Bogotá

Das stille Sterben in Kolumbien

Kolumbien ist ein Land, das immer nur wenige Meter vom Abgrund entfernt scheint. Seit beinahe 50 Jahren. In dem lateinamerikanischen Land tobt ein Bürgerkrieg, der mit schier unvorstellbarer Härte geführt wird. Und doch erfährt die (westliche) Welt so gut wie nichts darüber. Ein Menschenleben zählt nicht viel in Kolumbien. Linke Guerilla-Gruppen, rechte Todesschwadrone oder Paramilitärs nehmen gnadenlos zivile Opfer in Kauf. Regierungstruppen bombardieren Dörfer, in denen sie Aufständische vermuten. Vermeintliche Kollaborateure werden hingerichtet, mal von rechten, mal von linken Milizen. Doch vielen einfachen Landarbeitern bleibt oft gar nichts anderes übrig, als mit den jeweiligen Besatzern ihrer Heimat zu „kollaborieren“ – die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera.

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Bogotá – Kolumbien ist ein Land, das immer nur wenige Meter vom Abgrund entfernt scheint. Seit beinahe 50 Jahren. In dem lateinamerikanischen Land tobt ein Bürgerkrieg, der mit schier unvorstellbarer Härte geführt wird. Und doch erfährt die (westliche) Welt so gut wie nichts darüber.

Ein Menschenleben zählt nicht viel in Kolumbien. Linke Guerilla-Gruppen, rechte Todesschwadrone oder Paramilitärs nehmen gnadenlos zivile Opfer in Kauf. Regierungstruppen bombardieren Dörfer, in denen sie Aufständische vermuten. Vermeintliche Kollaborateure werden hingerichtet, mal von rechten, mal von linken Milizen. Doch vielen einfachen Landarbeitern bleibt oft gar nichts anderes übrig, als mit den jeweiligen Besatzern ihrer Heimat zu „kollaborieren“ – die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera.

Massaker im Urwald

Wie dramatisch die Zivilbevölkerung zwischen die Mühlsteine eines nahezu ewig währenden Krieges gerät, zeigt das Massaker von Bellavista in der Pazifikregion Chocó. In nahezu unberührte Urwaldregionen wie diese hat sich der Bürgerkrieg seit einigen Jahren verlagert – weg von den großen Bevölkerungszentren wie Bogotá oder Medellín.

Wie grausam dieser Krieg auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen wird, zeigt das Massaker von Bellavista im Mai 2002, also vor ziemlich genau acht Jahren. Rechte Paramilitärs marschieren eines Tages in den Ort ein, der mitten im Gebiet der linken Guerilla liegt. Die Bevölkerung ahnt Schreckliches. Appelle an die Regierung, die „Paras“ zum Abzug zu bewegen, verhallen ungehört. Selbst UNO-Stellen schalten sich ein. Vergeblich.

Das Unvermeidliche geschieht. Die linken Guerilleros greifen aus dem Unterholz an, die rechten Milizen verschanzen in der Nähe der Kirche. Dorthin und ins Pfarrhaus sind 500 Einwohner geflohen. Die Paramilitärs benutzen sie ganz bewusst als menschliches Schutzschild. Die Priester können gerade noch verhindern, dass sie die rechten Milizen das Gotteshaus als Stellung missbrauchen. Stundenlang bangen die hilflosen Zivilisten um ihr Leben. Dann durchschlägt eine Gaszylinderbombe der linken Guerilla das Dach der Kirche und explodiert im Altarraum. 119 Menschen sterben. 98 werden schwer verletzt, darunter viele Kinder. Rechten und linken Milizen sind die Opfer vollkommen gleich. Sie kämpfen unvermindert weiter. Erst nach Tagen kommt Hilfe.

Ringen um die nackte Macht

Diese Geschichte sagt nahezu alles über den Krieg in Kolumbien. Rechte Todesschwadrone, linke Guerilleros (etwa die Farc) und teils auch die Regierungstruppen kämpfen längst nicht mehr für Sozialismus oder Kapitalismus, für Großgrundbesitz oder Landreform. Sie ringen einzig und allein um die Macht. Fast 200 000 Menschen sind in fast 50 Jahren gestorben, Millionen mussten fliehen, noch mehr wurden traumatisiert. Die Kampftruppen waten im Blut der Zivilisten und im Drogensumpf. Es geht um Milliardengeschäfte. Kritische Journalisten müssen Killerkommandos fürchten. Und kein Präsident konnte Frieden bringen.

Das Schicksal der entführten und befreiten Politikerin Íngrid Betancourt hat die Mauer des Schweigens 2008 kurz durchbrochen. Doch längst ist das stille Sterben in Kolumbien wieder einer der vielen vergessenen Kriege.

Von unserem Redakteur Dietmar Brück