London/Reykjavik

Elektrisierende Vulkane: Briten wollen Islands Feuerberge anzapfen

Auch die Briten hatten dieses schwierige Wort lernen müssen: Eyjafjallajökull. Zwei Jahre, nachdem wegen des aschespeienden Riesen auf den Flughäfen nichts mehr ging, sprechen die Briten mit Islands Regierung erneut über die „Feuerberge“. Diesmal geht es darum, wie beide Länder das enorme Potenzial der Vulkane wirtschaftlich nutzen könnten.

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London/Reykjavik – Auch die Briten hatten dieses schwierige Wort lernen müssen: Eyjafjallajökull. Zwei Jahre, nachdem wegen des aschespeienden Riesen auf den Flughäfen nichts mehr ging, sprechen die Briten mit Islands Regierung erneut über die „Feuerberge“. Diesmal geht es darum, wie beide Länder das enorme Potenzial der Vulkane wirtschaftlich nutzen könnten.

Sein Ausbruch brachte Islands Feuerberge weltweit ins Bewusstsein: Eyjafjallajökull. Die heiße Erde bietet unvorstellbare Mengen Energie. Großbritannien will sie für sich und Europa nutzen.
Sein Ausbruch brachte Islands Feuerberge weltweit ins Bewusstsein: Eyjafjallajökull. Die heiße Erde bietet unvorstellbare Mengen Energie. Großbritannien will sie für sich und Europa nutzen.
Foto: dpa
Charles Hendry hat eine Vision: Der Energieminister in London will in etwa acht Jahren die geothermalen Quellen in Island anzapfen. Dazu soll auf dem Nordseeboden ein 1500 Kilometer langes Starkstromkabel verlegt werden. Nach offiziellen Schätzungen könnten die isländischen Vulkane durch diese Leitung zunächst 750 Megawatt Ökostrom nach Großbritannien pumpen. Das entspricht der Leistung eines Atommeilers, der 1,5 Millionen Haushalte mit Energie versorgt.

Hendry wird im Mai nach Reykjavik reisen, um über das einzigartige Zukunftsprojekt zu verhandeln. „Die dortige Regierung zeigt großes Interesse“, freut sich der konservative Politiker. Kein Wunder: Das von der globalen Bankenkrise gebeutelte Island versucht zurzeit, neben den Finanzdienstleistungen und der Fischerei den Energieexport als drittes wirtschaftliches Standbein aufzubauen. Die Insel mit 30 Vulkanen und 800 heißen Quellen deckt heute jeweils 20 und 85 Prozent ihres Energie- und Heizbedarfs durch den Betrieb der fünf großen Geothermalkraftwerke ab, wobei die Wasserkraftwerke weitere 80 Prozent der benötigten Energie liefern. Laut einer Regierungsstudie von 2011 könnte Island mittelfristig seine Energieerzeugung verdreifachen und das meiste davon nach Europa verkaufen.

Davon würde vor allem Großbritannien profitieren, dessen Öl- und Gasvorräte in der Nordsee zur Neige gehen. Nach neuen Schätzungen soll der Energiekonsum des Landes bis 2050 um 55 Prozent steigen. Dabei müssen jedoch die Briten alle ihre Kernkraftwerke bis 2023 schließen, weil die veralteten Meiler als Sicherheitsrisiko gelten. Der grüne Deal mit dem kleinen Land aus Feuer und Eis käme dem Premier David Cameron sehr gelegen, der bis zum Ende des Jahrzehnts die britischen C02-Emissionen um 34 Prozent senken muss. Doch die Regierung in London plant mehr, als nur eine Leitung nach Island zu legen: Sie will das Königreich zum wichtigsten Knotenpunkt im neuen europäischen „Supernetz“ für erneuerbare Energien machen.

