Flusskreuzfahrten: Alles eine Frage der Perspektive

Die Elbe Princess liegt am Hafen von berlin-Tegel. 
Die Elbe Princess liegt am Hafen von berlin-Tegel.  Foto: Sarah Kern

Flusskreuzfahrt: Mit der „Elbe Princess“ geht es über die Havel – Zeit für Ausblicke und tiefe Gespräche. Eine Reportage von Sarah Kern.

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Als mich ein Kollege via WhatsApp fragte, wo meine Reise denn hingehen würde und ich euphorisch „Flusskreuzfahrt auf der Havel“ zurücktippte, kam erst mal keine Antwort. Stattdessen virtuelles Schweigen. Gut, ich bin Mitte 30, und Flusskreuzfahrten sind laut weitläufigem Klischee eher etwas für Menschen ab Mitte 60. Dennoch fand ich die Idee schlichtweg reizvoll, und ich wollte verstehen, warum nicht auch jüngere Menschen Flusskreuzfahrten unternehmen.

Irgendwann schrieb der Kollege zurück: „Schön! Ist zwar die Havel und nicht der Mississippi, trotzdem hat das was von Tom Sawyer und Huck Finn!“ Das fand ich ziemlich gut, Tom Sawyer und Huckleberry Finn mag ich sehr, und ich war beruhigt. Aber das Beste: Ich konnte zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen, wie recht der Kollege hatte.

Jungfernfahrt für das Schiff

Es war für mich also eine Jungfernfahrt – und für das Schiff, die „Elbe Princess“, auch. Was ich auch sehr passend fand. Die Prinzessin der Elbe wurde gerade frisch getauft im Hafen von Berlin-Tegel, bunte Luftballons schmückten die Reling, als ich meinen Koffer über den blank geputzten Steg hinter mir her zog. Durch die bodentiefen Fenster – was ich sehr ungewöhnlich fand und erst mal nostalgisch den Bullaugen hinterhertrauerte – konnte man Kellner bestaunen. Die trugen Tabletts mit zarten Champagnergläsern darauf durch die Menge. Celine Dion schmettert „My Heart will go on“ aus den Boxen. Und ich schwankte, ob das jetzt eher so etwas wie eine „Titanic“-Fahrt, oder doch eher die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn werden würde. Noch war ich unentschlossen.

Drinnen: viel skandinavisches, schlichtes Design, viel Weiß, zarte Lampen und großzügige Lounges. Von wegen üppige Plüschsessel in Braun-Rot. Von wegen angestaubter Buche-Charme. Das hier soll für Menschen ab Mitte 60 sein? Oder ist Mitte 60 das neue Mitte 30? Fest steht: Hier gibt es eher schicken Vitra-Style als Eiche rustikal. Die Verwirrung wird komplett, als der Kapitän mich in Empfang nimmt. Dunkelblauer Anzug, goldene Knöpfe, weiß-graue Haare unter der Kapitänsmütze und dazu ein warmherziges Lächeln. Er heißt Thomas Krajebski und ist Admiral. Er ist der Chef aller Kapitäne der Reederei Croisie Europe.

Die Reederei hat sich auf Flusskreuzfahrten spezialisiert. Krajebski bestellt Kaffee. Und das einzige Flusskreuzfahrtschiff mit Schaufelradantrieb, das über Deutschlands Flüsse fährt, die „Elbe Princess“, verlässt den Hafen in Berlin-Tegel in Richtung Potsdam. Während wir auf dem stilvollen Designmobiliar Platz nehmen, zieht an uns die schlichte Kulisse der havelschen Flusslandschaft vorbei. Umso opulenter wird aber die Unterhaltung. Denn der Admiral mit dem verschmitzten Lachen hat einiges aus dem Nähkästchen zu erzählen.

