Kriege im Dunkeln: Das Leid der Vergessenen

Ein Gesicht eines vergessenen Krieges: Seit Jahrzehnten leben die Menschen in der indisch-pakistanischen Grenzregion Kaschmir mit Ausgangssperren, Unterdrückung, eskalierender Gewalt. Dieser Mann hatte Brot für seine Familie kaufen wollen, als indische Sicherheitskräfte ihn zusammenschlugen. Foto: Andy Spyra
Ein Gesicht eines vergessenen Krieges: Seit Jahrzehnten leben die Menschen in der indisch-pakistanischen Grenzregion Kaschmir mit Ausgangssperren, Unterdrückung, eskalierender Gewalt. Dieser Mann hatte Brot für seine Familie kaufen wollen, als indische Sicherheitskräfte ihn zusammenschlugen. Foto: Andy Spyra

Blutige Konflikte, die Tausende in den Tod treiben und den Alltag der Überlebenden für immer verändern – dafür gibt es oft keinen Platz in den großen Medien. Für den Autor dieser Zeilen gehört der Frust darüber zum Berufsalltag.

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Blutige Konflikte, die Tausende in den Tod treiben und den Alltag der Überlebenden für immer verändern – dafür gibt es oft keinen Platz in den großen Medien. Für den Autor dieser Zeilen gehört der Frust darüber zum Berufsalltag.

Mehr als 2000 Menschen sterben jeden Tag durch die Folgen bewaffneter Kämpfe. Mindestens 740.000 Opfer von Krieg und gewaltsamen Auseinandersetzungen zählt das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen in einem einzigen Jahr. Allein für 2009 listet das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung weltweit 31 größere Konflikte auf – deren blutige Konsequenzen dem Auge der Weltöffentlichkeit allzu oft entgehen.

Krieg als „Vater und Ernährer der frühen Zeitung“

Dabei ist gerade das Medium Zeitung seit seinen Anfängen im 17. Jahrhundert untrennbar mit dem Morden und Schlachten verbunden: Der Pressehistoriker Gerhard Piccard ging gar so weit, den Krieg als „Vater und Ernährer der frühen Zeitung“ zu sehen. Und nicht erst seit Nachrichtensender wie CNN den Krieg zum medialen Ereignis stilisieren, wissen wir: Gewalt macht Quote.

Medienforscher betrachten das Elend von Menschen, die oft schuldlos in die Konflikte hineingerissen werden, nüchtern: Professor Horst Pöttker vom Institut für Journalistik der Uni Dortmund spricht vom „Schaden“, der generell die Aufmerksamkeit anzieht. Dennoch: Wenn in Uganda Kindersoldaten gezwungen werden, ihre Eltern mit der Machete zu töten, wird noch nicht automatisch berichtet.

Die Gründe dafür sind vielfältig. „Journalismus ist am Besonderen, am Herausragenden interessiert, deshalb fallen diese schwelenden Konflikte durch das Raster der Nachrichtenwertfaktoren“, erklärt Pöttker. Die Nähe etwa zur Lebenswelt der Adressaten, geografisch wie kulturell, gehört dazu. Auch wirtschaftliche Verbindungen sind von Bedeutung: „Wären wir keine Exportnation, würden uns Piraten am Horn von Afrika sicher nicht so sehr interessieren.“

Korrespondenten werden eingespart

Für den Leiter des ARD-Studios in Wien, Thomas Morawski, wird man sich „diesen Marktmechanismen nicht mehr entziehen können“. Medien sparen bereits heute an Auslandskorrespondenten, die oft nur kurzfristig für außergewöhnliche Ereignisse ausschwärmen.

Gleichzeitig wächst nach seiner Erfahrung bei den Menschen durchaus der Bedarf nach Hintergründen, Analysen, Inhalten, die zeigen: So entwickelt sich dieser Konflikt weiter. Denn die Leser oder Fernsehzuschauer interessieren sich für das, was nach der internationalen Konfliktforschung Krieg und Gewalt antreibt: Systemideologie (etwa Kommunismus versus Kapitalismus, Demokratie versus autoritärer Staat), nationale Macht und der Zugang zu Bodenschätzen. Die Opfer haben mit diesen Anlässen meist wenig zu tun.

Doch die Aufmerksamkeit ist flüchtig. Nicht zuletzt das wachsende Angebot immer schnellerer Informationen im Internet verstärkt diesen Trend. Deshalb hält ARD-Mann Morawski professionellen Journalismus für wichtiger denn je: „Es ist doch die ureigenste Aufgabe der Presse, besonders jene Themen, die nicht von allein in den Blick geraten, an die Menschen heranzutragen, ihre Bedeutung und Relevanz aufzuzeigen – diese Aufgabe nehmen wir heute kaum noch wahr.“

Professor Jürgen Wilke vom Publizistischen Institut der Universität Mainz kann „das moralische Argument hinter dieser Forderung durchaus verstehen“. Doch er glaubt nicht, dass die Menschen bei aller Mühe der Journalisten Interesse für alle Kriege der Welt aufbringen können. „Das überfordert und stumpft letztlich ab“, befindet Wilke. Er geht noch weiter: „Die Welt wird nicht besser dadurch. Oder trägt Kriegsberichterstattung etwa zur Entspannung von Konflikten bei?“

Wer ehrlich ist, wird diese Frage im Gegensatz zu Wilke mit Ja beantworten müssen. Wegsehen kann nicht die Lösung sein, und auch die reine Darstellung von Gewalt und Leid reicht nicht aus. Positive Entwicklungen gehören stärker in den Vordergrund – Friedensberichterstattung, wenn man so will. Und außerdem: Nur wer etwas über das Leid anderer Menschen erfährt, kann ihnen helfen. Das dürfen wir nicht vergessen.

Von unserem Redakteur Carsten Luther