Brüssel

Tisa: Der kleine Bruder der Freihandelsverträge

Bisher gibt es gegen Tisa noch wenig Protest. Dabei hat das Abkommen genug Zündstoff.
Bisher gibt es gegen Tisa noch wenig Protest. Dabei hat das Abkommen genug Zündstoff. Foto: dpa

Man trifft sich dort, wo es keine Massendemonstrationen gibt: im abgeschotteten Gebäude der australischen Vertretung in Genf. Dort besprechen die Vertreter von 22 Staaten plus der EU für ihre 28 Mitglieder einen Vertrag, der so etwas wie der unbekannte Bruder des umstrittenen EU-US-Freihandelsabkommen ist.

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Von unserem Brüsseler Korrespondenten Detlef Drewes

Es geht um Tisa (Trade in Services Agreement, Vereinbarung über den Handel mit Dienstleistungen). Ziel ist der Abbau von Hürden für die Dienstleistungswirtschaft – von Finanzen über Verkehr und Gesundheit bis hin zu Logistik, Bildung und Rechtsberatung.

Allein die USA versprechen sich zusätzliche Exporte im Wert von 600 Milliarden Euro. Drei Viertel der europäischen Wirtschaftsleistung werden in diesem Bereich erbracht, drei Viertel der Jobs gehören zum Einzugsbereich von Tisa.

Eigentlich sollte die Öffentlichkeit von dem Vertragstext erst fünf Jahre nach dessen Unterzeichnung erfahren. Doch Mitte vergangenen Jahres tauchten erste Dokumente auf der Enthüllungsplattform Wikileaks auf. Seit Kurzem hat auch die Brüsseler EU-Kommission ein paar erste, karge Inhalte zumindest in Auszügen ins Internet gestellt. Man will verhindern, dass es wie bei TTIP zu einer Mauer des Widerstandes und vor allem jeder Menge Mythen kommt. „Nein“ heißt es da ein ums andere Mal, die öffentliche Daseinsvorsorge wie Wasserversorgung, Gesundheitsdienstleistungen oder Soziales solle nicht liberalisiert werden.

Eine Öffnung dieser Märkte würde nicht nur bedeuten, dass inländische Anbieter den ausländischen Wettbewerbern völlig gleichgestellt wären. Diese hätten dann auch Anspruch auf die gleichen öffentlichen Fördermittel. Besonders pikant sind zudem die sogenannten Stillstandsklauseln, mit denen einmal eingeleitete Privatisierungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. „Das wäre ein Segen für die beteiligten Unternehmen“, heißt es aus der EU-Kommission. Allerdings nicht für alle. So fürchten beispielsweise die deutschen Sparkassen um ihren Schutz als öffentlich-rechtliche Geldinstitute. Der liberale Europa-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff beruhigt: „Ich gehe fest davon aus, dass die Ausnahmen für den öffentlichen Bereich auch Sparkassen umfassen werden, die als öffentlich-rechtliche Anstalten in Deutschland ja einen Sonderstatus genießen.“

Doch das Abkommen der insgesamt fast 50 Länder, zu denen neben den 28 EU-Staaten, den USA und Australien auch Kanada, Chile, Hongkong, Korea, die Türkei, die Schweiz und Norwegen zählen, enthält noch mehr riskante Details. So soll Finanzkonzernen der freie Transfer von Kundendaten und -informationen erlaubt sein, sodass Angaben von Verbrauchern in alle Unterzeichnerstaaten abfließen könnten. Darunter natürlich auch in die USA, die seit den Enthüllungen um die NSA-Abhöraffäre als rotes Tuch gelten. Datenschutzexperten sprechen von einem „GAU“, weil „auch Internetkonzerne keine Niederlassung in der EU mehr bräuchten, denn sie unterliegen nicht mehr den EU-Gesetzen“, wie der Grünen-Europapolitiker Michel Rémon kritisiert.

Widerstand gibt es von Bürgerrechtlern. Attac nennt die Dienstleistungsfreiheit „einen weiteren skandalösen Versuch, die Macht privater Konzerne voranzutreiben und zu verankern“.