Vorhang auf

In Hamburg spielt die Musik

Zwei, die ohne einander nicht können: Der Dschinni hilft Aladdin, zu sich selbst zu finden.
Zwei, die ohne einander nicht können: Der Dschinni hilft Aladdin, zu sich selbst zu finden. Foto: Stage Entertainment

Neben Hafen und St. Pauli sind die Musikbühnen ein beliebtes touristisches Standbein der Hansestadt.

Lesezeit: 4 Minuten
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Von unserem Redakteur Michael Defrancesco

Die Hamburger Reeperbahn rüstet sich für den Abend. Noch schieben Eltern die Kinderwagen über das Pflaster, noch kommt die üppige Beleuchtung nicht richtig zur Geltung. Im Hintergrund dreht sich das Riesenrad des Hamburger Sommerdoms in der Dämmerung, die Reisegruppen versammeln sich zu ihren Abendführungen. Olivia Jones hat ihre Schäfchen versammelt; aus einem tragbaren Lautsprecher scheppern ihre zweideutigen Kommentare – die Touristen lachen schallend.

Mittendrin im turbulenten Leben erhebt sich das Operettenhaus. Glitzerschrift verkündet, was hier heute Abend gespielt wird: „Liebe stirbt nie“. Irgendwie passend auf der Reeperbahn.

Und doch keine schlüpfrige Unterhaltung: „Liebe stirbt nie“ ist die Fortsetzung des „Phantoms der Oper“. Ja, richtig: Andrew Lloyd Webber hat das erste Sequel-Musical der Welt geschrieben und nach diversen Bühnenmisserfolgen einfach die Geschichte seines wohl größten Hits weiterschreiben lassen. Doch die Tage des Stücks sind bereits gezählt, Ende September fällt der letzte Vorhang. 2015 wurde die aufwendige Premiere in Anwesenheit von Andrew Lloyd Webber gefeiert – die Spielzeit läuft allerdings nun nach knapp einem Jahr aus. Ein neuer deutscher Spielort ist derzeit nicht im Gespräch, die kompletten Kulissen werden in die USA verschifft, wo eine Tournee laufen soll. Dafür steht das Nachfolgestück fürs Operettenhaus bereits fest: „Hinterm Horizont“, das Musical mit Musik von Udo Lindenberg, soll im November Premiere feiern, nachdem es von Berlin nach Hamburg umgezogen ist.

Letzte Chance für Musicalfans also – und: Es lohnt sich, noch schnell Tickets zu organisieren. Denn: Das Phantom ist nicht gestorben, sondern Madame Giry, die Chefin des Balletts in der Pariser Oper, samt Tochter Meg haben den Entstellten aus seiner Unterwelt gerettet. Gemeinsam floh man mit dem Schiff über den Atlantik, nach New York – und dort baute sich das Phantom ein neues Leben auf. Auf Coney Island führt er ein magisches Theater voll skurriler Zirkusfiguren – und alle Welt kennt den Mann mit der Maske als „Mister Y“. Doch die Liebe zu Christine ist immer noch nicht erloschen: Also lockt er sie mit einem Trick nach New York, und Christine kommt tatsächlich – mit Ehemann Raoul und kleinem Sohn Gustave. Und natürlich stecken die Hauptfiguren schon bis zum Pausengong mittendrin im größten Liebes- und Hass-Schlamassel.

Die Inszenierung ist so üppig wie erhofft, die Lieder sind einzigartiger und ohrwurmreicher als erwartet: „Liebe stirbt nie – Phantom II“ ist alles andere als ein lauwarmes Aufwärmen alter Erfolge, sondern tatsächlich ein individuelles, für sich stehendes Werk. Das natürlich stets mit liebevollen Andeutungen an das Ursprungswerk überrascht.

Der Musicalgast betritt wieder die nun dunkle Reeperbahn. Es glitzert und funkelt, überall schieben sich die Feierwütigen über die Straße. Ein fröhliches, ausgelassenes Fest. Wem jetzt der Sinn nach Party steht, der mischt sich ins Nachtleben von St. Pauli – oder er eilt noch schnell zum Hamburger Dom hinüber, um eine späte Bratwurst zu essen oder rasch eine Runde Karussell zu fahren – in Erinnerung an die Erlebnisse auf Coney Island, die man gerade hatte.

