Rheinland-Pfalz

Mitte August vor Gericht: Die Nazi-Truppe aus dem „Braunen Haus“

Das "Braune Haus" in Bad Neuenahr-Ahrweiler war das Hauptquartier des rechtsradikalen "Aktionsbüros Mittelrhein". Am Morgen des 13. März ging alles ganz schnell: Mindestens drei Polizeibusse fuhren an der Weinbergstraße 17 vor - dann stürmte ein Spezialeinsatzkommando das Haus. Foto: Hans-Jürgen Vollrath
Das "Braune Haus" in Bad Neuenahr-Ahrweiler war das Hauptquartier des rechtsradikalen "Aktionsbüros Mittelrhein". Am Morgen des 13. März ging alles ganz schnell: Mindestens drei Polizeibusse fuhren an der Weinbergstraße 17 vor - dann stürmte ein Spezialeinsatzkommando das Haus. Foto: Hans-Jürgen Vollrath

Scheiben klirren, Böller knallen, Männer brüllen. Gut hundert vermummte Neonazis schwenken in Dresden die schwarz-weiß-rote Reichsflagge und schleudern Steine auf das Haus der linken Wohngemeinschaft „Praxis“. Einige zerschlagen die Fenster mit Knüppeln, andere mit Fahnenstangen. Plötzlich grölt der ganze Mob: „Wir kriegen euch alle!“

Lesezeit: 5 Minuten
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Von unserem Redakteur Hartmut Wagner

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Es ist der 19. Februar 2011, Samstagnachmittag gegen 14 Uhr. Deutschlands Ultrarechte nehmen das Bombeninferno im Februar 1945 zum Anlass für einen archaischen Gewaltexzess.

Mittendrin ist der harte Kern des „Aktionsbüros Mittelrhein“ – das zumindest ermittelte die Staatsanwaltschaft Koblenz. Ab Mitte August stehen 26 Aktionsbüroler wegen Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vor dem Landgericht Koblenz. 17 sollen in Dresden dabei gewesen sein.

Zu den Rädelsführern gehörten laut der 926-seitigen Anklageschrift, die unserer Zeitung vorliegt, „Büro“-Chef Christian H. (27) und Axel Reitz (29). Reitz, der „Hitler von Köln“, sagte bei der Polizei: Wenn der Mob es geschafft hätte, die „Praxis“ zu stürmen, wäre sicher jemand erschlagen worden. Laut Anklage wurde die Tat lange geplant, auch vom „Aktionsbüro“.

Das war ein Schlag gegen die rechtsextreme Szene in Rheinland-Pfalz: Die Polizei hatte am Dienstagmorgen (13. März 2012) rund 20 mutmaßliche Neonazis aus dem Umfeld der rechtsextremen Gruppierung „Aktionsbüro Mittelrhein“ festgenommen. Das „Aktionsbüro Mittelrhein“ war vor allem in Kreis Ahrweiler aktiv.

Als Zentrale für fungierte das sogenannte „Braune Haus“ in der Weinbergstraße in Bad Neuenahr. Die Polizei informiert in einer Pressekonferenz über ihre Erkenntnisse.

Insgesamt sollen rund 30 Gebäude durchsucht worden sein – unter anderem auch in Baden-Württemberg, Thüringen und Nordrhein-Westfalen.

Ein Großteil der Verdächtigen soll auch an Übergriffen auf Linke in Dresden und Bad Neuenahr beteilgt gewesen sein. Es wurde so viel Material – vor allem Papiere, Computer und Datenträger – sichergestellt, dass zusätzliche Fahrzeuge zum Abtransport bereitgestellt werden mussten.

Den Verdächtigen wird unter anderem die Bildung einer kriminellen Verenigung vorgeworfen.

Das frühere Hauptquartier der rechtsradikalen Truppe war das „Braune Haus“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Alles begann 2010. Damals zogen fünf Neonazis in das cappuccinofarbene Einfamilienhaus in der Weinbergstraße 17, gegenüber eines Edeka-Marktes. Sie benannten es nach der früheren NSDAP-Zentrale in München und gründeten eine nationalsozialistische Wohngemeinschaft. 2012 war Schluss. Die Polizei stürmte das Haus am Morgen des 13. März, ebenso weitere Häuser in Rheinland-Pfalz und anderen Bundesländern.

