Rheinland-Pfalz

Stabwechsel: Kurt Beck freut sich jetzt auf mehr private Zeit

Auf den ersten Blick beginnt dieser Mittwoch für Ministerpräsident Kurt Beck (fast) wie immer. Nur: An der Tür zu seinem Büro hängt in der Staatskanzlei schon Malu Dreyers Namensschild. Er geht in die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Ihr gehört er seit 1979 an – für junge Leute eine halbe Ewigkeit. Mit der Normalität ist es für Beck spätestens zu diesem Zeitpunkt vorbei: Seine SPD-Landtagsfraktion kennt an diesem 16. Januar eigentlich auch nur einen Tagesordnungspunkt: seinen Abschied, der auch ein Ende einer Ära ist. Denn Beck ist bis 11 Uhr nicht nur dienstältester Ministerpräsident in Deutschland, er hat auch die Fraktion über Jahrzehnte geprägt: Bis 1994 war er ihr Chef. Seit 1993 hat er als Parteichef den Kurs vorgegeben, seit 1994 auch als Ministerpräsident. „Jetzt bin ich der Alte“, meint Landtagspräsident Joachim Mertes anschließend trocken, während neben Wehmut auch viel Vorfreude auf Dreyer zu spüren ist.

Mit welchen Gefühlen geht aber Beck in die Sondersitzung des Landtags – mit Abschiedsschmerz, auch mit Erleichterung? „Mit beidem“, meinen Weggefährten, die ihn gut kennen. In der Tat wirkt der Südpfälzer in Gesprächen gelöst. Doch zwischendurch schweift sein Blick ganz nach innen oder ganz weit weg. Aber beim Weg zum Landtag hat der 63-Jährige vielleicht noch einmal über seinen Coup geschmunzelt, Sozialministerin Malu Dreyer (SPD) zu seiner Nachfolgerin auszurufen. Sie ist kurz danach die vierte Landesmutter, aber heute schon nicht nur dank „Bunte“, „Brigitte“ und „Bild“ bundesweit viel bekannter als Christine Lieberknecht (Thüringen) und Annegret Kramp-Karrenbauer (Saarland, CDU) und fast so populär wie Hannelore Kraft (NRW).

Dann, kurz nach 11 Uhr, endet eine Ära im Landtag – offiziell nur mit einem Satz, den Beck dem Präsidenten zuvor schriftlich überbracht hat. Im Plenum kann Beck in seiner 774. Plenarsitzung auch noch einmal kurz Bilanz ziehen – vor allem mit vielen Dankesworten an die Rheinland-Pfälzer, die seit 1947 mit viel Fleiß und nach der Wiedervereinigung Gigantisches geleistet hätten. Mit gewissem Stolz hält Beck fest, dass sich die Arbeitslosigkeit in seiner Amtszeit in dem Land, dem 1947 kaum jemand Überlebenschancen gab, halbiert hat. Dem Südpfälzer ist auch noch einmal ganz wichtig, vor dem Parlament sein Beck- Bild zurechtzurücken. Sein Antrieb in der katholischen Jugend, in der Gewerkschaft und in der Politik sei es gewesen, sozialgerechte Bildungschancen zu schaffen, nicht aber große Prestigebauten. Dabei spricht er den Nürburgring nicht direkt an, gibt aber zu bedenken: „Wer arbeitet, macht auch Fehler. Das tut mir leid.“ Wie „König Kurt“ wirkt er da nicht. Sein Wunsch zum Abschied lautet: „Wenn wir vor dem Ich das Wir betonen, wird das Land eine gute Zukunft haben.“

„Diese Selbsterkenntnis zum Schluss verwundert“, reagiert eine CDU-Abgeordnete spitz auf die Rede. Aber beim minutenlangen Beifall zeigt auch die CDU-Fraktion händeklatschend Respekt. Kurz nach 11.30 Uhr verlässt Beck nach der launigen und „den Kurt“ würdigenden Rede des Landtagspräsidenten Mertes endgültig die Regierungsbank, um Dreyer zu wählen. Sein Platz (noch bis Anfang Februar) ist nun in der ersten Reihe in der Fraktion – neben Fraktionschef Hendrik Hering, der wie Innenminister Roger Lewentz lange als Becks Kronprinz gehandelt wurde. Als Mertes das Wahlergebnis verkündet und die rot-grünen Reihen geschlossen stehen, strahlen Beck und Hering gemeinsam. Beim ersten Glückwunsch- Küsschen lässt Beck Klaus Jensen, Malu Dreyers Ehemann, den Vortritt.

Während Beck beim Empfang viele Hände schüttelt, leitet die erste Regierungschefin von Rheinland-Pfalz ihre erste Kabinettssitzung. Ihr Vorgänger freut sich, mit sich im Reinen wirkend, jetzt „auf mehr private Freizeit“. Und: Als im Schneegestöber schon die Soldaten des Heeresmusikkorps 300 für die abendliche Serenade den Aufmarsch mit Fackeln üben, kann sich der Ministerpräsident außer Dienst im Landtagsrestaurant noch einmal wie immer an den Stammtisch der SPD setzen und sich stärken. Die Gäste empfangen ihn mit lautem Applaus. Beck kann schon einmal einen Hauch von Freizeit genießen – bis zur Feierstunde. Nach Dreyers Worten ist Beck kein Mann, der gern Lob hört, aber an diesem Tag wird er damit noch reichlich strapaziert. Auch sie schont ihn nicht, würdigt ihn „als Schaffer“, der immer „nur seine Pflicht tun und nichts schleifen lassen will“. Das „Streben nach sozialer Gerechtigkeit“ nennt sie seinen Markenkern. Kein Anliegen in seinen Bürgerstunden „war ihm zu klein“, um es nicht den Ministern fordernd vorzutragen, um sich darum zu kümmern. Für seinen Unruhestand wünscht sie ihm Gesundheit, Lebensfreude und natürlich „den Wiederaufstieg des 1. FCK“.

Als Koalitionspartnerin würdigt die stellvertretende Ministerpräsidentin Eveline Lemke (Grüne), dass Kurt Beck mit „seiner Vertragstreue“ in Regierungsbündnissen Rheinland-Pfalz in 18 Jahren stabilisiert hat. Und in puncto Wirtschaftskraft, Exportwirtschaft und Bildung „in die Top drei“ in Deutschland geführt habe, ergänzt Hendrik Hering. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), kann sich Beck „außer Dienst“ wie die meisten im Saal nicht vorstellen. Vor vielen Gästen, darunter Kardinal Karl Lehmann, Bühnenstar Mario Adorf und Fußballidol Horst Eckel, betont Schulz, dass Beck „immer im Dienst für Menschen ist, um ihr Leben besser zu machen“, auch demokratischer. Für Schulz ist Beck ein Typus, der in stromlinienförmiger Politikwelt selten geworden ist. „Er ist nah bei den Menschen“ – und er verbiege sich auch in finstersten Momenten in seiner Geradlinigkeit nicht und halte an Überzeugungen fest: „Mit diesem Ansatz hat er Erfolg gehabt“, lobt Schulz. Mit Blick auf die Krise in Europa sagt er auch: „Weg von den Ich-Maschinen, die nur danach fragen, was für sie herausspringt.“ Nach so viel Lob klingt der Abend aus, wie Beck es mag: mit Gesprächen nach der abendlichen Serenade der Bundeswehr.