Umweltexperte Axel Friedrich: Der Schreck der Autoindustrie

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Die Innovationskraft der deutschen Automobilindustrie ist groß, wird aber leider manchmal falsch eingesetzt", sagt Axel Friedrich. Ironisches Auflachen. Der 68-jährige Chemiker aus Berlin gehört zu den wichtigen Akteuren im deutschen Abgaskrimi. Der von ihm mitgegründete Internationale Rat für sauberen Verkehr (International Council on Clean Transportation, kurz: ICCT) wollte eigentlich nur nachweisen: Autos in Deutschland können sauberer sein, als sie es derzeit sind.

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Schaut in die USA, dort sind Grenzwerte viel strenger, und deutsche Autos schaffen sie dennoch. So flog auf, dass VW betrügt, die Grenzwerte auf dem Prüfstand durch Softwaretricks zwar einhält, im wirklichen Leben aber um ein Vielfaches überschreitet.

Axel Friedrich ist Überzeugungstäter. Das war er schon, als er noch Leiter der Verkehrsabteilung im Umweltbundesamt war. Schon damals eckte er an. Seit 2008 ist er freier Berater, ein „Freund der Allergiker und Lungenkranken“, der mühsam gegen Konzerne und ihre Anwälte kämpft. Privat fährt er meist Fahrrad und besitzt einen Fiat 500. Sein Auto ist 43 Jahre alt und hat einen Katalysator.

Zum Testen von Abgaswerten braucht Friedrich nur zwei kastenförmige Apparaturen. Damit lässt sich ermitteln, wie viele gesundheitsschädigende Stickoxide und welche Mengen Kohlendioxid (CO2) der Wagen in die Luft pustet. Und zwar bei der Fahrt auf der Straße. Ein Geräteset – in Fachkreisen PEMS genannt – kostet 30 000 bis 90 000 Euro.

Manipulation hat Tradition

Aktuell soll Friedrich im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) Stickoxidwerte messen. Die Umwelthilfe ist ein Verein, der versucht, Autobauer, Politik und Behörden mit Abgaschecks unter Druck zu setzen. Bei Herstellern gilt die DUH als rotes Tuch. Für Friedrich hat ein DUH-Mitarbeiter den nagelneuen VW Golf von einem Autohändler gemietet.

Die Manipulation von Abgaswerten hat eine lange Geschichte. Sie beginnt nicht erst mit den Vorwürfen gegen VW. Auf einem Teststand mit Rollen, auf dem eine Autofahrt nur simuliert wird, sei die Manipulation relativ leicht, sagt Friedrich – vorausgesetzt ein Hersteller beschäftige kreative Ingenieure. „Ich habe schon zwölf verschiedene Methoden entdeckt, mit denen das Auto verstehen könnte, dass ein Prüfzyklus läuft“, sagt Friedrich. Warum das so wichtig ist? Weil das Fahrzeug nur dann für den Test vorübergehend seinen Schadstoffausstoß und seinen Spritverbrauch senken kann.

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Friedrich zählt verschiedene Methoden auf, mit denen ein Hersteller manipulieren kann: „Mit Temperatursensoren, die den Abgasausstoß drosseln, wenn das Auto sechs Stunden lang einer Temperatur von 25 Grad ausgesetzt ist. Denn das ist die Temperatur, die für die sogenannte Vorkonditionierung des Fahrzeugs vor dem Abgastest vorgeschrieben ist.“ Andere Autohersteller haben ihre Wagen so programmiert, dass sie an einer spezifischen Lenkradstellung oder bei einer Beschleunigungsabfolge „merken“, dass ein Tester am Werk ist. „Bei einem anderen Modell hatten die Entwickler die GPS-Daten aller europäischen Prüfstellen eingegeben. Das heißt, das Auto erkannte, wenn es zu einer Prüfstelle gefahren wurde“, weiß Friedrich.

Der Wolfsburger Hersteller VW hatte kurz nach den Vorwürfen der US-Behörden eingeräumt, in den Vereinigten Staaten seit 2009 mit einer speziellen Software Emissionswerte bei Hunderttausenden Dieselwagen manipuliert zu haben. Der Konzern ist deshalb inzwischen mit Klagen konfrontiert. Ihm drohen Milliardenstrafen.

Experten wie Friedrich gehen allerdings davon aus, dass auch andere Hersteller von Dieselautos getrickst haben. Und sie befürchten, dass die Möglichkeiten zum Betrug nicht automatisch enden werden, wenn im September 2017 in der Europäischen Union Straßentests Vorschrift werden. Ihr Name: Real Driving Emissions (RDE) Tests. Dabei messen Prüfer während der Fahrt die Schadstoffmengen von neuen Wagen. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat nach eigenem Bekunden nichts gegen die Straßentests, die das Europaparlament im vergangenen Februar beschlossen hat. Der frühere CDU-Verkehrsminister und heutige VDA-Präsident Matthias Wissmann lobte, die Messungen brächten Autokäufern „Klarheit und Zuverlässigkeit“. VDA-Sprecher Eckehart Rotter stellt fest: „Ich kann jetzt nicht erkennen, wo hier noch Manipulationsmöglichkeiten wären.“

„Auf der Straße werden Manipulationen und Betrug sehr viel schwieriger werden“, sagt auch Peter Mock von der internationalen Forschungsorganisation ICCT, dem Verband, der den VW-Skandal ins Rollen gebracht hat. Ganz ausgeschlossen seien geschönte Abgaswerte aber auch mit der neuen Methode nicht, betont der Chemiker. Wenn ein Fahrzeug auch die mobile Messung als Test erkennen könne, bliebe das Tor für Trickser offen. Zum Beispiel wenn die Prüfer das elektronische Fahrzeugdiagnosesystem des Autos anzapfen sollten, um zusätzliche Daten abzugreifen.

