Rheinland-Pfalz

TEIL 5: Willkommen in Behördistan

Unterbringung immer schwieriger Foto: Fotolia

Überfüllte Aufnahmezentren, überforderte Antragsentscheider und ein fast leeres Abschiebegefängnis – was Flüchtlinge in unserem Land erwartet.

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So läuft das Asylverfahren ab

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Es ist John Obinnas letzte Adresse in Deutschland auf seiner Flucht nach Europa: Konrad-Adenauer-Straße 51, 55218 Ingelheim. Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige nennen es die Behörden, Abschiebeknast der Volksmund.

Vor zwölf Jahren hatte der Nigerianer John Obinna ein Flugzeug nach Paris bestiegen und blieb dann einfach dort. Er fand einen Job als Bauarbeiter, er lebte mal in Frankreich, dann in Deutschland, es gab eine Frau in Karlsruhe, ein Kind und jede Menge Streit. Zumindest erzählt er das. Obinnas Aufenthalt war immer einer zwischen Legalität und Illegalität. Bis ihm die Behörden eine Ausreisefrist setzten. Noch einmal floh er, diesmal nach Schweden, aber auch dort durfte er nicht bleiben. Jetzt also Ingelheim. Ein Gefängnis, das nur diesen einen Zweck kennt: Menschen einzusperren, damit sie mit Sicherheit wieder in ihr Heimatland zurückgebracht werden können.

Drohen Folter und Tod?

John Obinna sagt, dass ihm in Nigeria Verfolgung und Folter drohen. Jetzt kurz vor der Abschiebung führt er dieses neue Argument an. Aber es wird ihm nicht helfen, denn es wird nur wenige Tage dauern und Obinna sitzt wieder in einem Flugzeug. Diesmal nicht freiwillig. Der Fall ist für Deutschland abgeschlossen. Abgeschoben. Asylantrag erledigt.

202.843 Asylanträge wurden im vergangenen Jahr in Deutschland gestellt, 10.360 davon in Rheinland-Pfalz. Aus allen Landesteilen rufen die Behörden um Hilfe, weil ihnen Geld und Wohnplätze fehlen. Nur im Abschiebegefängnis Ingelheim, vor 14 Jahren für 152 Insassen gebaut, herrscht eine beinah gespenstische Leere. Zwölf Menschen halten sich in dem inzwischen auf 40 Plätze reduzierten Gefängnis auf. Zwölf Menschen auf einem 20.000-Quadratmeter-Gelände. Nicht einer davon stammt aus Rheinland-Pfalz. Gäbe es nicht eine Kooperation mit dem Saarland und die Amtshilfeverfahren für Baden-Württemberg und Hessen – das Gefängnis stünde leer.

Man mag es kaum glauben. Als das Abschiebegefängnis 2001 gebaut wurde und deshalb das damalige Aufnahmezentrum für Asylbewerber größtenteils abgerissen wurde, begründete dies der damalige Innenminister Walter Zuber mit stark sinkenden Asylanträgen. In der Zwischenzeit aber haben sich Abschiebungen und Asylanträge in Rheinland-Pfalz entgegengesetzt entwickelt. Die Zahl der Anträge hat sich seit dem Jahr 2000 beinahe verdoppelt. Die Zahl der insgesamt aus Rheinland-Pfalz abgeschobenen Asylbewerber sank hingegen von 717 im Jahr 2004 auf 137 im Jahr 2013.

Das hat mehrere Gründe. Viele der heutigen Antragsteller stammen tatsächlich aus Kriegsgebieten und dürfen deshalb hier bleiben. Aber was viel wichtiger ist: Die politischen Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren geändert. Bleiberechtsregelungen wurden beschlossen. Zudem wird heute vor allem auf freiwillige Rückkehr gesetzt, nicht nur, weil dies humaner ist, sondern auch weil es Geld spart. Das Betreiben solcher hoch gesicherten Gefängnisse für Menschen, die keine Straftat begangen haben, sondern einzig nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren wollen, ist heutzutage schwer vermittelbar.

Abschiebehaft darf nicht abgeschafft werden

Eigentlich braucht niemand diesen Klotz aus einer anderen Zeit, der das Land jedes Jahr mehr als 5 Millionen Euro kostet. Der rheinland-pfälzische Landtag hat deshalb vor drei Jahren beschlossen, dass die Abschiebehaft abgeschafft werden soll. Das war gut gemeint, allerdings wäre das ein Verstoß gegen Bundes- und Europarecht. Würde das Gefängnis geschlossen, müssten Häftlinge in normalen Gefängnissen untergebracht werden. Flüchtlinge und Verbrecher in eine Zelle stecken – das ist für den Europäischen Gerichtshof nicht zulässig.

Dies alles führt zu einer absurden Situation: Das rot-grüne Rheinland-Pfalz will die Abschiebehaft nur als allerletztes Mittel einsetzen, damit das Gefängnis praktisch überflüssig machen. Gleichzeitig soll die Haft so human wie möglich gestaltet werden. Die Wände im Flur wurden mit Blümchen verziert. Die wenigen Häftlinge wie John Obinna können sich im Gefängnis zum Teil frei bewegen und dürfen ihr Handy benutzen.