Seit 16 Jahren steuert er Passagierschiffe über europäische Flüsse, davor war er Binnenschiffer auf Frachtschiffen. Der Unterschied zwischen der Frachtschifffahrt und der Passagierschifffahrt ist so simpel wie einleuchtend: „Auf Frachtschiffen hat man den Stress vor der Fahrt, auf dem Passagierschiff während der Fahrt“, sagt Krajebski und lacht. Vorsichtig stellt er die Kaffeetasse auf den schlanken Designtisch. Seit 16 Jahren arbeitet der Admiral für die Reederei, seit 16 Jahren ist er auf dem Po in Italien unterwegs. „Zu so einem Job gehört auch eine Frau, die das mitmacht“, sagt Krajebski. Seit 30 Jahren ist er verheiratet, hat drei Kinder und zwei Enkelkinder. „Wenn ich nicht auf dem Schiff bin, also mal Urlaub habe, dann genieße ich es, in meinem Garten in Berlin zu sein“, sagt er. „Im Lumpi-Schlumpi-Look.“ Draußen ziehen Berliner Wiesen und Wälder vorbei. Es wird dunkel und gemütlich auf dem Schiff. Plötzlich werden alle betriebsam: Die Reling auf dem Deck muss abgebaut werden. Sonst passen wir nicht unter den Brücken durch, heißt es.

Eine, die dabei einen kühlen Kopf bewahrt und immer ein Lächeln auf den Lippen hat, ist die Französin Stéphanie. Sie ist die rechte Hand des Hotelmanagers an Bord und wird liebevoll „Greenpeace“ genannt, weil sie für alle da ist und sich einsetzt. Eine Fee, auch optisch. Mit langen, blonden Haaren, großen, blauen Augen. Als wir in Potsdam an Land gehen, um das Schloss Cecilienhof zu besichtigen – dort fand 1946 die Potsdamer-Konferenz statt – ist es Stéphanie, die die Reisegruppe zusammenhält und immer die Nachhut bildet. Und so kluge Sachen in gebrochenem Deutsch sagt wie: „Erst als ich von zu Hause weggegangen bin, um die Welt zu sehen, konnte ich frei werden.“ Stéphanie hat parallel zu ihrem Studium auf Schiffen gearbeitet. Und ein Jahr in Neuseeland gelebt. Jetzt ist sie 29 und hat für sich entschieden, dass es erst mal gut ist, ungebunden zu sein und reisen zu können und damit zu sich selbst zu finden. Und zu wissen, dass sie auf dem richtigen Weg ist. „Wenn du aus dem Elsass kommst und die Gesellschaft dir dort vorgibt, dass es wichtig ist, mindestens fünf Jahre in derselben Firma gearbeitet zu haben, um Konstanz zu beweisen, dann glaubt man das auch, weil man denkt, dass es so richtig ist, weil man nichts anderes kennt“, sagt sie. „Ich musste bis nach Neuseeland reisen, um zu verstehen, dass es absoluter Unsinn ist.“ Denn: In Neuseeland haben mich die Menschen gefragt, wie lange ich auf dem Kreuzfahrtschiff gearbeitet habe. Zwei Jahre habe ich gesagt. Da haben alle den Kopf geschüttelt und gesagt, das ist zu lang. Und die Begründung ist so einleuchtend, sagt Stéphanie: „Wer immer an derselben Stelle bleibt, entwickelt sich nicht weiter.“

Klug und warmherzig

Am Ende liegen Stéphanie und ich uns im Arm. Weil sie etwas in mir berührt hat, weil die Begegnung mit ihr auf dem Schiff zum richtigen Zeitpunkt kam. „You made my day“ (du hast meinen Tag glücklich gemacht), sagt sie und nimmt mich noch mal in den Arm. Ich habe keine Ahnung, warum. Sie war es doch, die so kluge und warmherzige Sachen sagte. Aber jetzt weiß ich, dass es eben nicht so sein muss, wie man es kennt, nur weil die Gesellschaft es so sagt, sondern, dass es auch ganz anders sein kann. Man muss nur mal die Perspektive ändern.

An diesem Abend schreibe ich meinem Kollegen eine WhatsApp. Ich schreibe, dass ich, Tom Sawyer, heute mit Huckleberry Finn unterwegs war. Dass wir die Menschheit von ihrer Engstirnigkeit, von ihrem Duckmäusertum und der Angepasstheit befreien wollten. Dass es wohl nicht funktioniert hat, dass die Begegnung mich aber weitergebracht hat. Dass ich glücklich bin. Und dass ich jetzt weiß, dass Flusskreuzfahrten großartig sein können, egal wie alt man ist, wenn man nur die Perspektive ändert.