Ein erster Schritt zum Aufbau dieses Hochspannungsnetzes („supergrid“) wird die Bündelung der Ökostrom-Erzeugung in der Nordsee sein, auf die sich 2010 Deutschland und weitere acht EU-Staaten verständigt haben. Dazu sollen die Offshore-Windparks mit den Wasserkraftwerken und den Solaranlagen auf dem Kontinent verbunden werden. Später könnte sich das Netz bis zur nordafrikanischen Wüste erstrecken, wo im kommenden Jahrzehnt die ersten Sonnenwärmekraftwerke in Betrieb gehen sollen. Die Teilnehmerstaaten wollen die dezentral erzeugte Energie im „supergrid“ dorthin leiten, wo sie gebraucht wird – und zwar wetterunabhängig. Der Trick besteht darin, sie in einer „Super-Batterie“ zu speichern: Die Energie der Sonne, der Wellen und des Windes soll dazu genutzt werden, die höher gelegenen Stauseen in den norwegischen Fjorden zu füllen. Bei steigendem Bedarf auf dem Kontinent soll das herabstürzende Wasser die Turbinen antreiben und Strom erzeugen.

Faszinierende Schönheit mit gravierenden Folgen: Europaweit sorgte die Vulkanasche aus Island 2010 für Chaos im Luftverkehr. Unsere Zeitung hat hier einige Fotos von Lesern zusammengestellt, die die gewaltigen Energie illustrieren.

Marcel Bonté

Verena Jung-Schmidt aus Betzdorf (Kreis Altenkirchen) flog mit einem Kleinflugzeug über einen der kleineren Seitenkrater des Eyjafjallaökull, als der Ausbruch gerade erst begonnen hatte: „Wunderschön.“ Tage später schickte der Hauptkrater seine riesige Aschewolke zum europäischen Festland.

Verena Jung-Schmidt

Rene Grassman aus Dahlheim berichtete von seiner Expedition in Island:„In weiter Ferne, über dem vor uns aufragenden Gletscher wallt der Rauchpilz des Vulkans in den blauen Himmel. Wir bemerkten im Näherkommen immer deutlicher die Spuren seiner Aktivität.“

Rene Grassmann

Für Rene Grassman stand auch fest: „Wir wollen näher ran.“

Rene Grassmann

Auch Frank Brodrecht von den Koblenzer Kingfisher Reisen brachte aus Island eindrucksvolle Impressionen der vulkanischen Aktivitäten mit. Ein neuer Vulkankegel entsteht.

Frank Brodrecht

Ein Schauspiel, das man sein Leben lang nicht vergisst – und an das er auch möglichst nah ran wollte.

Frank Brodrecht

Frank Brodrecht

Frank Brodrecht

Als führender Erzeuger der Offshore-Energie erhofft sich Großbritannien große Vorteile vom gemeinsamen Netz: Das Königreich hofft darauf, bis zu 30 Gigawatt Energie aus den Windparks im Meer exportieren zu können. Andererseits will es bei eigenen Engpässen ein Drittel der benötigten Energie aus dem „supergrid“ schöpfen. Eine Voraussetzung dafür ist die Verlegung von neun „Superleitungen“ zu Englands Nachbarn, die die bestehenden zwei Unterwasserkabel ergänzen sollen. Bereits seit 26 Jahren tauschen Großbritannien und Frankreich durch eine 2000-Megawattleitung Energie aus. Das 1000-Megawatt-Kabel „BritNed“ verbindet seit 2011 die Grafschaft Kent mit Rotterdam. 2012 wird ein Kabel nach Irland verlegt. Als Nächstes wollen sich die Briten mit Belgien (2018) und Norwegen vernetzen.

Die Verkabelung der Nordsee-Anrainer wird von Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace begrüßt, jedoch hat die Idee des europäischen „supergrid“ auch viele Kritiker, die sich an seinen riesigen Kosten (bis zu 100 Milliarden Euro) und den gesetzlichen Hürden stören. „Wir haben keine andere Wahl“, widerspricht Energieminister Hendry. „Schon bald werden wir von Energie-Importen abhängen, und diese Leitungen werden für unser Land lebenswichtig sein“.

Alexej Makartsev