Noch ein ungleiches Paar: Das Phantom träumt auch im fernen New York stets von seiner geliebten Christine.
Noch ein ungleiches Paar: Das Phantom träumt auch im fernen New York stets von seiner geliebten Christine.
Foto: Stage Entertainment

Doch Hamburg hat für den Musicalliebhaber noch mehr zu bieten. Ja, es gibt sie tatsächlich: Die Fans, die mehrere Stücke pro Hamburgbesuch mitnehmen. Sie haben schon ihre Tradition erfunden: Wer in Hamburg unterwegs ist und sich von Musical zu Musical hindurchgenießt, postet in den sozialen Netzwerken das Bild des „Vorhangs des Tages“. Zugegeben, ein teures Hobby – man braucht schon einen guten Blick für Sonderangebote (die es aber immer wieder gibt), wenn man mehrere Stücke in seinem Hamburg-Urlaub anschauen möchte.

Wahrscheinlich zieht es den Fan als Nächstes zum zweiten Hamburger Neuling: „Aladdin“. Touristisch ist rund um die „Neue Flora“ nichts los. Eine Einöde im Vergleich zur Reeperbahn. Kaum nennenswerte Restaurants – wer an der S-Bahn-Station „Holstenstraße“ aussteigt, will wirklich nur ins Musical. Doch das hat es in sich. Es basiert auf dem bekannten Disney-Film, vereint die kompletten Lieder plus neu geschriebene Songs auf der Bühne – und stellt sich als knallbunter, magischer Comedy-Rausch dar.

Vor allen Dingen Enrico de Pieri als Dschinni liefert eine Performance ab, nach der man das Stück am liebsten in „Dschinni – das Musical“ umbenennen will. Er ist mit Abstand die stärkste Figur auf der Bühne, und seine Sequenz „So nen Kumpel hattest du noch nie“ ruft spontane Jubelrufe und wilden Applaus hervor. An manchen Stellen vermisst man allerdings doch den Tiefgang, wird das Stück zu albern. Ethan Freeman liefert als Bösewicht Dschafar eine beeindruckende Leistung, jedoch ist die Schlussszene, in der er kurz vor der endgültigen Macht steht, viel zu kurz und lieblos. Wie gern hätte man Ethan Freeman dabei zugesehen, wie er seinen scheinbaren Triumph ausführlich auskostet. Richard-Salvador Wolff und Myrthes Monteiro sind als Aladdin und Jasmin niedlich anzusehen – besonders sprühen die Funken in den gemeinsamen Szenen.

Die Show reißt das Publikum von den Sitzen, minutenlang wird applaudiert. Hamburg zeigt wieder einmal deutlich, dass es zu Recht Deutschlands Musicalhauptstadt ist.

Weitere Infos im Internet: www.musicals.de

Wissenswertes für Reisende:

Anreise: Mit dem Auto geht es via Hannover oder Bremen nach Hamburg – die Strecken sind praktisch gleich lang, sodass man sich in Unna noch kurzfristig umentscheiden kann, wo weniger Stau ist. Alternativ: mit Bahn oder Flugzeug.

Musicals: In Hamburg kann man neben „Liebe stirbt nie“ und „Disneys Aladdin“ u.a. sehen: „Disneys Der König der Löwen“, „Das Wunder von Bern“ oder „Heiße Ecke – Das St. Pauli-Musical“

Beste Reisezeit: ganzjährig

Unsere Ausflugstipps:

  • Chocoversum: Der Besucher lernt den Weg von der Kakaobohne bis zur fertigen Schokolade kennen. Die Führung dauert 90 Minuten, man verkostet und verkostet – und kreiert sogar seine eigene Tafel Schokolade.
  • Alsterrundfahrt: ein Klassiker, der immer wieder schön ist. Das Boot bringt den Besucher zu heimeligen Plätzen und reichen Villen, dazwischen gibt es viele Anekdoten und eine frische Brise.
  • Hamburger Dom: Das größte Volksfest des Nordens gibt es im Frühling, Sommer und Winter. Also eigentlich fast immer ...


Diese Reise wurde unterstützt von Hamburg Tourismus