Regierungswechsel: Welches Schicksal winkt den Briten?

Mit Johnson geht May ein hohes Risiko ein Foto: picture alliance

Ihre erste Rede als Premierministerin lässt aufhorchen. Nicht vom Brexit, nicht von der lahmenden Wirtschaft spricht Theresa May. Stattdessen brandmarkt sie die „brennende Ungerechtigkeit“ in der britischen Gesellschaft, lenkt den Blick auf die Armen, „die im Durchschnitt neun Jahre früher sterben als andere“, sie spricht von Schwarzen und Frauen, die noch immer benachteiligt werden. „Die radikalste Rede eines Tory-Premiers“ seit Jahrzehnten, schwärmt „The Guardian“.

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Von Peer Meinert

Allerdings: Konkrete Schritte zur Bekämpfung der Übel nennt die Neue nicht. Handelt es sich also doch eher um eine Sonntagsrede? Schön anzuhören, aber wenig verbindlich? Tatsächlich hat May gleich ein ganzes Bündel brennender Probleme zu lösen, die ihr wenig Zeit lassen werden. Hier die größten Baustellen und die Marschroute der Neuen:

Brexit: Mit ihren neuen Ministern gibt May ein klares Zeichen. Boris Johnson als Außenminister, David Davis als Brexit-Minister und Liam Fox als Minister für internationale Handelsbeziehungen. Alle sind ausgewiesene Brexit-Leute. Die Botschaft lautet: Der Ausstieg aus der EU wird ohne Kompromisse durchgezogen. Einen „Brexit-Lite“ (also einen abgeschwächten Brexit) wird es nicht geben. In Brüssel zeichnet sich ein hartes Ringen ab.

Doch wann sollen die Austrittsverhandlungen überhaupt beginnen? Noch schweigt May geflissentlich zu dieser Frage. Immerhin, sie hat bereits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen Schlüsselfiguren der EU telefoniert. Doch auch hier nur vage Andeutungen. Ein Downing-Street-Sprecher windet sich: „Die Premierministerin hat erklärt, dass wir einige Zeit brauchen, um diese Verhandlung vorzubereiten.“ Brexit-Minister Davis hatte sich da kurz vor seiner Ernennung deutlicher geäußert. Beginn der offiziellen Gespräche Anfang 2017, endgültiger Austritt Ende 2018. Begründung für den späten Beginn: Erst müsse es „ernsthafte Konsultationen“ mit den Regierungen in Schottland, Nordirland und Wales geben. Die EU dringt dagegen auf einen raschen Beginn, es dürfe keine Zeit vertrödelt werden.

David Davis (Brexit): Davis sitzt seit 1987 im Parlament. Kurz nach der Jahrtausendwende war er kurz Vorsitzender (Chairman) der Tories. Davis war zwischen 2003 und 2008 innenpolitischer Sprecher der Partei. Er ist als EU-Kritiker bekannt. Nun soll er als Brexit-Minister den Ausstieg Großbritanniens aus der EU managen.

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Michael Fallon (Verteidigung): Der 64-Jährige ist seit Juli 2014 Verteidigungsminister und bleibt auch im neuen Kabinett im Amt. Für die Konservativen sitzt er bereits seit 1983 mit kurzer Unterbrechung im britischen Unterhaus. In den 1970er-Jahren setzte er sich für einen Beitritt Großbritanniens in die Europäische Union ein.

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Liam Fox (Internationaler Handel): Der 54-Jährige hat bereits eine bewegte Karriere hinter sich. Er bemühte sich 2005 vergeblich um das Amt des Parteichefs. Von 2010 bis 2011 war er Verteidigungsminister, musste aber wegen der Verquickung von beruflichen und privaten Interessen zurücktreten. Er zählt zu den Brexit-Befürwortern.

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Philip Hammond (Schatzkanzler): Der 60-Jährige blickt bereits auf eine beträchtliche Regierungserfahrung zurück. Er diente dem Königreich als Transport- und Verteidigungsminister. Seit 2014 ist der studierte Politikwissenschaftler Außenminister. Nun räumt der 60-Jährige seinen Stuhl und wechselt ins Reich der Finanzen.

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Amber Rudd (Inneres): Bis zuletzt saß Amber Rudd als Energieministerin im Kabinett des zurückgetretenen Cameron. Die 52-Jährige hat sich für den Ausstieg Großbritanniens aus der Kohleenergie starkgemacht. Ihre beruflichen Ursprünge hat sie in der Finanzwelt bei J.P. Morgan. Zudem arbeitete sie als Finanzjournalistin.

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Schottland: Ein echtes Albtraum-Thema. Kein Zufall, dass May gleich in ihrer ersten Rede vom „kostbaren, kostbaren Bund zwischen England, Schottland, Wales und Nordirland“ spricht. Das Wort kostbar sagt sie zweimal. Die Botschaft an die Schotten ist glasklar: Wir werden alles tun, um zu verhindern, dass ihr unabhängig werdet.

Doch in Schottland rumort es gewaltig. Edinburgh will in der Europäischen Union bleiben, koste es, was es wolle. Zudem streben die Schotten weiter nach einer Loslösung von London. Die Regierung in Edinburgh fasst bereits ein zweites Unabhängigkeitsvotum ins Auge, 2014 scheiterte ein Referendum nur knapp.

Einwanderung: Hier kommt das Thema Brexit auch wieder ins Spiel. Bereits als Innenministerin galt Theresa May eher als eine Anhängerin der harten Linie in der Einwanderungsfrage. Nach dem Brexit-Votum weigerte sie sich, den EU-Migranten in Großbritannien eine Bleibegarantie zu geben. Sie will die Einwanderung begrenzen, ausdrücklich auch die aus EU-Ländern.

Aber London dürfte bei den Brexit-Verhandlungen mit Sicherheit den freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt im Auge haben. Doch da kommt aus Brüssel schon ein klares Signal: Ohne Freizügigkeit der Menschen kein freier Zugang zum europäischen Markt. Interessant: Die neue britische Innenministerin Amber Rudd plädierte bislang für den Verbleib des Landes in der EU.

Wirtschaft: Brexit bedeutet Unsicherheit, und Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Hier kommt es darauf an, rechtzeitig ganz klare Signale zu setzen. Eine echte Brexit-Katastrophe blieb bisher allerdings aus. Überraschend entschied sich die Bank of England am Donnerstag gegen eine weitere Zinssenkung, um so die Konjunktur anzukurbeln. Neuer Schatzminister ist der bisherige Chef im Außenamt, Philip Hammond. Er gilt als echter Routinier auf internationalem Parkett.