Kommentar: Warum trifft es immer die Bayern?

Gregor Mayntz
Gregor Mayntz Foto: RZ-Archiv

Bitte meidet Menschenansammlungen und die Bahnhöfe Hauptbahnhof und Pasing warnte die Münchner Polizei zwei Stunden vor dem Jahreswechsel – und zwar mit dem elektrisierenden Zusatz, es gebe „Hinweise, dass in München ein Terroranschlag geplant ist“. Seit diesem Moment gibt es in Bayern immer häufiger Grund zu Erschrecken und Entsetzen.

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Im Mai die Scherenattacke auf offener Straße nahe der Münchner Theresienwiese durch einen 26-Jährigen, der zum Islam konvertiert war. Jetzt die brutalen, lebensgefährlichen Axtattacken eines selbst ernannten Gotteskriegers im Regionalzug und in den Mainwiesen in Würzburg. Dann der ohne islamistischen Hintergrund verübte Amoklauf mit zehn Toten. Und nun der Selbstmord-Bombenanschlag von Ansbach.

Dazwischen lag zwar die Machetenattacke von Reutlingen im benachbarten Baden-Württemberg. Dennoch fällt die Häufung von Bayern als Tatort ins Auge. Und sofort kommen die größten und spektakulärsten Terrorakte in der Nachkriegsgeschichte in den Sinn, die ebenfalls in München begangen wurden: das Oktoberfest-Attentat 1980 mit 13, das Olympia-Attentat 1972 mit 15 Toten. Warum immer wieder Bayern?

Jeder Versuch, die Taten mit generellen Thesen zu erklären, ist zum Scheitern verurteilt. Sicher, weltweit wird Deutschland sehr häufig auf bayerische Postkartenidylle verkürzt. Touristen aus aller Welt schätzen an Deutschland vor allem das märchenhafte Schloss Neuschwanstein, empfinden das Hofbräuhausambiente als typisch, und Millionen lieben das Oktoberfest in München. Aber kann das ernsthaft als Motivation herhalten, mit Axt und Messer und Mordvorsatz in einen Regionalzug nach Würzburg zu steigen?

Sicher, die CSU als Dauerregierungspartei ist im vergangenen Jahr mit scharfen und über Deutschlands Grenzen hinweg als polarisierend empfundenen Ansagen aufgefallen. Und deshalb geht einer mit Bombe in die Innenstadt von Ansbach? Das kann niemand ernsthaft behaupten. Und wie ist es mit statistischen Überlegungen? Die meisten Flüchtlinge kamen über Bayern nach Deutschland. Aber sie blieben nicht dort. Andere Bundesländer haben mehr und hinken teilweise bei der Integration den Bayern eindeutig hinterher. Auch islamistische Netzwerke sind in anderen Bundesländern aktiver. Eine Parallele zu den Sozialstrukturen von Brüssels Problemviertel Molenbeek scheidet ebenfalls aus, wenn sie mit den Daten der Tatorte verglichen werden.

Unbestritten ist eine Besonderheit, auf die die überzeugte und leidenschaftliche Bayerin Dorothee Bär mit Blick auf das „wirtschaftlich stärkste Bundesland mit der glücklichsten Bevölkerung“ hinweist: „Bei uns sind die christlichen Werte noch tief in der Bevölkerung verwurzelt“, erklärt die CSU-Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Damit führe Bayern die Vorzüge des westlichen Gesellschaftsmodells umso deutlicher vor Augen und löse bei den Feinden dieses Modells mehr Aversionen aus als Bundesländer, bei denen es der Bevölkerung insgesamt schlechter geht und Christentum kaum noch stattfindet.

Das klingt plausibel. Doch dagegen spricht, dass es in dem weltoffenen Bayern eine chinesische Reisegruppe auf dem Weg nach Würzburg traf und dass gerade die Symbole christlicher Bindung als Attentatsziele bislang nicht in den Mittelpunkt rückten. Somit bleibt schlicht der Zufall als nachhaltigste Erklärung. Die Palästinenser hätten wohl auch in Köln zugeschlagen, wenn dort 1972 Olympische Spiele gewesen wären, und die Rechtsextremisten in Berlin, wenn dort 1980 das weltberühmte Oktoberfest über die Bühne gegangen wäre. Der nächste Anschlag auf die westlichen Werte kann jedes europäische Land treffen, auch Deutschland. Und sicherlich nicht nur Bayern.

E-Mail: gregor.mayntz@rhein-zeitung.net