Reise nach Amerika: Dem Schicksal der Auswanderer auf der Spur

Die E-Mail an Professor Chris Arndt von der James Madison University in Harrisonburg (Virginia) hatte eigentlich nur einen Zweck: Ich wollte Kontakte zu Politikern in dem US-Bundesstaat nahe der Hauptstadt Washington D.C. knüpfen. Denn Virginia könnte im November bei der US-Präsidentschaftswahl so etwas wie das Zünglein an der Waage werden.

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Swing State nennen die Amerikaner dies – mal haben die Demokraten hier die Nase vorn, mal die Republikaner. Und Virginia ist eine Station auf einer mehrwöchigen Reise durch die USA, zu der ich jüngst aufgebrochen bin.

Und ja, Chris Arndt versprach, mir Kontakte zu Politikern von beiden Seiten zu verschaffen. Doch in der E-Mail verriet er mir auch, dass er schon einmal in Koblenz war. „Liebevolle Stadt, ein toller Blick auf den Rhein und das Schloss. Nette Leute, großartige Restaurants – deutlich billiger als in Köln und Trier.“ Als ich ihm verriet, dass ich gebürtiger Norddeutscher bin, hatte ich einen Schalter umgelegt. Er erzählte mir von seinen Großeltern, die 1904 und 1906 in Schleswig-Holstein geboren wurden, 1929 in die USA auswanderten. Sein Opa kam aus Kiel, sang in einem Knabenchor, als Kaiser Wilhelm II. in der Stadt war. „Er hatte lebhafte Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg und an den Matrosenaufstand am Ende des Kriegs.“ Seine Oma kam aus Flensburg. Und dann verriet Mister Arndt noch dies: 1926 oder 1927 haben sich die beiden auf einer Fähre nach Föhr kennengelernt.

Die ganze Liebes- und Lebensgeschichte der Arndts will mir der Professor Ende September erzählen, wenn ich ihn in Harrisonburg treffe. Es ist nur eine von vielen Geschichten, die unsere Redaktion in den nächsten Monaten von Auswanderern erzählen will. In den vergangenen Wochen haben uns mehr als 60 E-Mails und rund 15 Briefe unserer Leser erreicht. Darin berichten sie von engen Vorfahren, Bekannten aus ihrer Stadt, ihrem Dorf, von ganzen Orten in Westerwald, Hunsrück, Eifel, an Mosel, Rhein, Wied oder Sieg, die im 18. bis 20. Jahrhundert ihr Glück in der Neuen Welt auf der anderen Seite des Atlantiks gesucht haben. Es sind zum Teil entsetzlich traurige, schicksalhafte, aber auch lustige, fast drollige Geschichten.

Die Schicksale einiger dieser Menschen aus Rheinland-Pfalz werde ich auf meiner Reise durch den Osten der USA – von New York nach South Carolina und von Virginia nach Massachusetts – verfolgen. So habe ich mich bereits zweimal mit Dr. James P. Niessen von der Rutgers University in New Brunswick (New Jersey) getroffen. Niessen ist der Nachfahre eines Auswanderers aus Pünderich (Landkreis Cochem-Zell). Heute lebt er im New Yorker Stadtteil Queens und ist Mitglied der German Society in Pennsylvania, der ältesten in dem Land. Solche Vereine gibt es in den USA in jeder zweiten größeren Gemeinde. Sie forschen nach ihren gemeinsamen deutschen Wurzeln und pflegen natürlich auch deutsche Traditionen, zu denen für sie auch das Oktoberfest zählt.

Schon viel Vorarbeit geleistet

Der Chronist der Gemeinde Pünderich, Winfried Schneiders, hat uns den Kontakt zu dem Historiker Niessen vermittelt. Schneiders schreibt uns, dass zwischen 1837 und 1919 insgesamt 252 Personen von der Mosel in die USA ausgewandert sind, darunter allein sechs Witwen mit 22 Kindern.

Der Name Niessen ist auch in der umfangreichen Sammlung von Auswandererakten im Landeshauptarchiv Koblenz nachweisbar, sagt Mitarbeiterin Christine Goebel. Für unsere Zeitung hat sie viele der Zuschriften von Lesern unter die Lupe genommen und nach Unterlagen im Landeshauptarchiv gesucht. Das Ergebnis: Von vielen Auswanderern gibt es Briefe oder andere Dokumente wie Ausreisegenehmigungen oder Schifflisten. Zahlreiche Leser, die uns schrieben, haben aber bereits viel Vorarbeit geleistet. Viele recherchieren schon seit Jahren in Archiven und sind sogar schon in die USA gereist, um die Nachfahren der Auswanderer zu besuchen.

Besonders umfangreich ist etwa die Sammlung von Volker Rosenkranz aus Derschen im Daadener Land (Kreis Altenkirchen). Er hat die Namen und Schicksale von rund 1000 Personen recherchiert, die aus der Region im Westerwald in die USA ausgewandert sind. Mehrfach hat er sich auch auf die Reise in die USA gemacht, um ihrem Schicksal nachzuspüren. Besonders interessant sind die Spuren, die er in der kleinen Bergarbeiter-Stadt Ashland im Nordosten des US-Bundesstaats Pennsylvania fand. Fast 40 Prozent der 2800 Einwohner, schreibt Rosenkranz, waren zeitweise deutschstämmig. Rund 20 Familien sind zwischen 1880 und 1888 aus dem Daadener Land nach Ashland ausgewandert – offenbar angelockt von anderen Deutschen, die dort bereits waren. Außerdem beraubten mehrere Missernten die Bergarbeiter aus dem Westerwald offenbar ihrer Existenzgrundlage als Nebenerwerbslandwirte. Interessanterweise hat Rosenkranz bei seinen Besuchen in Ashland beobachtet, dass es mittlerweile eine zweite Auswanderungswelle gibt: Die meisten Nachkommen der deutschen Auswanderer haben die Stadt verlassen – offenbar erneut aus wirtschaftlichen Gründen. Ein Indiz für den Niedergang der amerikanischen Bergbauindustrie? Ich werde der Frage bei einem Besuch in Ashland nachgehen.

Umfangreiche Sammlung

Und dann ist da der Schatz des Irlichers Bernhard Dames. Der Hobbyhistoriker aus dem Neuwieder Stadtteil hat wohl eine der umfangreichsten Sammlungen über Auswanderer in der Region. Die vielen Originalbriefe und Bilder will Dames in Kürze an das Landeshauptarchiv übergeben, hat er in Aussicht gestellt. Sogar ein Buch hat er über seine Recherchen herausgegeben. Auch einige der Schicksale der Irlicher sollen in den USA recherchiert werden.

Der Autor dieser Zeilen möchte aber auch einen der Auswandererhäfen, in Bremerhaven, besuchen, wo seit August 2005 das Deutsche Auswandererhaus mehr als 1,4 Millionen Besucher angelockt hat. Und natürlich werde ich die Schicksale der Auswanderer in einem der wichtigsten Einwandererhäfen der USA, in New York, genauer Castle Garden und Ellis Island, recherchieren.

Bis zum Jahresende plant unsere Zeitung eine Serie mit Schicksalen vieler Auswanderer. Spätestens dann werden Sie auch erfahren, warum die Großeltern des Professors Chris Arndt aus Harrisonburg (Virginia) im Jahr 1929 aus Schleswig-Holstein in die USA ausgewandert sind.

Christian Kunst