Zu Fuß über die Alpen: Immer dem Ü nach

Vom Tegernsee bis nach Sterzing in Südtirol geht der Wanderer auf leichten 
bis mittelschweren Wegen. Unser Autor Ulf Steffenfauseweh hat es ausprobiert.

Lesezeit: 6 Minuten
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Die Ausblicke, die die Wanderer bei der Alpenüberquerung erwarten, sind oft atemberaubend. Das Bild entstand in den Zillertaler Alpen zwischen Hochfügen und Mayrhofen.

Ulf Steffenfauseweh

Georg Pawlata hat die Alpenüberquerung für Genusswanderer ausgearbeitet.

Ulf Steffenfauseweh

Bei der Alpenüberquerung geht es nicht nur durch die Berge, sondern auch an zwei wunderschönen Seen vorbei: Entlang des smaragdgrün schimmernden Achensees muss an Tag 3 auf dem Pfad zur Geisalm sogar ein wenig gekraxelt werden. Und bei der Auftaktetappe auf dem Tegernseer Höhenweg gibt's nicht nur tolle Aussichten, sondern mit dem Braustüberl Tegernsee eine besonders urige Rastmöglichkeit. Wer statt Haxe lieber Schnitzel mag, darf sich auf Etappe 4 freuen, wenn in der Zillertaler Alpen die Loas-Alm auf dem Weg nach Hochfügen passiert wird.

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Von unserem Redakteur Ulf Steffenfauseweh

Ach, Achenkirch. Du Schlauch. Der Dauerregen an diesem Tag ist egal. Wie die Eiszapfen an der urigen Blaubergalm taugt er mehr für spätere Heldengeschichten, als dass er wirklich stört. Selbst dass Wolken und Nebel den als wunderschön gepriesenen Blick ins bayerische Voralpengebiet verhängen, macht an diesem Tag wenig. Nur Achenkirch, der Schlauch, er zehrt. Nach rund 20 Kilometern in den Beinen, davon 850 Meter hinauf und 800 Meter hinunter, zieht sich der Ort immer weiter an der Straße entlang. Gummi.

Nur wollte das vorher keiner glauben. In der Wegbeschreibung hieß es, dass es vom Ortseingang bis zum Hotel noch einmal fünf Kilometer sind. Das wird nonchalant ignoriert. „Vier Kilometer bis Achenkirch“ zeigt der Wegweiser am offiziellen Zielpunkt der Etappe. „Das schaffen wir locker.“ Als es dann doch neun Kilometer werden, fluchen einige auf den verpassten, weil nur einmal nachmittäglich fahren Bus, viel mehr aber auf die eigene Entscheidung, nicht doch die in der Beschreibung angegebene Taxinummer gewählt zu haben.

Dass die letzten Meter in Achenkirch schwer sind, ist aber schnell vergessen, und das nicht nur, weil diese Tour nach Tag zwei auch vom Wetter her ein einziger Traum werden soll. An diesem Abend reicht es schon, dass das frisch gezapfte Bier zum Abendessen nach 26 Kilometern einfach noch besser schmeckt als nach 17.

„Der Weg ist das Ziel“, sagt man, und da ist etwas dran. Hier aber ist es mehr: Es geht auch ein bisschen um Selbstbestätigung. „Ich schaff das“ – und gemeint ist damit vor allem das Ziel: Denn wer am Ende der siebentägigen Wanderung in Sterzing ankommt, hat zu Fuß die Alpen überquert. Hannibal lässt grüßen!

