Pro: Mehr Selbstbestimmung für den Einzelnen

Am 5. Juni stimmen die Schweizer über ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) ab. Wäre das BGE auch in Deutschland denkbar? Ja, sagt Ronald Blaschke, Sprecher des Netzwerks Grundeinkommen. Er findet, das Grundeinkommen ermöglicht dem Einzelnen mehr Selbstbestimmung.

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Von Ronald Blaschke

Das Grundeinkommen soll jedem Menschen von der Wiege bis zur Bahre diejenigen Geldmittel bedingungslos sichern, die für die Absicherung der Existenz und Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe in dem jeweiligen Land nötig sind. Es verzichtet auf den Zwang zur Erwerbsarbeit und sozialadministrative Prüfungen von Einkommen und Vermögen, im Gegensatz zum Beispiel zum Hartz-IV-System, welches etwa 50 Prozent der Anspruchsberechtigten aus dem Leistungsbezug ausgrenzt. Beim Grundeinkommen wird auch auf die Überprüfung der Einkommen und Vermögen der Mitglieder der sogenannten Bedarfsgemeinschaft verzichtet, denn es wird individuell garantiert.

Mit dieser Erläuterung ist schon ein erster Grund für die dringend gebotene Einführung eines Grundeinkommens benannt. Es ist diejenige Form eines Geldtransfers, der das Menschen- und Grundrecht auf ein ausreichendes Minimum zur Existenz- und Teilabsicherung ausgrenzungs-, stigmatisierungs- und diskriminierungsfrei ermöglicht – weil das Grundeinkommen allen zusteht.

Stärkt die Macht der Bürger

Eine zweite Begründung ist eine demokratische: Nur wer ökonomisch unerpressbar, also bedingungslos und ausreichend abgesichert ist, kann sich aufrechten Ganges in politische Aushandlungsprozesse in Gesellschaft und Wirtschaft einbringen. Es stärkt die Macht aller Bürger. Notwendige ökologische Veränderungen in Produktion und Lebensweise können angstfrei diskutiert und angegangen werden. Prekarität, also materielle Unsicherheit, die auch die Demokratie bedroht, kann ausgemerzt werden.

Grundeinkommen ermöglicht darüber hinaus Erwerbstätigen eine Arbeitszeitverkürzung und ein höheres Maß an Selbstbestimmung bezüglich der Einteilung eigner Lebenszeit für die gesellschaftlich notwendigen Arbeiten (Erwerbsarbeit, unbezahlte Sorge- und Erziehungsarbeit und politisch-bürgerschaftliches Engagement) sowie für die Muße (Kultur, Bildung). Dabei ist natürlich, gemeinsam mit anderen politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen, eine geschlechtergerechte Umverteilung dieser Zeiten anzustreben. Zeitsouveränität muss für alle gelten.

Bürgerversicherung für alle

Für Deutschland wäre derzeit eine Grundeinkommenshöhe von etwa 1000 bis 1100 Euro netto monatlich nötig. Das entspricht der Armutsrisikogrenze, dem derzeitigen Pfändungsfreibetrag und verschiedenen Erhebungen zum derzeitigen notwendigen monatlichen Nettobedarf eines Alleinstehenden. Grundeinkommen ersetzt die vielen, zum Teil mit hohem bürokratischen Aufwand gezahlten steuerfinanzierten Sozialleistungen wie Hartz IV, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Kindergeld und -zuschlag beziehungsweise entsprechende Steuerfreibeträge und das BAföG. Nicht aber ersetzt werden Sonderbedarfe für Menschen mit Behinderungen, chronisch Kranke und Wohngeld. Das Grundeinkommen bietet innerhalb einer auszubauenden Rentenversicherung einen sicheren Sockel (Grundrente) – keiner fällt im Alter in Armut. Eine Bürgerversicherung für alle Menschen ist eine zuverlässige Gesundheitsvorsorge und Absicherung bei Krankheit und Pflege. Viele Grundeinkommenskonzepte sehen sich nicht im Widerspruch zu demokratisch gestalteten und gebührenfreien Zugängen zu öffentlicher Infrastruktur und sozialen Dienstleistungen. Im Gegenteil: Diese nicht geldlichen, bedingungslosen Zugänge sind die andere Seite der Medaille universeller Absicherungssysteme für jeden.

Finanzierbar sind diese universellen Systeme bei gewollter Umverteilung von oben nach unten sehr leicht – in Deutschland mit einer Staatsquote, die auch in Frankreich oder Dänemark üblich ist. In der Regel werden für Deutschland Mischfinanzierungen vorgeschlagen. Einkommen-, Finanztransaktions-, Kapitalsteuern, erhöhte Umsatzsteuern auf Luxusgüter und ökologisch wirksame Steuern auf hohen Verbrauch von Energie und natürlichen Ressourcen. Der undurchschaubare Wust an Steuervergünstigungen, der ganze Heerscharen von Steuerberatern auf den Plan ruft und eher die höheren Einkommensschichten begünstigt, wird abgeschafft. In manchen Grundeinkommenskonzepten für Deutschland verbessert sich die ökonomische Situation von mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung. Dadurch, dass Erwerbseinkommen nicht wie jetzt bei Hartz IV auf die Sozialleistungen angerechnet werden, erhöht sich der Anreiz zur Aufnahme von Erwerbsarbeit, natürlich auch durch die gestärkte Verhandlungsmacht Erwerbstätiger bezüglich der Arbeitsinhalte und -bedingungen.

Weltweit wird das Grundeinkommen durch das Basic Income Earth Network (BIEN), europaweit durch das Netzwerk Unconditional Basic Income Europe (UBIE) vorangebracht, Modellprojekte werden unterstützt und evaluiert. In Deutschland ist die größte Organisation das Netzwerk Grundeinkommen. Die Aktivisten in Europa haben erreicht, dass das Europäische Parlament mit großer Mehrheit Prüfaufträge für Grundeinkommen an die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten erteilt hat. Auch die kommende Schweizer Abstimmung über das Grundeinkommen hat – vollkommen unabhängig von ihrem Ausgang – schon jetzt die gesellschaftliche Debatte um das Grundeinkommen enorm vorangebracht.