19 der 26 Angeklagten sitzen bis heute in Haft. Laut der Staatsanwaltschaft fand man bei mehreren Angeklagten Kinderpornos. Kinderpornos! Das „Aktionsbüro“ forderte für Kinderschänder seit Jahren die Todesstrafe.

Ziel war ein Staat nach Vorbild der Hitler-Diktatur

Die Aktionsbüroler organisierten die Aktivitäten der Neonazis im Norden von Rheinland-Pfalz und hielten Kontakt zu „Kameraden“ aus Nordrhein-Westfalen. Ihr Ziel war ein Staat nach Vorbild der Hitler-Diktatur. Sie träumten – so die Aussage eines Angeklagten – vom Tag der Revolution, an dem alle Antifaschisten exekutiert würden. Trotzdem kam die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis: Es gibt beim „Aktionsbüro“ keinen Hinweis auf Bezüge zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU).

Die Angeklagten provozieren aber gern mit Anspielungen auf den Terror: Ein Angeklagter soll am Telefon erklärt haben, er führe eine Todesliste. Auf dem Handy eines anderen Angeklagten fand man ein Bild, das ihn in einem Pullover mit NSU-Schriftzug zeigt. Und 2011 tauchte eine Einladung zur Silvesterparty im „Braunen Haus“ auf – die Buchstaben N, S und U waren darauf hervorgehoben.

Im „Braunen Haus“ meldete man sich bei Anrufen mit „White Power“

Christian H. war Chef des Aktionsbüros und des „Braunen Hauses“. Er machte es zum überregional bekannten Treffpunkt der Ultrarechten, zur Heimstätte für nationalsozialistische Sektierer. Für Menschen, die gemeinsam das SA-Sportabzeichen ablegen und zu besonderen Anlässen Braunhemden tragen. Die sich in Rassenkunde fortbilden und das Modelabel „Rhein-Ahrische-Jugend“ betreiben. Die „Mein Kampf“ als Hörbuch auf dem Handy haben und sich bei Anrufen mit „White Power“ melden.

Das „Aktionsbüro“ lieferte sich jahrelang einen erbitterten Kampf mit der Antifa. Linke bewarfen das „Braune Haus“ immer wieder mit Farbbeuteln oder sprühten „Nazischeißhaus“ an die Fassade. Die Neonazis lagerten für den Verteidigungsfall Knüppel hinter der Eingangstür, verteilten Dutzende Pfeffersprays im Haus, außerdem eimerweise Wurfsteine, Zwillen, Schreckschusspistolen und Baseballschläger.

Partisanenkrieg gegen die Antifa-Aktivisten: Volksfeinde oder Minusmenschen

Christian H. und seine Truppe verunglimpften die Antifa-Aktivisten als Volksfeinde oder Minusmenschen. Und sie führten laut Anklage eine Art Partisanenkrieg gegen sie. Sie zertrümmerten die Scheiben ihrer Autos, zerstachen Reifen oder zündeten sie an. Mal sollen sie nachts auf der Straße zwei Nazigegner zusammengetreten, mal bei Antifa-Anhängern mit Steinen ein Wohnungsfenster eingeworfen haben.

Gewalt gegen Links war für das „Büro“ offenbar legitim. Jedenfalls stellte es im Februar einen „grandiosen“ Text aus dem Jahr 1929 ins Internet. Darin definiert NS-Märtyrer Horst Wessel seinen Beitrag zur Gründung eines nationalsozialistischen Staates: „Ich will mich, so oft es nur geht, mit Kommunisten herumschlagen.“

Auch die Rhein-Zeitung war im Visier des Aktionsbüros

Die Aktionsbüroler sammelten laut Anklage Daten über Journalisten, etwa einen Redakteur und einen Fotografen unserer Zeitung. Sie montierten dem Rechtsextremismus-Experten des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung einen GPS-Peilsender ans Auto. Sie besprühten Schulen und Brücken mit Hakenkreuzen, überklebten in Bad Neuenahr-Ahrweiler die Namensschilder von rund 20 Straßen mit dem Schriftzug „Rudolf-Heß-Straße“.

Inzwischen steht fest: Das „Braune Haus“ wird es künftig nicht mehr geben. Die Vermieter haben den Mietvertrag mit Christian H. gekündigt. Laut einem Vergleich des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler muss er das Haus bis 15. August räumen.

Remagen wehrte sich gegen den Durchmarsch der Nazis.