Dabei ist die neu ausgearbeitete Wegstrecke vom Tegernsee bis nach Südtirol vergleichsweise einfach. Wer von Gmund aus immer dem „Ü“ auf den Wegweisern folgt, muss kein Topsportler sein wie auf dem berühmten Fernwanderweg E5 von Oberstdorf nach Meran. Die Alpenüberquerung hat pro Tag nie mehr als 900 Höhenmeter, die Gehzeiten liegen zwischen vier und sechs Stunden – wenn man der Beschreibung folgt. Außerdem muss man nicht in den Lagern der Berghütten mit 20 weiteren (schnarchenden) Wanderern schlafen, sondern kann sich in bequemen Hotels mit Sauna einquartieren. Das Gepäck kann man sich von Unterkunft zu Unterkunft bringen lassen. Geführte Touren sind möglich, auch wenn es nicht gerade kompliziert ist, den richtigen Weg zu finden. Meist gibt es gar nicht viele Möglichkeiten, und die sind gut ausgeschildert und beschrieben.

„Ich sage nicht, dass man keine Kondition haben muss, aber durchschnittlich trainierte Wanderer schaffen es gut“, ist Georg Pawlata überzeugt. Er hat die Wegstrecke ausgearbeitet. Und der 41-Jährige kennt sich aus, vor allem in seinem Tirol. In Innsbruck geboren und noch immer dort lebend, haben seine Eltern ihn schon mit fünf oder sechs Jahren „auf den Berg mitgenommen“, wie er sagt.

Später, nach seinem Geografiestudium, hat er am Adlerweg mitgearbeitet. Um die Strecke auszuschildern und GPS-Daten zu erfassen, ist er jede Etappe des 413 Kilometer langen Weitwanderweges mindestens zwei Mal gelaufen. Einmal sogar, wie er auf Nachfrage leicht zögernd zugibt, drei Etappen an einem Tag. Diesen Maßstab hat er für den Weg von Gmund nach Sterzing nicht angelegt.

Vielmehr wollte er Hobbywanderern, die sonst am Wochenende auf Traumpfaden, Rhein-Steig, Wäller-Touren und ähnlichen Mittelgebirgswegen unterwegs sind, eine Alpenüberquerung ermöglichen. „Das Ziel haben viele. Aber der E5 ist schwierig, dafür muss man schon ein ordentlicher Bergsteiger sein. Da überschätzen sich viele, und dann passiert etwas“, weiß er.

Und doch funktioniert er. Weil Wandern das Großelternimage mit Knickerbocker und Stab abgelegt hat. Wandern boomt. Ungefähr 13 000 sind den E5 vergangenes Jahr gelaufen, auf dem berühmten Jakobsweg pilgern sogar noch viel mehr. „Da gehen Millionen, obwohl der teilweise gar nicht so schön ist“, meint Pawlata und erklärt, dass ihn das auf die Idee gebracht hat, nach einem Weg zu suchen, der die Komponenten Ziel, Machbarkeit und Komfort verbindet. Gefunden hat er einen Weg, der bei der Landschaft keine Abstriche macht. Pawlatas Alpenüberquerung besticht vor allem durch die tolle Abwechslung zwischen Etappen im (Hoch-)Gebirge und zwei Wegen entlang von Seen.

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Wer sich in Koblenz oder Umgebung früh morgens ins Auto setzt und nach circa sechs Stunden in Gmund ankommt, hat noch genug Zeit, um die Auftaktetappe entlang des Tegernsees zu schaffen. Die ist – je nach Hotelstandort – zwischen 6 und 22 Kilometern lang, hat keine nennenswerten Steigungen und führt größtenteils über den Tegernseer Höhenweg. Genau richtig, um sich nach der Fahrt die Beine zu vertreten und beim lockeren Einlaufen tolle Blicke auf den See zu genießen. Und wenn dann bei der Einkehr im urigen Braustüberl Haxe und Helles auf dem Tisch stehen, ist der Wanderer spätestens im Urlaub angekommen.

Auch wenn es schwer fällt: Richtig versacken sollte man nicht. Denn an Tag zwei steht die konditionell anspruchsvollste Etappe auf dem Programm. Hinter Wildbad Kreuth geht es hoch in die Blauberge. Die kleine Alm, die eine Tiroler Bauernfamilie auf dem Gipfel ausschließlich mit selbst hergestellten Produkten führt, ist dabei ein echter Treffpunkt für Alpenüberquerer. Man lernt sich kennen, man versteht sich.

