Braunschweig

Nacht zum 1. Juli länger: Schaltsekunde könnte vereinzelt Probleme bringen

Atomuhr CS2 in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig: In der Nacht zum 1. Juli ist Zeitumstellung - das Jahr 2015 wird um eine Sekunde verlängert. Mit solchen Schaltsekunden wird kompensiert, dass die Erde für eine Umdrehung ein kleines bisschen länger braucht als 24 Stunden Atomuhrzeit.
Atomuhr CS2 in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig: In der Nacht zum 1. Juli ist Zeitumstellung - das Jahr 2015 wird um eine Sekunde verlängert. Mit solchen Schaltsekunden wird kompensiert, dass die Erde für eine Umdrehung ein kleines bisschen länger braucht als 24 Stunden Atomuhrzeit. Foto: dpa

In der Nacht zum 1. Juli ist Zeitumstellung: Das Jahr 2015 wird um eine Sekunde verlängert. Mit solchen Schaltsekunden wird kompensiert, dass die Erde für eine Umdrehung ein kleines bisschen länger braucht als 24 Stunden Atomuhrzeit. Ohne Schaltsekunde würden Weltzeit und astronomische Zeit immer weiter auseinanderklaffen.

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Von Annett Stein

Seit 1972 geben Atomuhren an gut 70 nationalen Zeitinstituten die Weltzeit UTC vor. Um sie parallel zur Sonnenzeit UT1 – also dem Tag-Nacht-Rhythmus der Erdrotation – zu halten, wird in manchen Jahren der letzte Juni- oder der letzte Dezembertag um eine Sekunde verlängert. Die Schaltsekunde im Sommer ist die 26. seit 1972. International vereinbart ist, dass Weltzeit UTC und Sonnenzeit UT1 nie mehr als 0,9 Sekunden voneinander abweichen. Schon zum Jahreswechsel meldete die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig 0,5 Sekunden Differenz, und sah die 0,6 Sekunden kurz bevorstehen.

Wann zum Ausgleich eine Schaltsekunde eingefügt wird, entscheidet der Erdrotationsdienst IERS. «Würde man die Differenz nicht korrigieren, würde die Sonne irgendwann mittags aufgehen», erklärt Wolfgang Dick vom IERS-Zentralbüro in Frankfurt am Main. Bekanntgegeben wird eine solche Zeitanpassung jeweils ein halbes Jahr im Voraus.

Der Vorgang ist vergleichsweise einfach. Um 01:59:59 schiebt die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in die gesetzliche Zeit, die über Langwelle an Funkuhren übermittelt, aber auch über Telefon und das Internet verbreitet wird, eine Sekunde ein. Nach 1:59:59 Uhr kommt dann also 1:59:60 Uhr und dann erst 2:00:00 Uhr, erläutert Andreas Bauch von der PTB.

Doch bei der Umstellung könnte es Probleme geben. Während die meisten Uhren den Sprung bewältigen werden, kommt so manche Software mit einer zweiten 60. Sekunde nicht gut klar. Bei der Schaltsekunde 2012 wurden mehrere Websites lahmgelegt, das Buchungssystem der australischen Fluggesellschaft Qantas fiel zeitweise aus. «Es ist erstaunlich, was eine kleine Sekunde so anrichten kann», sagt Bauch.

Je mehr Prozesse abhängig von integrierten Zeitangaben laufen, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass doch einmal an einer entscheidenden Stelle die Anpassung vergessen wird oder nicht korrekt passiert. Problematische Kettenreaktionen seien zum Beispiel im Stromnetz denkbar, sagt Bauch.

Bei der Berechnung des Stromflusses werde mit Mikrosekunden Zeitauflösung gearbeitet, ebenso bei der Bestimmung der Netzwerkbelastung. Werde ein Wert wegen der Schaltsekunde falsch berechnet und als Problem angezeigt, könne die Abschaltung der Leitung folgen, erklärt Bauch. «Das sind automatisierte Entscheidungen, mit denen das Hochspannungsnetz geschützt werden soll.»

Auch bei der Flugsicherung oder im Geldhandel werde mit Millisekunden Zeitauflösung gearbeitet, ebenso bei der Navigation über Satelliten. «Bei den gewaltigen Bahngeschwindigkeiten würden Sie bei einer Sekunde Unterschied schon komplett woanders verortet.»

Auch sicherheitsrelevante Systeme könnten betroffen sein, ergänzt Fiete Wulff, Pressesprecher der Bundesnetzagentur. «Es ist zu prüfen, welche Systeme da sensibel reagieren.» Für Privatfirmen sind die Schaltsekunden vor allem mit Mehrkosten für die Umstellung von Hand verbunden. Daher verwundert es kaum, dass es inzwischen viel Widerstand gibt gegen das 1972 eingeführte Zeit-System.

Erstmals im Jahr 2001 wurde von den USA die Abschaffung der Schaltsekunden als Arbeitsthema vorgeschlagen. «Es ist nicht normal, dass eine so konkrete Frage 14 Jahre auf der Agenda steht, aber die Parteien waren und sind verbissen», erklärte Bauch im Januar.

Bei der diesjährigen Weltfunkkonferenz der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) im November in Genf werden die Kritiker erneut einen Versuch starten. Vor allem die USA und Frankreich befürworteten eine Abschaffung der Schaltsekunde, sagt Bauch. Auch Deutschland präferiert derzeit laut Netzagentur-Sprecher Wulff die Abschaffung. «Vorausgesetzt, dass das keine technischen Probleme verursacht.»

Zu den Ländern, die die Schaltsekunde beibehalten wollen, zählten Großbritannien, Russland, China und Kanada.

Hauptargument für eine Abschaffung der Schaltsekunden sei, dass Fehlerrisiken und Mehraufwand wegfielen, erklärt Dick. «Allerdings ist auch klar: Irgendwann muss man korrigieren, schon eine Stunde Differenz ist im Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen deutlich spürbar.» Denkbar sei das Einschieben einer Schaltminute alle 100 Jahre oder einer Schaltstunde nach entsprechend längerer Frist. «Allerdings wüsste nach so langer Zeit niemand mehr, wo überall es ein Problem geben könnte und Anpassungen in Systemen nötig sind», ist Dick überzeugt.

Die Briten stemmen sich auch deshalb gegen eine Abschaffung, weil dann ein Nationalheiligtum weiter an Bedeutung verlöre: der Greenwich-Meridian, dessen mittlere Sonnenzeit lange maßgeblich für die Weltzeit war. Ein weiteres, ebenfalls eher philosophisches Argument in der Debatte: Die Abschaffung der Schaltsekunden hieße, dass das Leben zum ersten Mal in der gesamten Menschheitsgeschichte von der Sonnenzeit abgekoppelt würde.

Im Moment seien die Lager von Gegnern und Befürwortern etwa gleich groß. Für eine Änderung des Weltzeit-Systems müssten sich aber alle einig sein. Dick ist darum überzeugt: «Ein einstimmiger Beschluss wird im November nicht durchzusetzen sein.»