Tischen Kartoffeln, Salat und Brötchen. Nummer 14 reckt den Hals, und die junge Seychellois, die am Büfett wartet, hat ihre Mühe, das Reptil von den lecker duftenden Leckereien fernzuhalten. Schließlich fällt doch eine Kleinigkeit ab, und die Landschildkröte zieht sich ins Gebüsch zurück, um es sich dort zum Mittagsschläfchen gemütlich zu machen. Einige Stunden später geht es für die Segler der „Sea Pearl“ zurück aufs Schiff. Ein letzter Blick auf das Eiland in der blauen See und seinen gepanzerten Bewohner, und schon ist der Ausflug vorüber. Während sie in den nächsten Tagen andere Inseln sehen werden, in Buchten schnorcheln und irgendwann ins nasse Deutschland zurückkehren, bleibt Nummer 14 an Land und wartet auf neue Gäste, die ihn am Hals kraulen und Bananen ins sandige Maul schieben.

Weitere Informationen zu Curieuse gibt es im Internet unter www.snpa.sc/marine-parks/curieuse