Multiple Sklerose: Krankheit der 1000 Gesichter

Die Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, das heißt von Gehirn und Rückenmark, und die häufigste neurologische Erkrankung, die bereits im jungen Erwachsenenalter zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag der Betroffenen führen kann. Trotz intensiver Forschung und großer Fortschritte bei der Entwicklung neuer Medikamente ist die Autoimmunerkrankung nach wie vor nicht heilbar.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Es bestehen jedoch Möglichkeiten, die durch die Erkrankung auftretenden Symptome und Beschwerden durch Medikamente zu lindern und das Risiko der typischen, wiederholten Entzündungen in Gehirn und Rückenmark zu reduzieren. In Deutschland sind mehr als 130 000 Menschen von dieser Erkrankung betroffen, von denen viele aufgrund des typischen Ersterkrankungsalters zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr noch im Erwerbsleben stehen.

Moderne Therapien

Der heutige Welt-MS-Tag steht deshalb unter dem Motto „Die Zukunft gestalten – Perspektiven für junge Menschen mit MS“. Er soll vor allem Mut machen, denn moderne Therapieoptionen bieten für viele Betroffene die Möglichkeit, langfristig zu planen und im Alltag unabhängig zu sein. Menschen mit einer chronischen Erkrankung wie der Multiplen Sklerose sehen ihre Zukunft mit anderen Augen: „Wie lange kann ich noch arbeiten?“ oder „Was ist mit Familienplanung?“ sind nur zwei solcher Fragen, die den Betroffenen auf den Nägeln brennen.

„Neue Behandlungsmethoden ermöglichen ihnen dabei inzwischen mehr Flexibilität und Normalität“, sagt Andrea Gertz, MS-Schwester aus Gießen. Der Krankheitsverlauf bei MS ist in vielen Fällen durch sogenannte Schübe geprägt. Jeder Schub kann die Betroffenen aus ihrem beruflichen oder privaten Alltag reißen.

Neben motorischen Störungen und Beeinträchtigungen des Sehvermögens kann es zu einer Abnahme von Hirnvolumen kommen. Dieser Verlust an Nervenzellen führt unter anderem zu Konzentrationsschwierigkeiten und schwindendem Denkvermögen. „Zwar verlieren wir alle ab dem 30. Lebensjahr an Hirnmasse – dies ist Teil des normalen Alterungsprozesses.

Ein MS-Patient ohne adäquate Therapie verliert pro Jahr jedoch Hirnsubstanz etwa in der Größenordnung eines Esslöffels. Mit entsprechender Behandlung kann dies auf etwa einen Teelöffel reduziert werden“, sagt Prof. Dr. Tjalf Ziemssen vom Universitätsklinikum Dresden. Moderne Therapieoptionen helfen inzwischen, Schübe zu vermeiden und das Gehirnvolumen zu erhalten. Damit geben sie den Betroffenen die Möglichkeit, langfristige Zukunftspläne zu schmieden – und das trotz Erkrankung. Dass dies heute möglich ist, verdanken MS-Kranke Ärzten und Wissenschaftlern, die vor 100 Jahren Medizingeschichte schrieben.

1913 erschien erstmals eine zusammenfassende Darstellung zur Liquordiagnostik, in der auch deren Wert für die MS-Diagnose erwähnt wurde. Durch die Entnahme und Untersuchung von Nervenwasser, dem sogenannten Liquor cerebrospinalis, war es Ärzten nun möglich, Multiple Sklerose zuverlässiger zu diagnostizieren. In Verbindung mit den körperlichen Symptomen sprach bei einem bestimmten Befund im Nervenwasser vieles für das Vorliegen einer MS.

Nach wie vor ist MS eine Erkrankung, für die es keinen eindeutigen Marker gibt. Die Diagnose wird aufgrund der Konstellation verschiedener Befunde gestellt. „Auch 100 Jahre später gehört die Untersuchung des Nervenwassers in vielen Ländern mit dazu – maßgeblich beteiligt sind heute aber vor allem die bildgebenden Verfahren, mit denen sich die entzündlichen Läsionen im Gehirn und im Rückenmark nachweisen lassen“, erklärt Dr. Eva Koch von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.

Bis heute nicht heilbar

Die Multiple Sklerose wird auch als „Krankheit der 1000 Gesichter“ bezeichnet. Das Immunsystem arbeitet gegen den eigenen Körper, was zu chronischen Entzündungen in Gehirn und Rückenmark führt. Die Ursachen hierfür sind noch nicht vollständig erforscht. MS ist bis heute nicht heilbar.

Weltweit sind etwa 2,5 Millionen Menschen an MS erkrankt, Frauen etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Gemeinnützige Hertie- Stiftung will mit ihrer Forschungsförderung helfen, das Wissen über die Entstehung der Erkrankung voranzubringen und neue Therapiewege zu entwickeln.

Axel Müller