100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie: Mit Einstein im Freien Fall

Dass Fallen ein ganz natürlicher Zustand ist, weiß jedes Kind. Später, als Erwachsene, stecken wir das Fallen nicht mehr so leicht weg und suchen die Ursache, um diese Ausnahmebewegung vermeiden zu können. Ähnlich ging es auch den Naturwissenschaftlern in der Antike und später Isaac Newton. Doch vor 100 Jahren stellte Albert Einstein den Kern seiner umwälzenden Allgemeine Relativitätstheorie an der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin vor – und die Welt auf den Kopf.

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Von unserem Redakteur Jochen Magnus

Albert Einstein 1920 in Berlin.

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Undatiertes Bild aus späteren Jahren.

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Einstein vor seinem Haus in Princeton.

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Albert Einstein spielte gerne und gut Geige. Mathematik und Musik passt eben gut zusammen.

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Albert Einstein 1946.

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Einstein bei der Arbeit im Hörsaal (undatiertes Bild).

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Die Grundgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART).

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Das wohl berühmteste Foto von Albert Einstein. Er selbst nutzte es gelegentlich als Grußkarte.

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Einstein bei seiner Anti-Atombomben-Rede 1950.

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Das Haus von Albert Einstein in Caputh bei Potsdam. Am Wochenende sind hier Führungen möglich, außerdem wird das vom Potsdamer Einstein-Forum im Auftrag der Hebräischen Universität Jerusalem verwaltete denkmalgeschützte Holzgebäude für ausgewählte Veranstaltungen genutzt.

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Ruhe war schon für Aristoteles der natürliche Zustand, jede Bewegung erforderte eine Erklärung. Isaac Newton schließlich formulierte diese schließlich im Jahr 1686: Körper ziehen sich gegenseitig an, diese Kraft nimmt im Verhältnis ihrer multiplizierten Massen zu und im Quadrat der Entfernung ab. Warum das so passierte, erklärte Newton aber nicht, die Anziehungskraft (lateinisch: Gravitation) schien eine universelle Eigenschaft zu sein. 230 Jahre später kehrte der Physiker Albert Einstein zu der mehr kindgerechten Annahme zurück, dass Fallen eben doch ein Normalzustand sei, eine Kraft sei dabei nicht im Spiel.

Zehn Jahre nach dem „Wunderjahr“

Einstein war an diesem 25. November 1915 bereits kein Unbekannter mehr. Zehn Jahre zuvor, noch als kleiner Angestellter beim Berner Patentamt, hatte er in seinem „Wunderjahr“ gleich vier aus heutiger Sicht nobelpreiswürdige wissenschaftliche Artikel veröffentlicht, darunter seine Spezielle Relativitätstheorie. Sie wies die Lichtgeschwindigkeit als unüberwindbare Konstante nach und besagte, dass Raum und Zeit von der Bewegung des Betrachters abhingen, also nicht absolut seien, sondern in allen Maßen relativ zum Beobachter. Zudem verschmolz Einstein die drei räumlichen mit der Zeitdimension und sprach von der „Raumzeit“.

Auch die berühmte Formel „E = m*c2“, die Masse und Energie zueinander ins Verhältnis setzt, stammt aus dieser Theorie von 1905. Nicht umsonst feierte die Welt das Jahr 2005 als „Einsteinjahr“. Lee Smolin, einer der weltweit führenden Quantenphysiker und Einstein-Bewunderer, bezeichnet sein Vorbild als „Genie ersten Ranges“. Nicht etwa, weil er all die komplizierten mathematischen Formeln entwickelt hatte, sondern weil Einstein unsere Sichtweise auf eine der einfachsten Alltagserfahrungen völlig neu gedacht hat; besonders in der Allgemeinen Relativitätstheorie: „Die Kraft, die wir empfinden, wenn wir sitzen oder stehen, ist nicht die Gravitation, sondern es ist der Boden oder der Stuhl, der uns nach oben drückt und uns am Fallen hindert.“ Man kann die eigene Bewegung nicht spüren, wenn man frei fällt, denn man bewegt sich so auf die einfachste Art und Weise durch den Raum. Es wirkt keine Kraft, wie alle einschließlich Newton glaubten, vielmehr legt man die kürzeste Verbindung zwischen zwei Orten zurück. Denn das ist der Clou an Einsteins Überlegungen: Die Raumzeit ist gekrümmt.

Hirn-Akrobatik mit gekrümmten Räumen

Vorstellen kann man sich das eigentlich nicht, schon gar nicht ohne die zugrundeliegende Mathematik, aber ein Modell hilft weiter: Die Allgemeine Relativitätstheorie besagt, dass die Raumzeit durch Masse verzerrt wird – ähnlich wie eine Bowlingkugel ein Trampolin einbeult – je schwerer die Kugel, umso größer die Beule. Legt man nun einen Tennisball aufs Trampolin, rollt er die kürzeste Verbindung zur Kugel: eine gekrümmte Bahn. Die Masse (Bowlingkugel) verändert die Geometrie der Welt; die veränderte Geometrie ändert die Bahn der Masse.

Bei sehr großen Massen, zum Beispiel die Sonne, wird die „Beule“ in der Raumzeit riesig: so groß, dass nicht nur ganze Planeten drumherum „fallen“ (also in stabilen Umlaufbahnen sind), sondern sogar Lichtstrahlen ein wenig in die Beule rutschen und abgelenkt werden. Als der britische Astronom Sir Arthur Eddington 1919 während einer Sonnenfinsternis die Positionen von Sternen beobachtete, die neben der verdunkelten Sonnenscheibe zu sehen waren, maß er exakt die Abweichungen, die Einstein vorausgesagt hatte. Das war ein Triumph dieser bis dato kaum vorstellbaren Theorie, die Einstein auf fast alle Titelseiten der Zeitungen brachte: „Die Sterne sind nicht, wo sie zu stehen scheinen“, schrieb etwa die „New York Times“ damals. „Aber niemand muss sich sorgen.“

Die Grenzen der Theorie

Sorgen bereitete die Jahrhunderttheorie später anderen Forschern. Zwar besteht sie bis heute alle Experimente ohne Schaden, findet aber dennoch ihre Grenzen. Kollabiert eine extrem große Masse, ein Stern, dreimal so groß wie unsere Sonne, am Ende seines Lebens, wird die Raumzeit-Krümmung so stark, dass Licht nicht nur abgelenkt wird, sondern dem Schwerkraft-Monster gar nicht mehr entkommt: Es hat sich ein Schwarzes Loch gebildet. Eine solche Möglichkeit war Einstein schon bekannt. Aber die Krümmung kann so groß werden, dass unendliche Werte auftreten, ein Zeichen, dass eine Theorie unvollständig ist. Auch die Ausdehnung des Weltalls, welche die Theorie gleichfalls vorhersagt, führt unweigerlich zur Überlegung, dass in ferner Vergangenheit dann alles in einem unendlich Kleinen Platz gefunden haben musste.

Einstein hatte bis zu seinem Tod 1955 versucht, seine Theorie mit anderen zu vereinigen. Noch heute träumen Forscher von der „Theorie von allem“, die sämtliche Kräfte und Phänomene erklären kann. Es gibt hoffnungsvolle Ansätze, allen voran die „Schleifenquantengravitation“. Sie stellt unser Weltbild vollends auf den Kopf und gibt die Idee einer relativen Raumzeit zugunsten einer absoluten Zeit wieder auf. Die Theorie ist noch lange nicht fertig, und es sieht danach aus, dass die Welt nach 100 Jahren wieder einen Einstein gut gebrauchen könnte.