Berlin

Analyse: Was der WM-Titel Deutschland bringt

Der vierte WM-Titel wird nicht nur die T-Shirt-Produktion in Deutschland beflügeln, gute Stimmung sorgt insgesamt für gute Geschäfte.  Foto: dpa
Der vierte WM-Titel wird nicht nur die T-Shirt-Produktion in Deutschland beflügeln, gute Stimmung sorgt insgesamt für gute Geschäfte. Foto: dpa

Das Foto in der Kabine entsteht weit nach Mitternacht. Die deutschen Fans zu Hause fahren längst Autokorso, als sich die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident in der Kabine neben den fast noch schwitzenden Fußball-Weltmeistern ins Bild quetschen.

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Von Rena Lehmann, Birgit Marschall und Georg Winters

Das Foto wird über die sozialen Medien im Internet binnen Stunden tausendfach versendet. Merkel und Gauck lachen fröhlich mit Poldi und Co. Natürlich wissen die Politiker um die Wirkung solcher Bilder. Ein WM-Titel bringt viel mehr als nur einen Pokal ins Land. Von seinem Glanz wollen viele profitieren.

Nicht nur Angela Merkel und Joachim Gauck schaffen es an diesem historischen 13. Juli 2014 auf die Bilder, die um die Welt gehen. Auch der Sportartikelhersteller Adidas, dessen drei Streifen ohnehin schon auf dem brasilianischen Rasen eine zuvor kaum erreichte Dominanz entfaltet hatten, schafft es mit seinem Firmenlogo sogar auf den goldenen Siegerhandschuh von Manuel Neuer, den er als bester Torhüter des Turniers überreicht bekam.

„Die Bilder transportieren Deutschlands gewachsenes Gewicht in der Welt – politisch wie ökonomisch“, sagt Frank Decker, Politikwissenschaftler in Bonn. Der vierte WM-Titel nach 1954, 1974 und 1990 setzt dieser Entwicklung gewissermaßen die Krone auf. Kein europäisches Land hat die Finanzkrise so schnell und erfolgreich überwunden wie Deutschland, und kein europäischer Politiker ist zurzeit so mächtig wie Angela Merkel. Der WM-Titel – er könnte Merkels ohnehin schon hoher Popularität und der robusten deutschen Wirtschaft nochmals Schub verleihen. „Das ohnehin schon vorhandene ,Merkelbild‘ wird durch ihre Teilnahme am Finale weiter gefestigt“, sagt Güllner. Sie wirke damit – wie in der Banken- und Euro-Krise – als „Kümmererin“, sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner.

Erst seit den 90er-Jahren suchen Politiker die Nähe zum Fußball

Der Sporthistoriker Nils Havemann von der Universität Stuttgart hat beobachtet, dass Politiker erst seit den 90er-Jahren ausdrücklich die Nähe zum Fußball suchen. „Beim ersten Titel 1954 war das noch anders. Fußball galt als etwas Proletarisches, von dem man sich eher abgrenzen wollte“, sagt Havemann. Seit der Jahrtausendwende ist Fußball aber immer stärker „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, meint der Experte. „Fußball ist ein Premiumprodukt geworden“, sagt Havemann.

Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie, lautet ein viel zitiertes und deshalb auch bereits etwas abgenutztes Bonmot des Wirtschaftswunder-Erfinders Ludwig Erhard. Doch wie recht der Mann mit der Zigarre damit hatte, zeigte sich in Deutschland nach dem Gewinn noch jeder Fußball-Weltmeisterschaft. Vor allem 1954. Erst der Titel hatte das Wirtschaftswunder damals so richtig entfesselt. Und auch 1974, mitten in der Ölpreiskrise, half der Titel, die Stimmung zu heben. 1990 hätte ihn Deutschland wirtschaftlich gar nicht nötig gehabt: die Wiedervereinigung hatte schon für genügend Sonderkonjunktur gesorgt.

Auch in diesem Sommer wird der WM-Titel nicht viel mehr als das I-Tüpfelchen auf eine ohnehin gute wirtschaftliche Entwicklung sein. Experten erwarten keine Kaufräusche oder Investitionsorgien. Allerdings könnte der Titel helfen, Deutschland über Konjunkturdellen hinüber zu helfen, die etwa drohen könnten, sollte die europäische Schuldenkrise zurückkehren. „Der WM-Titel ist gut für die Stimmung im Lande. Die Leute denken mehrheitlich: Uns geht's gut, wir sind wer. Das wird die Konsumlaune hoch halten und die gute Konjunktur stabilisieren“, sagt Andreas Scheuerle, Europa-Chefvolkswirt der Dekabank.

Auch im Außenhandel könnte der WM-Titel und der disziplinierte Auftritt der deutschen Mannschaft in Brasilien positive psychologische Wirkungen entfalten, meint Ökonom Scheuerle. „Das Ausland erinnert sich an die deutschen Qualitäten, zum Beispiel daran, dass die Deutschen hervorragende Produkte und intelligente Strategien austüfteln können. Das könnte den Export stärken und die ausländischen Investitionen in Deutschland.“ An der Börse wird der WM-Triumph allerdings kaum nachhaltige Konsequenzen haben – vermutlich nicht mal beim Sportartikelhersteller Adidas. Der Konzern aus Herzogenaurach profitierte als Ausrüster beider Finalisten zwar vom Hype um das WM-Endspiel. „Aber das trägt auch nur kurzfristig, vielleicht bis zum Quartalsergebnis“, meint Ralf Zimmermann, Aktienstratege beim Düsseldorfer Bankhaus Lampe.

Das WM-Trikot von Adidas mit den vier Sternen (für vier WM-Titel) für 85 Euro (plus 15 Euro bei aufgedrucktem Spielernamen) wird dieser Tage zum Verkaufsschlager. Diese Erwartungshaltung hat die Aktie angeschoben. „Aber für den DAX insgesamt hat das kaum Auswirkungen, weil das Gewicht von Adidas im Index zu vernachlässigen ist“, sagt Zimmermann. Der DAX hängt zu nicht mal 2 Prozent an der Entwicklung der Adidas-Aktie. Sobald die WM-Euphorie weg ist, dürften die Krisen in Nahost und der Ukraine wieder in den Blick rücken.