Rom/Tübingen

Das zweite vatikanische Konzil: Ein Zeitzeuge erinnert sich

Hans Küng: "Heute sind wir in einer Phase der Restauration."
Hans Küng: "Heute sind wir in einer Phase der Restauration." Foto: DPA

Hans Küng gehört zu den letzten Konzilstheologen, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) als Zeitzeugen erlebten. Der Schweitzer Theologe und katholische Priester wurde dazu von Papst Johannes XXIII. berufen.

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Küng vertrat eine ambitionierte Reformagenda. Weltberühmt wurde er, als ihm 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde – unter anderem wegen seiner Kritik an der Unfehlbarkeit des Papstes. Der in Tübingen lebende Küng wandte sich danach seinem Projekt „Weltethos“ zu, das die Friedensbotschaft in allen Religionen herausarbeitet.

Sie haben das Zweite Vaticanum selbst erlebt, welche Atmosphäre herrschte dort?

Papst Johannes XXIII. hatte die Fenster der Kirche weit geöffnet und frischen Wind hereingelassen. Es herrschte eine einzigartige Atmosphäre der Freiheit, Freude und Zukunftsoffenheit. Man war auf einmal stolz, katholisch zu sein.

Was waren die wertvollsten Anstöße, die von dem Konzil ausgingen?

Im Grunde waren es zwei Paradigmenwechsel. Erstens wurde der Impuls der Reformation aufgegriffen. Die Kirche ist nicht in erster Linie Hierarchie, sondern das Volk Gottes. Das zieht ein anderes Ämterverständnis nach sich, eine größere Bedeutung der Ortskirchen. Zudem wurde beim Zweiten Vaticanum die Volksliturgie eingeführt, der Ritus in der Volkssprache. Der zweite Paradigmenwechsel betraf das Erbe der Aufklärung, die Hinwendung zur Moderne. Die Konzilsväter bekannten sich zur Religions- und Gewissensfreiheit. Sie prägten eine positive Einstellung zum Judentum, zu den anderen Weltreligionen und zur Moderne insgesamt.

Was waren damals die weitreichendsten Vorstellungen?

Nicht alle Reformvorstellungen ließen sich bei dem Konzil durchsetzen. Hier will ich nur die Geburtenkontrolle in persönlicher Verantwortung nennen, die Abschaffung des Priesterzölibats, neue Regeln für konfessionsverschiedene Ehen, gerade mit Blick auf die Kindererziehung. Zudem scheiterte eine angestrebte Struktur- und Verwaltungsreform der römischen Kurie. Sie war ja eher ein mittelalterlicher Hofapparat, wo Karrieren nicht nach Kompetenz gemacht wurden. Viel wichtiger war, wer am Hof des Herren persona grata, also erwünscht, oder persona non grata, also unerwünscht war. Schließlich gelang es nicht, den jeweiligen Ortskirchen mehr Rechte bei der Bischofsernennung einzuräumen.

Das hat in der Folge leider dazu geführt, dass oft Bischöfe ernannt wurden, die die Gläubigen gar nicht wollten, die dafür aber die römische Linie vertraten: keine Pille, keine Abschaffung des Zölibats, unbedingter Gehorsam gegenüber dem Papst. Der wird ja heute noch unwidersprochen als Eid bei jeder Bischofsweihe geleistet. Ich habe 2010 einen offenen Brief an alle Bischöfe der Weltkirche geschrieben, in dem ich die Lage schildere, höflich und respektvoll. Kein Bischof hat sich getraut, darauf zu reagieren.

Sie kritisieren, dass die katholische Kirche sich in einer restaurativen Phase befindet. Warum?

Direkt nach dem Konzil hat ein harter, konservativer Kern der Kurie versucht, das Rad der Reform zurückzudrehen. Die eigentliche Phase der Restauration hat dann mit dem polnischen Papst Johannes Paul II. begonnen. Vieles, was im Konzil erreicht wurde, versuchte er zu stoppen. In der Ökumene gab es keinerlei Fortschritte mehr, an innerkirchliche Reformen war nicht mehr zu denken.

Wie bewerten Sie die Rolle Papst Benedikts XVI.?

Ich bin ihm immer noch dankbar dafür, dass wir wenige Monate nach seiner Wahl 2005 in Castel Gandolfo in alter Freundschaft vier Stunden miteinander reden konnten. Ich habe zuerst gehofft, er würde fortsetzen, was wir mit dem Zweiten Vaticanum begonnen hatten. Aber stattdessen hat er sich den konservativen Piusbrüdern zugewandt und Reformer und Befreiungstheologen am Wegrand stehen lassen. Doch ich hoffe immer noch, dass er als ein Papst in die Kirchengeschichte eingehen möchte, der wenigstens einen einzigen positiven Reformimpuls gesetzt hat. Bisher ist ihm das nicht gelungen.

Brauchen wir ein neues, ein drittes Vatikanisches Konzil? Ja, das brauchen wir. Es muss nicht so groß und umfangreich wie das Zweite Vaticanum sein. Es würde auch eine kleinere, repräsentative Zusammenkunft reichen, auch mit Pfarrern und Laien, besonders Frauen. Ein solches Konzil könnte die überfälligen Reformen einleiten. Einem neuen Papst wäre es möglich, den Priesterzölibat über Nacht abzuschaffen. Doch optimistisch bin ich nicht. Die meisten der jetzigen Bischöfe und Kardinäle wurden nach Linientreue ausgewählt. Vermutlich müssen die Reformen von unten angestoßen und gelebt werden, wie es schon oft in der Kirchengeschichte der Fall war.

Ein Beispiel ist die österreichische Pfarrerinitiative mit inzwischen rund 400 Mitgliedern. Dort werden im Ungehorsam gegen die Hierarchie Reformen umgesetzt, die die Kurie noch blockiert. Ähnlich ist es mit der Pfarreiinitiative in der Schweiz. Das alles sind hoffnungsvolle Aufbrüche der Basis – ganz im Geist des Zweiten Vaticanums.

Das Gespräch führte unser Redakteur Dietmar Brück