Pakt ohne Plan: Griechenlands Behörden sind kaum gerüstet

Foto: AFP

Die EU versucht, mit einem Flüchtlingspakt mit der Türkei den Zustrom zu stoppen. Klappt das? Und wie bereit sind EU und Griechenland, den Plan umzusetzen?

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Der Plan klingt einfach, ist aber nach den Worten des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker eine Herkulesaufgabe: Flüchtlinge, die seit Sonntag illegal aus der Türkei in Griechenland ankommen, sollen durch eine Art Schnellasylverfahren gehen und im Falle einer Ablehnung umgehend in die Türkei zurückgeschickt werden. Als Gegenleistung will die EU bis zu 72 000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aus der Türkei auf legalem Wege aufnehmen.

Wie bewerten die Menschen und die Küstenwache auf den griechischen Ägäis-Inseln den Plan?

„Einfach ist er. Genial ist er sicher nicht“, sagt ein Offizier der Küstenwache auf der Insel Chios. Die Migranten kommen aus der Türkei (nach Griechenland) rüber und sollen zurückgeschickt werden, nachdem Hunderte Experten sich mehrere Tage lang mit jedem Einzelfall beschäftigen. „Warum werden denn die Leute nicht direkt in den Flüchtlingslagern in der Türkei befragt?“, meint der Beamte der Küstenwache. Ähnlich reagiert der Bürgermeister der Insel Lesbos, Spyros Galinos.

Wissen die Flüchtlinge, die aus der Türkei noch übersetzen, dass sie zurückgeschickt werden sollen?

Die meisten wissen es wohl nicht. In der Türkei gibt es bislang nur zwei Informationsquellen: Die Schleuser und Berichte von Verwandten und Freunden, denen die Überfahrt in die EU bereits gelungen ist. Die Menschenschmuggler sagen: „Schnell rüber. Besser in einem EU-Land als in der Türkei zu sein“, berichten die neuen Migranten. Die Verwandten verstehen nicht ganz das nun anstehende komplizierte Auswahlverfahren in der Türkei zur legalen Einreise in die EU und raten ihren Leuten: „Fahr lieber schnell rüber, und wir werden sehen, wie es weitergeht.“ Die Menschen müssten aufgeklärt werden, bevor sie nach Griechenland kommen, sagt ein Offizier der griechischen Küstenwache.

Hat der Flüchtlingspakt bereits Konturen angenommen?

Ja, das hat er. Am Montag kamen die ersten türkischen Verbindungsoffiziere auf den Inseln Lesbos und Chios an. Diese sollen sozusagen in letzter Instanz entscheiden, welche Migranten wann und wie in die Türkei zurückkommen sollen. Das ist aber nur ein kleiner Teil des Abkommens.

Sind die griechischen Behörden bereit für die nun anstehenden zahlreichen Asylverfahren?

Eindeutig nicht. Regierungschef Alexis Tsipras sprach bereits von 2300 Experten, die allein aus der EU kommen müssten, um den griechischen Behörden zu helfen. Gebraucht werden Übersetzer, Asylexperten und Sicherheitsleute. Die EU schätzt die Gesamtzahl der benötigten Experten auf fast 6000 und die Kosten auf bis zu 300 Millionen Euro. Deutschland und Frankreich stellten der griechischen Regierung bereits jeweils bis zu 300 zusätzliche Beamte in Aussicht.

Wie wird festgestellt, dass ein Migrant ein Flüchtling ist und Anspruch auf Schutz hat? Viele stammen aus arabischen Staaten, geben sich aber als Syrer aus. Wie stellt man den Unterschied fest?

Es gibt Experten, die das binnen Sekunden herausfinden. In erster Linie durch den Dialekt. Dann gibt es andere Methoden: Ein Migrant wird beispielsweise mitten in einem einfachen Gespräch aufgefordert, die syrische Nationalhymne zu singen. Wer sie nicht kennt, hat schon fast verloren. Denn dann kommen noch einfachere Fragen der Art, welches Fußballteam ist das beste Syriens? Oder wer ist die berühmteste syrische Leichtathletik-Siebenkämpferin? Wer Ghada Shouaa nicht kennt, die 1996 Olympisches Gold in Atlanta gewann, und auch die Antworten auf die anderen Fragen nicht kennt, der ist definitiv kein Syrer.

Wie ist die Situation im griechischen Flüchtlingscamp Idomeni an der mazedonischen Grenze?

In dem improvisierten Camp sitzen unverändert 12 000 Menschen fest. Sie stellen sich zunehmend die Frage: Was wird aus uns? Der Flüchtlingspakt erwähnt ja die in ganz Griechenland gestrandeten, fast 50 000 Menschen mit keinem einzigen Wort. In Idomeni werden die Menschen von internationalen Hilfsorganisationen und zahllosen freiwilligen Helfern notdürftig versorgt. Obwohl die Organisation Ärzte ohne Grenzen in den vergangenen Tagen ein halbes Dutzend wetterfeste Großzelte aufgestellt hat, schlafen viele in Campingzelten unter freiem Himmel. Die griechische Regierung bietet den Bewohnern von Idomeni den Umzug in besser ausgestattete reguläre Lager in der weiteren Umgebung an, aber die meisten Flüchtlinge wollen der für sie geschlossenen Grenze möglichst nahe bleiben. Das Wetter ist seit einer Woche freundlicher. Allerdings sagen Meteorologen für die Wochenmitte neue Gewitter und Niederschläge voraus.

Ist mit einer Räumung von Idomeni durch die griechischen Behörden zu rechnen?

Eine gewaltsame Räumung mit Bereitschaftspolizei und Tränengaseinsatz wird von der griechischen Regierung nicht erwogen. Bezeichnend ist auch, dass Athen keine Einwände dagegen äußerte, dass Ärzte ohne Grenzen neue wetterfeste Großzelte aufstellte und zur Konsolidierung der Lage in Idomeni beitrug. Takis Tsafos/Gregor Mayer