Rheinland-Pfalz

Klein, kleiner, keine: Soll die Schule im Dorf bleiben?

Von Gisela Kirschstein
Krach für kleine Grundschulen: Mehrere Hundert Menschen haben in Mainz für den Erhalt kleiner Schulen demonstriert. 
Krach für kleine Grundschulen: Mehrere Hundert Menschen haben in Mainz für den Erhalt kleiner Schulen demonstriert.  Foto: dpa

Es ist ohrenbetäubend laut vor dem Landtag in Mainz. Trillerpfeifen schrillen, Trommeln werden geschlagen – die laut Veranstalter rund 400 Kinder, Eltern und Lehrer machen einen Höllenlärm. „Riesenaufstand für unsere Zwergenschule“ steht auf einem Transparent, „Lasst die Schule im Dorf!!!“ auf einem anderen. Ärger und Wut sind riesengroß: „Ohne pädagogische Maßstäbe zu beachten, wird die kleine Dorfschule plattgemacht und der ländliche Raum geschädigt“, schimpft Heinz Zilles (CDU), Bürgermeister von Lieg (Kreis Cochem-Zell). „Nicht mit uns, Frau Ministerin!“

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Die Wut gilt Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD), die trotz Sitzung im Landtag vor die Tür gekommen ist, um sich den Protestierenden zu stellen. Im Januar hatte die Ministerin „Leitlinien für ein wohnortnahes Grundschulangebot“ auf den Weg gebracht, im Kern geht es dabei um die Überprüfung von Kleinstgrundschulen. 41 Minischulen stehen auf dem Prüfstand, nun geht die Angst um die Dorfschulen um.

Man wisse ja nicht, was passiert, sagt der Bürgermeister des Moselortes Trittenheim, Franz-Josef Bollig (parteilos), „die gehen ja nur nach Zahlen“. 30 Kinder gehen in seine Mini-Grundschule, von neun Abgängern hätten sieben eine Gymnasialempfehlung. „Aber das wird ja gar nicht gesehen“, seufzt Bollig. Gerade ist in Trittenheim ein Neubaugebiet in Arbeit, 35 Baugrundstücke für junge Familien – „wie soll ich die denn vermarkten, wenn die die Schule schließen?“

Dörfersterben, weniger Einwohner, genau das befürchten die Protestierenden. Die Schulen seien das Herz der Dörfer, sagt Zilles, ohne Schulen werde es keinen Zuzug mehr geben, würden freiwillige Feuerwehren und Vereine sterben, ja, langfristig könne gar das Gemeindeleben zum Erliegen kommen. „Wollen wir das?“, fragt er, „wollen wir unsere Dörfer lebendig begraben?“ Den Verfechtern der kleinen Schulen stehen jedoch nicht nur die Leitlinien des Ministeriums, sondern auch das Schulgesetz entgegen: Nach dem muss eine Grundschule mindestens eine Klasse pro Jahrgangsstufe haben, Ausnahmen sind in besonderen Fällen möglich, was aber vor allem vorübergehend gelten sollte, gilt für etwa 100 Schulen im Land seit Jahren.

Der Gesetzgeber habe die Mindestgröße „mit Bedacht gewählt“, da sie eine wesentliche Voraussetzung für eine gute pädagogische und organisatorische Arbeit der Schulen ist, betonte Ministerin Hubig. Das Land wolle die kleinen Grundschulen erhalten, aber eben auch, dass Kindern am Nachmittag AGs und Vielfalt angeboten werden könnten.

„Wir vermissen nichts“, sagt dagegen Marcus Kirchhoff (parteilos), Bürgermeister von Mörsdorf im Hunsrück, dessen Zwergenschule gerade einmal 19 Kinder und nur eine einzige Klasse hat. Die Schule hat einen Schulgarten, Schulbienen und Schulomas. „Es gibt null Nachteile“, sagt Kirchhoff.

„Seit vier Jahren ist meine Tochter jetzt in unserer Grundschule“, erzählt auch Alexandra Priwitzer aus Langenfeld (Kreis Mayen-Koblenz), „wir hatten noch nie Unterrichtsausfall.“ Gleichzeitig würden die Kinder optimal gefördert, auch lernschwache Kinder kämen nicht zu kurz. „Der soziale Zusammenhalt ist viel größer“, sagt auch Mario Kist, Schulelternsprecher von Kirchwald, dem Nachbardorf. Die Kinder seien hilfsbereiter und lernten besser, sich zu konzentrieren.

„Lassen Sie die Kleinstschulen ihre hervorragende pädagogische Arbeit in Ruhe machen“, forderte Zilles deshalb die Ministerin auf. Das Gesetz sei veraltet, es dürfe nicht auf Kosten der Bildung der Kleinsten der Haushalt saniert werde. Die Ministerin versuchte zu beschwichtigen, versprach, man werde die Untersuchung im Dialog mit den Schulen „und mit Augenmaß“ angehen. Die Leitlinien allerdings will sie nicht ändern, sagte sie unserer Zeitung. „Überprüfung bedeutet nicht automatisch Schließung“, betonte Hubig – viele schienen ihr das nicht zu glauben.

„Mit diesen Leitlinien haben Sie Verunsicherung und Ärger ausgelöst“, kritisierte Zilles im Namen der Demonstranten, „Sie haben einen Flächenbrand entfacht.“ Tatsächlich waren nach Angaben der Organisatoren Menschen aus rund 30 Gemeinden nach Mainz gekommen. „Und das ist heute nicht das Ende unseres Protestzuges“, kündigte Zilles an: „Wir kämpfen weiter, bis die kleinen Schulen im Dorf gelassen werden.“ Um das zu unterstreichen, übergaben die Demonstranten Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) eine Petition. 26.000 Menschen haben sie unterschrieben.

Von unserer Mitarbeiterin Gisela Kirschstein