London

Oberste Hüter des Londoner Towers: So ist mein Leben hinter den Mauern

Alan Kingshott, Chef der königlichen Leibwache im Tower of London.
Alan Kingshott, Chef der königlichen Leibwache im Tower of London. Foto: Alexei Mkartsev

Es ist eine eigene Welt, so groß wie zehn Fußballfelder, abgeschirmt vom Trubel Londons durch dicke Mauern und bevölkert von 120 Menschen. 37 von ihnen sind in der ganzen Welt bekannt. Die in prächtige Uniformen gekleideten Yeoman Warders wachen über die königliche Festung Tower of London. Ihr Chef verrät hier, wie es dort nach Feierabend zugeht.

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Sie sind verantwortlich für Schätze von unermesslichem Wert – die Kronjuwelen der Queen. Und sie sind touristisches Aushängeschild, die Wächter im Tower. Dort wohnen die als „Beefeaters“ bekannten Ex-Militärs auch mit ihren Familien. Sie führen täglich unterhaltsame Touren durch das Gemäuer, das Schauplatz von Intrigen, Triumphen, Folter und Tod war. „Send him to the tower!“, war früher eine der am meisten gefürchteten Strafen – für Alan Kingshott war es eine Ehre. Der Chief Yeoman Warder hat unserem Londoner Korrespondenten Alexei Makartsev erzählt, was in der Touristenattraktion passiert, wenn sich hinter den letzten Besuchern die Türen schließen:

"Ich wache meistens um sieben Uhr auf. Meine Frau muss als Erste los, sie bewacht im Jewel House die Kronjuwelen der Queen. Wir leben in einem Appartment aus dem 12. Jahrhundert, darunter ist ein Zimmer mit einem versteckten Loch im Boden, durch das man mögliche Angreifer der Festung mit kochendem Wasser übergießen könnte. Das machen wir im Tower aber schon lange nicht mehr.

Um acht Uhr treffe ich meinen Stellvertreter. Er heißt offiziell Yeoman Gaoler, früher waren das die Tower-Wachen, die sich um die Gefangenen gekümmert haben. Wir besprechen den neuen Tag, anschließend muss ich im Büro viele E-Mails beantworten. Ich kümmere mich um die Medien-Anfragen, organisiere die Fototermine und teile mein Personal ein.

Einst gefürchtete Wächter, heute beliebte Touristenattraktion – aber mit militärischer Laufbahn.
Einst gefürchtete Wächter, heute beliebte Touristenattraktion – aber mit militärischer Laufbahn.
Foto: Alexei Makartsev
Mit mir leben im Tower 37 Beefeater im Durchschnittsalter von 50 Jahren. Jeder von uns hat mindestens 22 Jahre beim Militär verbracht. Als Chief Warder gehe ich bei festlichen Anlässen mit meinem Amtsstab voran, der Gaoler folgt mit der Axt. Wir haben noch fünf Yeoman Sergeants mit jeweils acht Warders, den Clerk, der für die Königliche Kapelle verantwortlich ist und den Raven Master, der sich um unsere Vögel kümmert. Ich kann die Raben nicht leiden, seit mich einer von ihnen ins Gesicht gepickt hat. Aber nun ist er tot.
Die Yeoman Warders sind die zeremonielle Leibwache der Queen. Sollte uns Ihre Majestät mit einem Besuch beehren, sind wir für den rituellen Empfang im Tower zuständig. Dazu präsentieren wir der Königin einen goldenen Schlüssel, und sie legt symbolisch ihre Hand darauf. Die modernen Beefeater müssen nicht länger den Tower vor Feinden verteidigen können. Wir haben ohnehin keine Waffen. Trotzdem müssen wir fit sein. Denn die Führungen können in heißen Sommern sehr anstrengend sein.


