Berlin

Warum kommen jetzt so viele Nordafrikaner?

Festung Europa: Der Grenzübergang zwischen dem marokkanischen Beni Ensar und dem spanischen Melilla ist mit Stacheldraht gesichert. Viele junge Nordafrikaner entfliehen der wirtschaftlichen Not in ihren Ländern mittlerweile aber über die Balkanroute nach Deutschland. Foto:  dpa
Festung Europa: Der Grenzübergang zwischen dem marokkanischen Beni Ensar und dem spanischen Melilla ist mit Stacheldraht gesichert. Viele junge Nordafrikaner entfliehen der wirtschaftlichen Not in ihren Ländern mittlerweile aber über die Balkanroute nach Deutschland. Foto: dpa

Die vor einem Jahr stark angestiegenen Zahlen von Flüchtlingen aus den Ländern des westlichen Balkans vor Augen, läuten bei Innenexperten erneut die Alarmglocken: Die Fluchtbewegung von Menschen aus dem Maghreb wächst in diesen Tagen ähnlich an. Worum geht es, welche Probleme tun sich auf – und wie reagiert die Politik darauf? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

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Von unseren Berliner Korrespondenten Birgit Marschall und Gregor Mayntz

Um wie viele Flüchtlinge geht es?

Die Zahl der registrierten Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten ist im Verlauf des Jahres 2015 kontinuierlich gestiegen. Im Dezember nahmen knapp 3000 Marokkaner erstmals Platz fünf der Hauptherkunftsländer ein. Weitere 2300 kamen aus Algerien. Das Statistische Bundesamt zählte 2014 fast 68 000 Marokkaner in Deutschland. Dabei erhält nur ein Marokkaner von 27 und ein Algerier von 59 in Deutschland Schutz zugesprochen. Gut 8000 Nordafrikaner waren zum Jahresende ausreisepflichtig.

Was ist die Motivation für die Flucht nach Europa?

In Marokko, Algerien und Tunesien herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit. Viele junge Menschen sehen in den nordafrikanischen Ländern keine Perspektive mehr. Und sie haben mittlerweile erkannt, dass sich die Tür nach Mitteleuropa auch für sie weit geöffnet hat, nachdem das Dublin-Verfahren der Europäischen Union gescheitert ist und sie von Griechenland aus über die Balkanroute nach Deutschland gelangen können. Über das Internet verbreiten sich die offenen Zugangswege rasend schnell. Viele Nordafrikaner geben sich allerdings als Syrer aus – und kommen ohne ihre Identitätsnachweise nach Deutschland.

Wie lassen sich Nordafrikaner ohne Schutzanspruch zurückschicken?

Im Prinzip sollte es damit keine Probleme geben, da Deutschland mit den Staaten klare Rücknahmeabkommen hat. Doch in der praktischen Umsetzung scheiterte es oft an der Kooperationsbereitschaft. So wollte Deutschland zum Beispiel Mitte des vergangenen Jahres 5500 Algerier, Marokkaner und Tunesier in ihre Herkunftsländer zurückbringen. Doch nur 53 konnten am Ende abgeschoben werden. Die Länder verweisen auf fehlende Papiere oder reagieren erst überhaupt nicht auf deutsche Anfragen. „Wenn es um die Abschiebung von verurteilten Straftätern geht, halten sich einige Staaten wohl auch deshalb zurück, weil sie an der Rücknahme dieser Problemfälle überhaupt kein Interesse haben“, erläutert der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Das sei ja eben „nicht gerade die Crème de la Crème“.

Mit welchen Konsequenzen droht Deutschland den Maghreb-Staaten?

„Wenn sich die nordafrikanischen Staaten dieser Verpflichtung entziehen wollen, dann werden wir freilich auch Druck ausüben müssen“, erklärt Unionsfraktionsvize Thomas Strobl (CDU) – und verweist auf einen Beschluss des Bundesparteitags, wonach die Zahlung von Entwicklungshilfe an die Bereitschaft zur Rücknahme geknüpft werden sollte. Ähnlich hatte sich SPD-Chef Gabriel bereits geäußert. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hält sich an dieser Stelle jedoch auffällig zurück. Sein Haus stellt stattdessen heraus, dass Fluchtursachen häufig mit instabilen Verhältnissen in den Herkunftsländern zusammenhängen. Das Streichen von Entwicklungshilfe könne somit zu einer weiteren Destabilisierung führen.

Was bringt die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten?

Die Methode führte beim Westbalkan zu einer drastischen Abnahme der Flüchtlingszahlen von mehreren Tausend pro Monat auf wenige Dutzend. Die Union will nach diesem Vorbild in der Koalition durchsetzen, dass nun auch Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Dazu braucht sie die Zustimmung der SPD und eine Mehrheit im Bundesrat. „Meine größte Sorge sind im Moment die Maghreb-Staaten“, erklärt Unionsfraktionsvize Strobl. „Wir werden Marokko, Algerien, Tunesien und möglicherweise noch andere nordafrikanische Staaten schnell zu sicheren Herkunftsstaaten erklären“, betont er. „Wir müssen frühestmöglich ein Signal in diese Länder senden: Macht euch nicht auf den Weg, weil es sich nicht lohnt und ihr schnell wieder zu Hause seid.“

Machen SPD und Grüne mit?

SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach sich dafür aus, deshalb rechnet die Union mit einer schnellen Einigung. Im Bundesrat könnte es Probleme geben. Grünen-Chefin Simone Peter lehnte den Schritt ab und verwies auf Menschenrechtsverletzungen und die Verfolgung von Minderheiten. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann könnte jedoch zustimmen. Sein Land verteilt Flüchtlinge aus Algerien, Marokko, Tunesien, Ägypten und Libyen nicht mehr an die Landkreise, sondern behält sie in der Erstaufnahme. Ziel: schnellere Abschiebung.