Friedrichshafen

Koblenzer Canyon planen eigenes E-Bike: Der Fahrradmarkt steht unter Strom

Der Fahrradmarkt steht unter Strom Foto: Messe Friedrichs

Ohne E geht fast nichts mehr: Elektrische Antriebe sind derzeit der Wachstumsmotor der Fahrradbranche und erobern zunehmend das Sportsegment. Bei der diesjährigen Fahrradmesse Eurobike (31. August bis 4. September in Friedrichshafen) haben die meisten Hersteller Räder mit Elektromotoren im Portfolio.

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Von unserem Redakteur Stefan Hantzschmann

„Ohne E-Bikes wäre die Stimmung in der Branche wesentlich bedrückter“, sagt Frank Gauß, Sprecher der weltweit größten internationalen Fahrradmesse mit 1350 Ausstellern. Denn das unbeständige Wetter im ersten Halbjahr trübte die Fahrradkauflaune der Deutschen. „Durch den abermals gestiegenen Anteil von E-Bikes am Gesamtfahrradmarkt erreichte der Umsatz dennoch das Niveau des Vergleichszeitraumes im Jahr 2015“, erklärt der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) zur Eurobike. Ein großer Hersteller mit internationalem Renommee setzt allerdings immer noch auf das klassische Rad: Die Firma Canyon aus Koblenz.

Koblenzer noch ohne E-Bike

Hat das Unternehmen den Trend verschlafen? „E-Bikes werden auch für uns in Zukunft ein Thema sein, aber unsere Philosophie ist es, nur komplett durchdachte und ausgereifte Räder auf den Markt zu bringen“, sagt Canyon-Marketingleiter Julian Öncü im Gespräch mit unserer Zeitung. Die handelsüblichen Schaltsysteme, Ritzel und Ketten seien gerade im Sportbereich bislang nicht optimal für E-Bikes. „Bei Dauerbelastung ist die Haltbarkeit eingeschränkt. In diesem Jahr gibt es auf der Eurobike erstmals Schaltkomponenten für E-Mountainbikes. Vorher gab es das so nicht“, sagt Öncü.

Der Radhersteller Canyon ist ein Direktvermarkter, verkauft seine Räder also über einen Webshop im Internet und den Canyon Showroom in Koblenz – ohne Händler. Das Unternehmen erzielt seine Umsätze fast ausschließlich mit privaten Kunden. Der Hersteller unterliegt damit der gesetzlichen Gewährleistungspflicht. Räder mit anfälliger Technik wären also schlecht fürs Geschäft und würden für Canyon einen größeren Serviceaufwand bedeuten. Außerdem erfordern E-Bikes bislang noch etwas mehr Kundenberatung. Öncü räumt aber ein, dass sich auch Canyon dem Trend zu elektrischen Antrieben bei sportlichen Rädern nicht verschließen kann. Wann die Koblenzer ein eigenes E-Bike auf den Markt bringen, ließ er aber offen.

„E-Bikes sprechen nicht mehr nur älteres Publikum an, gerade im Mountainbike-Bereich sind solche Räder nicht mehr verpönt“, sagt Eurobike-Sprecher Gauß. Einige Radsportler nutzen den Elektromotor, um bergauf Kraft zu sparen, die sie für das anspruchsvolle Herunterfahren (Downhill) brauchen. Andere brauchen die Hilfe, um in Gruppen mit unterschiedlich gut trainierten Sportlern fahren zu können. „Mittlerweile machen E-Bikes im Sportbereich genauso viel Spaß wie herkömmliche Räder“, sagt Gauß. Die Akkus werden leichter, leistungsfähiger und immer dezenter im Fahrrad verbaut. Die Zeiten klobiger Akkupakete am Rahmen sind vorbei – auch das zeigt die Eurobike in Friedrichshafen.

Erstmals gibt es auf der Leitmesse mit 100 000 Quadratmeter Fläche neben den Messetagen für Fachbesucher zwei statt bislang einem Publikumstag. Statt 20 000 Publikumsbesuchern (2015) erwarten die Organisatoren dieses Jahr 35 000 Menschen an den beiden Tagen. Ebenfalls neu ist die Möglichkeit für Besucher, an allen fünf Messetagen Fahrräder auszuprobieren – auch auf dem insgesamt zehn Kilometer Strecke umfassenden Testgelände im Außenbereich. „Der Trend in der Branche geht in Richtung Direktvermarktung. Immer mehr Hersteller suchen auch die Nähe zu den Kunden“, begründet Gauß den Schritt.

Vermessung der Sitzknochen

Auch RTI Sports aus Koblenz schätzt den Kontakt zum Endkunden. „Das direkte Feedback auf unsere Produkte ist uns wichtig“, sagt Tim Weingarten, Brand-Manager bei Ergon, einer der Kernmarken des Unternehmens. RTI Sports vertreibt mehrere Marken – unter anderem Fahrradsättel und Griffe – und entwickelt am Hauptsitz in Koblenz unter der Marke Ergon eigene Produkte. Bei der diesjährigen Eurobike präsentiert RTI Sports einen neuen Fitnesssattel (Ergon SFC3) mit einem Entlastungskanal, der für mehrere sportive Fahrradtypen geeignet sein soll, etwa für Fitness- oder Tourenräder – mit oder ohne elektrischem Antrieb. „Der Sattel gehört zu den meistgenannten Problemen bei Radfahrern. Durch den Entlastungskanal bei unserem Sattel wird Druck vom Genitalbereich genommen und auf die Sitzknochen verteilt“, erklärt Weingarten. Dadurch sollen Taubheitsgefühle und Schmerzen auf längeren Radtouren vermieden werden. Für die Entwicklung solcher Sättel arbeiten die Koblenzer mit einem Team aus Sportwissenschaftlern und Ergonomen zusammen. Prototypen werden vor der Markteinführung mit Probanden getestet.

Erstmals stellt das Unternehmen auf der Eurobike ein Gerät vor, mit dem sekundenschnell die richtige Sattelbreite ermittelt werden kann. „Mit der digitalen Sitzbreitenmessung kann der Fahrradhändler sehr einfach den Abstand des Sitzknochens messen. Bei den meisten Menschen liegt dieser Wert zwischen 10 und 15 Zentimetern“, sagt Weingarten. Radfahrer müssen sich dafür nur auf das kastenförmige Gerät setzen, ihren Sitzbereich automatisch vermessen lassen und können dann die richtige Sattelgröße auswählen.

Publikumstage: Samstag (9 bis 18 Uhr) und Sonntag (9 bis 17 Uhr), Ein-Tageskarte: 14/VVK: 12 Euro, Familie – zwei Erwachsene, alle Kinder von 6 bis 14 Jahren: 30/VVK: 28 Euro, Zwei-Tageskarte: 19/VVK: 17 Euro, ermäßigt 15 Euro, Familie: 42/VVK: 40 Euro, Kinder bis sechs: kostenfrei