Sascha Ditscher

650 Polizisten waren dort anlässlich eines Neonazi-Aufmarsches im Einsatz, ein Bündnis hatte mehrere Gegenkundgebungen organisiert.

Vollrath

Mit vielen Plakaten, Spruchbändern und Buttons zeigte man den rechten Marschierern die ganz andere Gesinnung.

Vollrath

Nach ersten Schätzungen der Polizei waren es nur rund 200 rechstradikale Demonstranten, also weniger als erwartet, die sich am Samstagmittag gegen 13.30 Uhr in Remagen zu ihrem „Trauermarsch“ formierten.

Sascha Ditscher

Die Kreisverwaltung Ahrweiler hatte als zuständige Genehmigungsbehörde die Veranstaltung zunächst untersagt

Sascha Ditscher

Per Urteil durch das Oberverwaltungsgericht mußte die Kundgebung dann doch unter entsprechenden Auflagen erlaubt werden.

Vollrath

Abgesichert durch mehrere Hundertschaften der Polizei.

Vollrath

Die Ordnungshüter waren in der Stadt seit dem frühen Morgen allgegenwärtig.

Sascha Ditscher

Die Situation sollte – auch angesichts der jüngst aufgedeckten Neonazi-Mordserie – beiden Seiten keinen Zündstoff bieten.

Vollrath

Denise Hülpüsch

So versammelten sich die Rechten streng abgeschirmt.

Vollrath

Vollrath

Beide Lager sollten möglichst voneinander ferngehalten werden. Dazu waren insgesamt 650 Polizisten im Einsatz.

Sascha Ditscher

Bereits seit dem Vormittag war das Bild der Innenstadt und ...

Sascha Ditscher

... rund um den Remagener Güterbahnhof vom Großaufgebot der Sicherheitskräfte geprägt.

Sascha Ditscher

Auch auf den Straßen gab es intensive Personenkontrollen.

Vollrath

Doch die meisten Gruppen trafen mit dem Zug ein.

Vollrath

Dort kam es dann auch zu einer Rangelei: Fussballfans von Mainz 05 – auf dem Weg zum Bundesligaspiel in Köln – skandierten „Nazis raus“.

Vollrath

Doch die Polizei trennte die Gruppen schnell.

Vollrath

Schließlich gingen die Rechtsradikalen auf ihren „Trauermarsch“.

Vollrath

Streng abgeschirmt

Sascha Ditscher

Denise Hülpüsch

Vorbei an Transparenten

Sascha Ditscher

Vollrath

Denise Hülpüsch

Polizei sicherte den vorgeschrieben Weg.

Sascha Ditscher

Plakate in den Fenstern

Sascha Ditscher

Die Staatsmacht zeigte Stärke...

Vollrath

...und Wachsamkeit.

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Ziel der Brauen: die Friedenskapelle mit der Schwarzen Madonna an der „Goldenen Meile“.

Sascha Ditscher

Vollrath

Denise Hülpüsch

Am Morgen hatte sich hier das Bündnis für Frieden und Demokratie versammelt.

Sascha Ditscher

Mit einem ökumenischen Gottesdienst sollte ein deutliches Zeichen gegen die Rechten gesetzt werden.

Vollrath

Vollrath

Vollrath

Vollrath

Anschließend hatten die Friedensaktivisten die Kapelle verhüllt.

Vollrath

Man wollte verhindern, dass dieses Mahnmal von den Neonazis missbraucht wird.

Sascha Ditscher

Bis dahin wurden nur wenige Linke gesichtet.

Sascha Ditscher

Einige punkige Jugendliche saßen an der Friedenskirche in der Innenstadt.

Vollrath

Sascha Ditscher

Bunter Protest fand hier viel Raum.

Vollrath

Sascha Ditscher

Vollrath

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Auch mit einer Plakataktion „Demokratie statt Nazis“ wurde in der Stadt Farbe bekannt.

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Hier setzten sich engagierte Bürger für Frieden und Verständigung ein.

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Vollrath

Sascha Ditscher

Sascha Ditscher

Auch viele demokratische Politiker aus Kreis und Land, darunter auch Hendrik Hering, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, waren gekommen.

Sascha Ditscher

Bei der Kundgebung vor der Friedenskirche in Remagen wurde ein eindeutiges Zeichen gegen Rechts gesetzt.

Sascha Ditscher