An Tag drei steht dann eine „Ausruhetappe“ auf dem Programm, wobei die auf dem ersten Drittel laut Pawlata sogar das technisch anspruchsvollste Teilstück der Tour beinhaltet. Es geht über einen felsigen Weg am Achensee entlang zur Geisalm, die man von dieser Seite aus nur per Schiff oder eben zu Fuß erreichen kann. Nach einem Stopp mit Traumblick auf das smaragdgrün schimmernde „Tiroler Meer“ geht es über Pertisau mit seinem kleinen Steinölmuseum weiter nach Maurach am anderen Ende des Sees. Wenn es das Wetter zulässt, gibt es hier unterwegs auch Bademöglichkeiten.

Wem auf diesem Stück zu viel Trubel war, der freut sich, wenn es am nächsten Tag mit Bus und Seilbahn in die Zillertaler Alpen geht, wo er höchstens noch Kuhglocken hört und selten anderen Wanderern begegnet. Dafür gibt es an den nächsten beiden Tagen auf Höhen um die 2000 Meter Heidel- und Preiselbeersträucher, kleine eiszeitliche Seen, traumhafte Ausblicke und Zirben. Das Holz aus diesen Kiefern, die man daran erkennt, dass bei ihnen nicht zwei Nadeln ein Büschel bilden wie bei den Latschen, sondern fünf, wird gern für Möbel verarbeitet. Angeblich soll sich Zirbenholz in Betten so beruhigend auswirken, dass sich das Herz 3500 Schläge und damit rund eine Stunde Arbeit am Tag spart. „Ein schöne Studie“, sagt Georg Pawlata grinsend.

Nach einer Übernachtung in dem während der Sommermonate ziemlich verwaisten Wintersportort Hochfügen geht es am folgenden Tag aufs Sidanjoch und zum Mitterwandskopf. Dabei passiert man den mit 2280 Metern höchsten Punkt der Tour, ehe es knieschonend per Bus hinunter nach Mayrhofen geht.

An Tag sechs schließlich geht es über den Alpenhauptkamm und nach Italien. Da aber auch hier ein Stück Busfahrt auf dem Programm steht und der Steig komfortabel ist, kann der Wanderer den Weg genießen, ohne sich zu verausgaben. Das gilt auch für den finalen Tag, an dem es an urigen Bauernhäusern und typischen Südtiroler Steinkirchen vorbei meist flach oder bergab ins pittoreske Sterzing geht. Der Weg und das Ziel sind erreicht: Hannibal ante portas!

Wissenswertes für Reisende

Anreise: Von Koblenz nach Gmund sind es 560 Kilometer. Mit der Bahn geht es über München, von wo es noch eine Stunde dauert.

Zielgruppe: Die Alpenüberquerung ist geeignet für Genusswanderer, die durchschnittlich trainiert sind. Die Etappen sind leicht bis mittelschwer. Entsprechende Kondition vorausgesetzt, ist sie für Wanderer zwischen 7 und 70 Jahren geeignet.

Zeit: Die Strecke ist von Mitte Juni bis Anfang Oktober gefahrenfrei begehbar.

Service: Ein Gepäcktransport von Hotel zu Hotel sowie ein Shuttle von Sterzing zurück nach Gmund können gebucht werden. Es gibt zudem die Möglichkeit, an einer geführten Wanderung teilzunehmen. Weitere Infos: www.die-alpenueberquerung.de

Unterkunft: Drei- bis Vier-Sterne-Hotels sind in allen Etappenzielorten vorhanden.

Unser Autor hat übernachtet in den Hotels Bachmair Weissach (Weißach), Achentalerhof (Achenkirch), St. Georg zum See (Maurach), Almhof (Hochfügen) und Zillertalerhof (Mayrhofen). Die Reise wurde unterstützt von den Tourismusverbänden Tegernsee/Schliersee, Achensee, Zillertal und Sterzing.