Ich habe in einem Panzerregiment, den Royal Husars, gedient. Von 1982 bis 1990 war ich auf der Militärbasis Fallingbostel in Deutschland stationiert, es war eine tolle Zeit. 1992 verließ ich die Armee, um Direktor in einem Warenmarkt zu werden. Ein Freund von mir hat damals im Tower gearbeitet. Eines Tages sagte er: „Wir haben eine Vakanz hier. Willst du dich nicht bewerben?“

Vor den Olympoischen Spielen in London: Alan Kingshott mit dem Olympischen Feuer.  Vom 20. auf den 21. Juli 2012 stand die Flamme dort unter allerbester Bewachung, ehe die Reise weiter ging.
Vor den Olympoischen Spielen in London: Alan Kingshott mit dem Olympischen Feuer. Vom 20. auf den 21. Juli 2012 stand die Flamme dort unter allerbester Bewachung, ehe die Reise weiter ging.
Foto: dpa
Ich war glücklich, als sie mich nahmen. Wie alle Neulinge musste ich der Queen meine Treue schwören. Wir haben auch ein eigenes Aufnahmeritual. Jemand spricht den Toast: „Mögest du nicht als Yeoman Warder sterben“, und man stößt darauf an. Nach einem Jahr kriegt man die rotgoldene Paradeuniform, die etwa 3 500 Pfund kostet.
Der Chief Warder ist kein leichter Job. Ich bin zuständig für die Sicherheit, die Verwaltung und muss über alles informiert sein, was im Tower geschieht. Jeden Nachmittag plane ich die Touren, Präsentationen und Zeremonien. Wie etwa das abendliche Schlüssel-Ritual, das in der Festung seit 700 Jahren stattfindet. Aus Zeitmangel mache ich selbst nicht mit. Aber manchmal begleite ich eine Gruppe von behinderten Kindern, und wir schauen uns die Show gemeinsam an. „Wo bewahren Sie die Schlüssel auf?“, werde ich gefragt. Daraufhin sage ich: „Welche Schlüssel? Wir haben hier 90 Millionen davon“. Das ist natürlich geheim. Nur so viel: Die Schlüssel für die Ceremony of the Keys passen zu zwei Türen und liegen an einem sehr sicheren Ort.

Klein, aber fein – Wohnungen im Tower of London. In der alten Festung leben 40 Familien, manche auch mit Haustieren.
Klein, aber fein – Wohnungen im Tower of London. In der alten Festung leben 40 Familien, manche auch mit Haustieren.
Foto: Alexei Makartsev
Es ist wunderbar, im Tower zu leben. Aber auch komisch. Man fühlt sich nicht in London, denn du verbringst die meiste Zeit hinter diesen Mauern, wie in einem Gefängnis. Manchmal bin ich so beschäftigt, dass ich die Festung tagelang nicht verlasse, dann weiß ich nicht, was sich draußen abspielt. Wir sind 40 Familien mit einem Dutzend Hunde und ein paar Papageien. Es gibt hier einen Arzt und einen Pub.

Wir sind stolz darauf, alte Traditionen am Leben zu erhalten. Es ist sehr wichtig: Der Tower lockt Menschen aus der ganzen Welt an, mit den Eintrittsgeldern wird der Unterhalt der Festung bezahlt. Die königlichen Leibwachen sind zugleich Historiker und Erzähler. Sie müssen viel wissen, um drei mal täglich vor unterschiedlichen Gruppen humorvoll die englische Geschichte aufleben zu lassen. Natürlich werden wir auch müde vom Rummel. An manchen Tagen sind hier 15 000 Menschen. Sie machen Millionen Fotos und stellen ebenso viele Fragen. Ich kann oft nicht vom Büro zur meiner Wohnung gehen, ohne ständig angehalten zu werden. Aber das gehört zum Job.

Wenn die Besucher weg sind, üben wir die Schlüssel-Zeremonie oder ich begleite Geschäftsleute, die hier Parties feiern. Um zu relaxen, spiele ich gerne Golf. Ich mag es auch, zu gärtnern uns mit meiner Frau Balltänze zu tanzen. Und wir reisen viel, am liebsten nach Deutschland.

Die Touren mit den Yeoman Warders oder “Beefeaters” sind ein touristisches Highlight im Tower of London.
Die Touren mit den Yeoman Warders oder “Beefeaters” sind ein touristisches Highlight im Tower of London.
Foto: Alexei Makartsev
Ich werde manchmal gefragt, ob es bei uns Geister gibt. Aber sicher! Eine unheimliche Gestalt kommt sogar jede Nacht zu mir ins Bett. Sie sieht genau so aus wie meine Ehefrau. Im Ernst: Es gibt viele Erzählungen von quietschenden Türen, aber wir leben nun einmal in alten Gebäuden und sie machen komische Geräusche. Ich mag lieber die wahren Tower-Geschichten. Manche handeln von Touristen, die den Beefeaters verrückte Fragen stellen. Etwa diese hier: „Auf welcher Seite der Themse ist die Tower Bridge?“ Auf beiden natürlich!*