Wo Wähler heiß begehrt sind: Momentaufnahmen in Florida, dem wackligsten aller Swing States

Thomas Spang ist für unsere Zeitung in den USA unterwegs, um Themen zu beleuchten, die den Wahlkampf dominieren. Etwa die Rolle des Militärs.

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Lori Milkeris (40) fühlt sich umworben wie selten zuvor. Als Einwohnerin Floridas, weiße Frau mit höherer Bildung und Veteranin der Air Force gehört sie zu den Zielgruppen, die die Präsidentschaftskandidaten ins Visier genommen haben. Fast könnte sie denken, es hinge an ihr, ob der nächste Präsident der Supermacht USA Donald Trump oder Hillary Clinton heißt.

Dabei möchte Lori mit Politik am liebsten nichts zu tun haben. „Diese Wahlen sind ein Witz“, sagt die klinische Psychologin, die als Sozialarbeiterin des Veteranenzentrums an der West Florida State University Soldaten am Ende ihrer aktiven Dienstzeit hilft, den Übergang in die akademische Welt zu schaffen. Sie findet es „ziemlich traurig“, eine Entscheidung zwischen zwei Kandidaten treffen zu müssen, „die darum konkurrieren, wer unbeliebter ist“.

Doch Milkeris hat keine Chance, sich der Aufmerksamkeit zu entziehen. Täglich dringen Trump und Clinton via Mattscheibe unangemeldet in ihre Privatsphäre ein. Freiwillige Helfer der Kandidaten klopfen an ihre Tür oder lassen Wurfsendungen im Briefkasten. Das Telefon klingelt ohne Unterlass. Der Sonnenstaat mit seinen 29 Wahlmännerstimmen gehört zu den zehn Swing States, in denen entschieden wird, wer ins Weiße Haus zieht. Dabei handelt es sich um Staaten, die mal von einem Republikaner, mal von einem Demokraten mit weniger als 5 Prozent Abstand gewonnen wurden. 2016 zählen neben Florida unter anderem Colorado, Iowa, Nevada, New Hampshire, New Mexico, North Carolina, Ohio, Virginia und Wisconsin dazu.

Für die Wahl ins Weiße Haus benötigt ein Kandidat 270 Wahlmännerstimmen, die in den Bundesstaaten nach der Regel „The Winner Takes All“ (Der Gewinner bekommt alle Stimmen) vergeben werden. So gesehen, finden am 8. November de facto 50 Präsidentschaftswahlen statt. Seit 1988 haben die Republikaner 23 Staaten mit 191 Wahlmännerstimmen sicher, die Demokraten 18 Staaten und den District of Columbia (die Hauptstadt Washington) mit 232.

Das erklärt, warum die Wahlkämpfer ihre ganzen Ressourcen auf die Swing States konzentrieren, während in bevölkerungsreichen Staaten wie New York, Texas und Kalifornien fast nichts vom Wahlkampf zu spüren ist.

Sie zieht Wahlkämpfer wie ein Magnet an

Lori Milkeris lebt nicht nur in einem Swing State, sondern „dem wackligsten von allen“. So jedenfalls sieht es Steve Schale (42), der für Barack Obama 2008 und 2012 hier zwei erfolgreiche Wahlkämpfe organisierte. Stratege Schale hat ausgerechnet, dass Florida in den Präsidentschaftswahlen seit dem Jahr 2000 insgesamt 31,5 Millionen Stimmen abgegeben hat. Die Differenz zwischen Demokraten und Republikanern lag bei 70 000 Stimmen oder 0,26 Prozent. „Ein paar Tausend Stimmen mehr oder weniger entscheiden hier über Sieg oder Niederlage.“

Deshalb zieht Lori Milkeris die Wahlkämpfer wie ein Magnet an. Escambia County am westlichen Ende der „Florida Panhandle“ (Pfannengriff) konkurriert mit rund 120 000 aktiven oder pensionierten Soldaten stets um den Titel des Wahlbezirks mit der höchsten Konzentration an Militärs in den USA.