Ein zweiter Schwachpunkt: Ein Auto könne so programmiert werden, dass es seinen Schadstoffausstoß drosselt, „wenn eine Mess-sonde in den Auspuff hineingehängt wird“, sagt Peter Mock. Das Fahrzeug könne dann etwa mehr Harnstoff als normal in den Katalysator einspritzen. Die Harnstofflösung wandelt Stickoxide in harmlosen Wasserdampf und Stickstoff um. Die Emissionswerte wären dann kurzfristig niedriger.

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Prüfinstitute wie Dekra, ADAC und TÜV verfügen bereits über die Technik für mobile Tests. „Für die Erfassung von Daten wie Fahrstrecke und Fahrgeschwindigkeit wird ein GPS genutzt“, erklären Fachleute beim TÜV Nord. Das Auslesen zusätzlicher Daten aus dem Fahrzeugdiagnosesystem ist jedoch – so der Stand der Gesetzespläne – möglich. Und damit das Signal: Hallo, hier läuft ein Test.

Der TÜV Nord hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Messungen auf der Straße im Auftrag von Behörden, Umweltgruppen und Autoherstellern gemacht. Für das Umweltbundesamt (UBA) hat er gerade die NOx-Emissionen von zwei Dieselautos gemessen. „Die waren natürlich höher als die gesetzlichen Grenzwerte“, sagt Lars Mönch, der in Friedrichs ehemaliger Wirkungsstätte heute die Abteilung Schadstoffminderung und Energieeinsparung im Verkehr leitet. Auch dass ein Hersteller wie VW Abgaswerte manipuliert habe, sei für ihn nicht sehr überraschend gewesen.

Schließlich hätten die von seiner Behörde veranlassten Messungen der Luftqualität schon vor Jahren Hinweise geliefert. Hinweise, dass die Schadstoffwerte der Autobauer nicht mit der Summe der Schadstoffe in der Luft zusammenpassten. Für die Zulassung der Fahrzeuge ist aber nicht das Umweltbundesamt zuständig, sondern das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA).

Selbst wenn gerade viel über Abgastests an Autos berichtet wird: Für unabhängige Organisationen und Behörden, die sich mit den schädigenden Folgen des Autoverkehrs befassen, ist es oft nicht leicht, ein Prüfinstitut zu finden. „Die Resonanz auf unsere Ausschreibungen ist teilweise recht niedrig“, sagt UBA-Mann Mönch.

Woran mag das liegen? Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, glaubt, dass sich viele Prüfinstitute bei derartigen Aufträgen bewusst wegducken – und zwar, weil sie finanzstarke Auftraggeber aus der Autobranche nicht verärgern wollen. Er sagt, wenn seine Organisation Energiesparlampen oder Ähnliches testen lassen wolle, habe sie nie ein Problem, den Auftrag zu platzieren. Fast unmöglich werde es aber in dem Moment, „wo wir versuchen, Betrügereien der Automobilindustrie auf die Spur zu kommen“.

Sind Prüfinstitute unabhängig?

Deshalb sei die DUH für ihre jüngsten Prüfstandtests auf Anbieter im europäischen Ausland ausgewichen. Deutsche Prüfinstitute weisen den Vorwurf der Abhängigkeit strikt von sich. Doch auch Mönch vom Umweltbundesamt sagt: „Ich stelle die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, eine vom Staat bezahlte unabhängige Prüfstelle einzurichten, die mit weitgehenden Befugnissen ausgestatten wäre.“

Tatsächlich gehört die Einrichtung einer solchen Stelle zu den Maßnahmen, die eine von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) eingesetzte Untersuchungskommission nach Bekanntwerden des VW-Skandals vorgeschlagen hat. Ob dafür eigens ein neues Institut geschaffen werden soll, ist noch offen. Oder ob die Verantwortung beim Kraftfahrt-Bundesamt liegen soll.

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Dass Autohersteller Friedrichs Emissionstests in den vergangenen Monaten mehrfach öffentlich angezweifelt haben, lässt den 68-Jährigen kalt. Er sagt, wenn ihm Hersteller wirklich Fehler hätten nachweisen können, läge die Sache längst bei Gericht. „Wer sich mit der Automobilindustrie anlegt, darf nicht naiv sein – diese Branche ist unverschämt.“ Die Angesprochenen dürften das anders sehen, die Autoindustrie beschäftigt hierzulande mehr als 790 000 Menschen.

Ob deutsche oder ausländische Marken – die DUH hat in den vergangenen Monaten verschiedene Dieselfahrzeuge testen lassen. Bei jedem Test stellte sie Stickoxid-emissionen fest, die über dem gesetzlichen Grenzwert liegen. Friedrich war als Berater immer dabei. DUH-Chef Resch sagt: „Wenn wir an irgendeiner Stelle falschliegen würden, dann hätten wir sofort eine einstweilige Verfügung kassiert.“

Als Axel Friedrich in den Ruhestand ging, freuten sich einige seiner Widersacher aus der Industrie, „dass der endlich weg ist“. Ein anderer aus der Branche habe dagegen gewarnt, es könnte nach seinem Ausscheiden aus der Behörde noch schlimmer werden, „denn jetzt hat den keiner mehr unter Kontrolle“. Leises Lachen. „Der Zweite, der kannte mich besser.“

Anne-Beatrice Clasmann