Brüssel

Löst eine Quote die Flüchtlingsfrage?

Der Appell aus Brüssel ist laut und deutlich: „Wir brauchen mehr Solidarität untereinander“, forderte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einer Videobotschaft. Sein Stellvertreter Frans Timmermans stellte die neue Migrationsstrategie vor – und mit ihr die angekündigte Quote, mit der Flüchtlinge künftig gerechter auf alle Mitgliedstaaten verteilt werden sollen. Allerdings nur befristet. So hofft die EU-Spitze, auch die Widerstände jener zu brechen, die einen solchen Verteilschlüssel kategorisch ablehnen.

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Von Mirjam Moll und Marion Trimborn

Schon Ende des Monats will die Kommission einen entsprechenden Vorschlag für einen solchen „temporären Umsiedlungsschlüssel“ vorlegen. Die Quote soll sich an der Wirtschaftskraft, der Bevölkerungsgröße und der Arbeitslosenquote eines Landes orientieren – aber auch die Zahl der Migranten berücksichtigen, die ein Land bereits freiwillig aufgenommen hat.

Dafür braucht es aber die Zustimmung einer Mehrheit der Mitgliedstaaten. Die könnte jedoch wackeln. Denn viele Staaten lehnen Quoten ab – auch aus innenpolitischen Gründen. Das Thema Einwanderung ist bei populistischen Parteien beliebt. So steht in Frankreich die Regierung von François Hollande bei der Einwanderung unter Druck von rechts.

Großbritannien kündigte bereits an, dass man sich an einer Quote nicht beteiligen werde. Dabei gehört das Vereinigte Königreich zu jenen Ländern, die verhältnismäßig wenige Flüchtlinge aufgenommen haben. Widerstand regt sich auch in den baltischen Staaten sowie der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn. Zwar kamen 2014 verhältnismäßig viele Flüchtlinge nach Ungarn, allerdings haben die wenigsten vor, auch dort zu bleiben. Der osteuropäische Staat gilt als Transitland in den Westen. Zudem wettert Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban seit Längerem, dass die Regeln der EU zum Umgang mit Flüchtlingen dumm seien. Menschenrechtsorganisationen halten es für besorgniserregend, dass Flüchtende gezielt in Länder wie Bulgarien, Ungarn oder Rumänien geschickt werden sollen.

Bisher konzentrieren sich 72 Prozent der Asylanträge auf nur 5 der 28 Mitgliedstaaten. Allein 2014 wurden in Deutschland 173 070 Formulare von schutzsuchenden Flüchtlingen eingereicht – so viele wie in keinem anderen EU-Land. Rechnet man die Zahl der aufgenommenen Asylsuchenden auf die Einwohnerzahl um, steht Schweden ganz oben auf der Liste: Dort kommen 8415 Migranten auf eine Million Einwohner, in Österreich sind es 3295, in Deutschland 2510, in Bulgarien 1530 und in Italien 1065. Am anderen Ende der Skala steht Portugal mit 40 Bewerbern pro eine Million Einwohner.

Dass gerade bislang weniger belastete Länder nicht einfach ihre Zustimmung zu einem neuen Verteilsystem geben werden, ist Kommissionsvizepräsident Timmermans wohl bewusst. „Ich erwarte Kritik von den Mitgliedstaaten. Aber wir können nicht hinnehmen, dass ganze Familien auf dem Mittelmeer sterben“, betonte er. Es reiche nicht aus, mehr Hilfen für die Seenotrettung bereitzustellen.

Die Kommission will langfristig auch das sogenannte Dublin-II-Verfahren ändern. Die EU-Vorschrift sieht bislang vor, dass Flüchtlinge dort aufgenommen werden müssen, wo sie erstmals in die Union eingereist sind. „Dieses System muss überarbeitet werden“, sagte Timmermans. Bis zum Jahresende soll ein entsprechender Gesetzesentwurf vorliegen.

Unterstützung bekommt die Kommission aus dem Parlament: „Das Dublin-Verfahren hat sich als nur in Friedenszeiten tauglich erwiesen“, meint die innenpolitische Sprecherin der europäischen Christdemokraten, Monika Hohlmeier (CSU). Die Fraktion begrüßt grundsätzlich einen verpflichtenden Verteilschlüssel, sagt auch der Fraktionsvorsitzende Manfred Weber. Allerdings „wird eine Quote an den Problemen im Mittelmeer nichts ändern“, fürchtet er.

„Das ist ein Problem, das sich nicht von heute auf morgen lösen lässt“, bekräftigt die EU-Außenbeauftrage Federica Mogherini. Sie setzt deshalb zusätzlich auf langfristige Strategien – die Ausweitung von Entwicklungshilfen und Armutsbekämpfung. Zudem wirbt die Italienerin bei den Vereinten Nationen um ein Mandat für eine Marineoperation, mit der sie die Schiffe der Schlepperbanden zerstören will. Außerdem sollen deren Netzwerke zerschlagen werden – auch „in Zusammenarbeit mit den libyschen Behörden“. Schon Ende des Jahres will die Kommission zudem ein Pilotprojekt in Niger starten. Ein Informations- und Beratungszentrum soll helfen, Menschen in Not von der gefährlichen Flucht über das Meer abzuhalten. Außerdem soll der Grenzschutz in Ländern wie Niger und Mali verstärkt werden, damit die Flüchtlinge gar nicht erst das Land verlassen können.