Die Politologin Michelle Williams, die an der University of Western Florida lehrt, weiß, „dass jeder Republikaner hier mit großem Abstand gewinnen muss, um die Verluste andernorts ausgleichen zu können“. Die Faustformel lautet 65 Prozent Plus. Die Frage sei in diesem Jahr, „ob die Militärgemeinde jemanden unterstützt, der sich ihr gegenüber geradewegs feindselig verhalten hat“.

Williams denkt an die Äußerungen Donald Trumps über die Führung der US-Streitkräfte, die er mit Sätzen abkanzelt wie: „Ich verstehe mehr vom IS als die Generäle.“ Vielfach als geschmacklos kam auch an, dass der Vietnam-Drückeberger im August von einem Veteranen einen Orden für verletzte Soldaten annahm. Oder wie er John McCains Folter durch die Vietcong herabwürdigte, als er sagte, ihm seien Soldaten lieber, die nicht gefangen würden.

Die Air-Force-Veteranin Milkeris, die zwischen 1994 und 1998 in Saudi-Arabien F-16-Kampfflugzeuge wartete, stört besonders, wie Trump die muslimischen Eltern des getöteten Kriegshelden Humayun Khan wegen ihres Glaubens angriff. „Er verbreitet Hass“, meint Lori, die auch enttäuscht darüber ist, dass Trump Veteranen mit posttraumatischen Problemen als schwach bezeichnete. „Er verstärkt damit ein Tabu“, weiß sie aus ihrer Praxis am Veteranenzentrum der Uni. „Ich hoffe nicht, dass seine Kommentare einem Soldaten die Hoffnung nehmen und ihn zum Selbstmord verleiten.“

Nationale Umfragen zeigen, dass Trump bei aktiven und ehemaligen Militärangehörigen zu diesem Zeitpunkt im Wahlkampf nicht dieselbe Unterstützung genießt wie Mitt Romney. Er führte 2012 mit 24 Punkten vor Obama, während der Rechtspopulist laut einer Fox-Erhebung nur mit 14 Prozent vorn liegt. In Wählerstimmen übersetzt bedeutet das ein Problem für Trump.

Die knapp 20 Millionen Veteranen in den USA machen rund 8 Prozent an der gesamten Wahlbevölkerung aus. Hinzu kommen 1,3 Millionen aktive Soldaten und 741 000 zivile Beschäftigte. Rechnet man die Familienangehörigen hinzu, liegt auf der Hand, was 10 Prozent weniger Unterstützung bedeuten. Erst recht in einem Wechselwählerstaat wie Florida.

Don Roe (63) hält die Khan-Geschichte für eine „dieser typischen Übertreibungen der Medien“, die gemeinsame Sache mit den Demokraten machten. Normalerweise würde er mit der Presse auch gar nicht sprechen, holt der joviale Geschäftsmann und Veteran aus, der Anfang der 80er-Jahre als Marine für sechs Jahre lang am Steuerknüppel eines „Cobra“-Huschraubers saß.

Dann öffnet er doch großzügig die Tür zu seinem Arbeitszimmer in seinem Anwesen vor den Toren Pensacolas. Die Wand des Zimmers ist mit einer Kollektion an patriotischen Plakaten dekoriert, die Amerikas Unabhängigkeit zelebrieren. „Ich mache mir sehr, sehr große Sorgen, welches Land wir unseren Nachfahren hinterlassen“, sagt er. Amerika könne sich jemanden wie Hillary Clinton nicht leisten. „Sie genießt keinen Respekt im Militär“, meint der Veteran, der ihr schlechtes Urteilsvermögen attestiert. Irak, Libyen, Iran – die Liste der Vorhaltungen ist lang. „Die Generäle trauen ihr nicht über den Weg“, sagt Roe. Dass irgendein Veteran für Clinton stimmen werde, kann Roe sich nicht vorstellen. „Ich kenne keinen.“