Nur wenige Schritte weiter kann man in der Zwischenzeit beinahe zusehen, wie die Zahl der Asylbewerber wächst. Zwei Busse bringen gerade neue Asylbewerber in die Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA). In dem Heim werden Flüchtlinge untergebracht, bevor sie auf die Kommunen verteilt werden. Ingelheim ist die Außenstelle der Trierer Einrichtung. Bald soll die Ingelheimer Einrichtung eigenständig werden. Vor zwei Jahren war die Unterkunft in Ingelheim wieder eröffnet worden. Das Heim ist in direkter Nachbarschaft zum Abschiebegefängnis. Was das Heim und das benachbarte Abschiebegefängnis eint, sind die nicht eingetroffenen Prognosen der Vergangenheit. Das Gefängnis ist für zwölf Häftlinge zu groß, die Erstaufnahmeeinrichtung für 450 Menschen eigentlich zu klein.

In Trier stehen schon Zelte – wie in einem Notstandsgebiet

Die Erstaufnahmeeinrichtung wird von der Landesbehörde ADD betreut. Die Behörde sucht derzeit nach Alternativen. In Trier wurde bereits ein Zelt aufstellt. Das Zelt ist beheizt und verglichen mit manch anderen Unterkünften ist es nicht die schlechteste Wahl. Aber Zelte senden eine starke Symbolik aus. Zeltunterkünfte stehen für Notstand, für Afrika, aber nicht für Deutschland.

Khaweja Sediqi (28) aus Kabul hat Glück gehabt. Sie hat ein Zimmer in der Unterkunft erhalten. Mit ihrem Mann und den drei Kindern war sie nach Deutschland geflüchtet. „Unser Leben war in Gefahr.“ Ihr Mann, erzählt sie, hatte beobachtet, wie Taliban eine Bombe an einem Lkw anbrachten, der Lebensmittel in ein Isaf-Lager bringen sollte. Er meldete es, aber die Taliban sahen ihn. Wenig später griffen die Taliban ihr Haus an. Hals über Kopf verließen die Sediqis das Land. Jetzt hoffen sie auf Schutz in Deutschland. „Ich habe Angst“, sagt Sediqi, „ich weiß nicht, was die Zukunft bringt.“

Über ihre Zukunft entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Behörde entscheidet, ob Menschen bleiben dürfen oder gehen müssen. Sie werden Entscheider genannt. Aber die Entscheider kommen nicht zum Entscheiden. Überhaupt: Sie kommen nicht mal dazu, alle Anträge anzunehmen.

Entscheider sind überfordert

Das hat Folgen. Eigentlich sollten Asylbewerber möglichst rasch in eine Wohnung in die Kommunen gebracht werden. Auch um Platz für neue Flüchtlinge zu schaffen. Die Kommunen aber drängen darauf, dass Asylbewerber möglichst spät verteilt werden. Sie brauchen die Zeit, um Wohnungen zu finden. Spätestens nach drei Monaten müssen Flüchtlinge Ingelheim aber auf jeden Fall verlassen haben.

So ist das schwarze Brett einer der spannendsten Orte im der Asylunterkunft in Ingelheim. Jede Woche werden dort die sogenannten Transfers aufgeschlagen: Hier stehen die Namen und die Kommunen, denen die Bewohner zugewiesen wurden. Wer seinen Namen liest, der weiß, er kommt einer neuen Heimat ein Stück näher.

Verteilungsverfügung, heißt es auf Amtsdeutsch. Es ist das Signalwort für Werner Junker vom Sozialamt der Stadt Koblenz. Zwei Wochen vor Ankunft neuer Asylbewerber wird er darüber informiert, welche Flüchtlinge auf die Stadt zukommen. Natürlich kann Junker langfristiger planen. Dafür gibt es sogenannte Zugangsprognosen. Das Land rechnet mit bis zu 15.000 Asylbewerbern in diesem Jahr. Das bedeutet für Koblenz etwas mehr als 400.

Offizielle Stelle stellt halboffiziele Bescheinigung aus

Wenn Flüchtlinge bei Junker erscheinen, werden sie zum Fall für die Kommunen. Die Behörde sorgt dafür, dass Asylbewerber Geld und Unterkunft erhalten. Meist kommt jetzt auch die Ausländerbehörde ins Spiel. Auch wenn sie eigentlich noch gar nicht für die Flüchtlinge zuständig wäre. Aber Gemeinden berichten, dass viele Asylbewerber verteilt werden, ohne dass sie einen Termin für eine Antragstellung bei den Entscheidern des Bundesamtes hatten. Das bedeutet: Sie besitzen oft auch noch keine vorübergehende Aufenthaltsgestattung. Deshalb müssen Ausländerbehörden eine halboffizielle Bestätigung ausstellen – um zumindest eine legale Lösung zu finden.

Über das Sozialamt werden Flüchtlinge jetzt auf die Wohnungen und Sammelunterkünfte verteilt. Jetzt werden die Flüchtlinge für viele Kommunen zum Problem. Nicht nur in Koblenz ist der Wohnungsmarkt für Leute mit geringem Einkommen begrenzt.

Sieben bis acht Monate dauert es derzeit im Schnitt bis schließlich das Bundesamt über einen Asylantrag entschieden hat. Für viele Abgelehnte beginnt dann aber erst ein Leben im Limbus des Wartens. Zu oft ist es für viele der Auftakt zu einem jahrelangen Streit vor Gericht bis sie wirklich angekommen sind – oder eben im Abschiebegefängnis von Ingelheim landen.

Dietmar Telser