Clinton hat Probleme, aber auch Potenzial in Floridas „Pfannengriff“

Politstratege Schale räumt die Schwierigkeiten Clintons im „Pfannengriff“ ein. Dennoch sieht er Potenzial für Clinton bei den Veteranen und hält ihre Entscheidung für richtig, auch in Hochburgen Trumps Wahlkampf zu machen. „Sie sammeln die Stimmen überall ein, wo sie zu holen sind. Jede Stimme zählt.“

Während die Republikaner an Orten wie Pensacola punkten müssten, gilt es für die Demokraten, im Süden abzuräumen, der von Latinos geprägt wird. „Team Clinton hofft hier, im Vergleich zu Obama zusätzliche Wähler gewinnen zu können“, sagt Schale. Es sei deshalb kein Zufall, dass Tim Kaine seine Kandidatur als Clintons Vizepräsident in Miami angekündigt hatte.

Ein besseres Ergebnis bei den Militärs könnte in einem Staat helfen, dem Heimkehrer aus dem Zweiten Weltkrieg zum ersten großen Bevölkerungswachstum verhalfen. Heute sind es vor allem die Regionen um Jacksonville, Tampa und Pensacola, die einen hohen Veteranenanteil haben.

Eric Carlson (50) gehört zu den umworbenen Wechselwählern unter den Veteranen. Er diente Ende der 80er-Jahre auf dem U-Boot „USS Albuquerque“, stimmte für George Bush senior und Barack Obama. Wie viele Wähler ist er unglücklich mit der Alternative bei diesen Wahlen. „Ich gebe niemandem meine Stimme, der uns in Gefahr bringt.“ Bei Trump sei dies offenkundig. „Aber ich traue auch Hillary nicht über den Weg.“ Eric Carlson überzeugt das Argument nicht, dass eine Wahl für den Libertären Gary Johnson oder die Grüne Jill Stein eine weggeworfene Stimme sei. Der Bernie-Sanders-Anhänger neigt nun zu der grünen Kandidatin, „weil die am nächsten an den Positionen Bernies liegt“. Doch Carlson ist gewiss eine Ausnahme im „Florida Panhandle“.

Trump war schon zweimal in Pensacola, zuletzt am 9. September, als er seine 12 500 Anhänger im „Pensacola Bay Center“ mit markigen Sprüchen aufpeitschte. Er werde das Militär so stark aufrüsten, „dass sich niemand mehr mit uns anlegt“, und Amerika zur alten Größe zurückführen.

Stratege Schale warnt davor, zu viel aus solchen Veranstaltungen herauszulesen. „Sie brauchen die Strukturen vor Ort, Begeisterung in Wählerstimmen umzusetzen.“ Hillary Clinton habe mit ihren 57 Wahlkampfbüros in Florida einen enormen Organisationsvorsprung. Trump hat in Pensacola erst kürzlich eines im Zentrum der Stadt eröffnet. „Aber als Demokrat mache ich mir schon Sorgen um die Intensität der Unterstützung für Hillary“, sagt Schale.

In der heißen Phase des Wahlkampfs werden die Unentschiedenen und Unmotivierten durch sogenanntes Mikro-Targeting erreicht. Die große Unbekannte für Experten wie Schale bei diesen Wahlen bleibt der Negativ-Wettbewerb. Nie zuvor traten zwei Kandidaten gegeneinander an, die schon zu Beginn des Wahlkampfs so unbeliebt waren wie Trump und Clinton.

Damit hängt am Ende tatsächlich alles an Wählern wie der Veteranin Lori Milkeris. Entscheidet sie sich für Hillary Clinton, um Donald Trump zu verhindern? Oder kann sie beide nicht unterstützen und wählt einen dritten Kandidaten? Oder bleibt sie zu Hause? So oder so – auf Loris Stimme kommt es im wackligsten aller Swing States am Ende wirklich an.