Klare Worte: Die Außenminister Sigmar Gabriel und Mevlüt Cavusoglu sagen sich die Meinung

Handshake Gabriel und Cavusoglu
Außenminister Sigmar Gabriel (links) verabschiedet im Hotel Adlon seinen türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Foto: Kay Nietfeld

Nichts ist normal bei diesem deutsch-türkischen Außenministertreffen. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel schleicht am frühen Mittwochmorgen durch die Hintertür in das ehrwürdige Berliner Hotel Adlon, um seinen türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu zu sprechen. Normalerweise würde ein solches Treffen im Auswärtigen Amt stattfinden und es würde auch nicht auf 7.30 Uhr in der Früh terminiert. Cavusoglu hat aber noch einen Anschlusstermin, der ihm offenbar wichtiger ist.

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Der aus dem Ferienort Alanya stammende Minister will auf die Tourismusmesse ITB. Da geht es um Geld, um viel Geld deutscher Touristen für die Leute in seinem Wahlkreis. Viele deutsche Politiker verbringen ihren Urlaub in der Türkei, sagt Cavusoglu. Auch Gabriel wolle dieses Jahr noch dort Ferien machen.

Erstmal besucht Gabriel aber Cavusoglu im Hotel. Die Medien sind nicht eingeladen. Es gibt auch keine gemeinsame Pressekonferenz. Immerhin begleitet Cavusoglu Gabriel nach dem Frühstück noch zur Tür. Aber auch wieder zur Hintertür. Als Gabriels Amtsvorgänger Frank-Walter Steinmeier im November in Ankara war, gab es immerhin noch eine gemeinsame Pressebegegnung mit Cavusoglu. Doch auch damals schon waren die Differenzen zahlreicher als die Gemeinsamkeiten.

Gabriel zieht eine klare rote Linie

Wenige Minuten nach dem Treffen steht Gabriel allein vor zwei Fahnen im Auswärtigen Amt. Eine ist blau mit Sternen und symbolisiert die EU. Die andere ist schwarz-rot-gold. Die rot-weiße türkische Fahne mit Halbmond und Stern fehlt. Gabriel tut so, als ob Cavusoglu nicht für die ITB, sondern für das Treffen mit ihm nach Berlin gekommen sei. Er ignoriert, dass sein türkischer Kollege nur wenige Stunden zuvor in Hamburg vor Hunderten Unterstützern für die umstrittene türkische Verfassungsreform geworben hat. Vom Balkon der Residenz des Generalkonsuls herab brandmarkte er Absagen an Wahlkampfauftritte türkischer Politiker als „systematisches“ Vorgehen Deutschlands. „Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf“, sagt der Vizekanzler. Da ist eine klare rote Linie, die er in dem Gespräch mit Cavusoglu zieht: Keine Nazi-Vergleiche mehr. Dann kann man über alles sprechen.

Gabriels Vater war Nazi. Die Abgrenzung zu ihm hat ihn sehr geprägt. Gabriel hat aber auch ein sehr persönliches Verhältnis zur Türkei. Er war einmal mit einer türkischstämmigen Frau verheiratet, hat das Land oft besucht. Jetzt ruft er dazu auf, die starken Bindungen zwischen beiden Ländern nicht zu riskieren. Gerade die Türken in Deutschland sind immer Brückenbauer gewesen, sagt er. „Ich finde, dass wir bei allen Schwierigkeiten, die wir heute haben, uns an die großartigen Erfolge dieser Freundschaft, die Zusammenarbeit, den Aufbau unseres Landes erinnern müssen.“

Gabriel versucht, eine gewisse Zuversicht zu verbreiten, dass schon alles wieder gut werden wird. Es bleibt ihm kaum etwas anderes übrig. Innerhalb von nicht einmal zwei Wochen – seit der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel – ist ziemlich viel Porzellan zerschlagen worden. Persönliche Gespräche sind jetzt die einzige Möglichkeit, zumindest eine Entschärfung herbeizuführen. „Wir waren uns einig, dass keine der beiden Seiten ein Interesse daran hat, die Beziehungen nachhaltig zu beschädigen“, sagt Gabriel.

Cavusoglu sieht die Verantwortung bei Deutschland

Bei Cavusoglu klingt das anders. Er schiebt die Verantwortung für die jüngste Eskalation allein der deutschen Seite zu. Er sagt, deutsche Politiker und Medien ließen „anti-türkische“ und „islamfeindliche“ Tendenzen erkennen, und dass dies eine „sehr große Bedrohung“ für das Verhältnis zwischen beiden Staaten sei.

Etwas positiver äußert sich Cavusoglu über seinen „Freund“ Gabriel. Er habe ganz offen über alle aktuellen Probleme gesprochen, betont er. Vielleicht liegt Cavusoglu, der Fragen deutscher Journalisten auf der Berliner Messe schon mal als „Schwachsinn“ abtut, der direkte Stil des scheidenden SPD-Chefs mehr als die höfliche Verbindlichkeit eines Steinmeier. Konkrete Ergebnisse bringt das Krisentreffen im Hotel nicht. Aber immerhin vereinbaren die beiden Minister, den Dialog möglichst bald fortzusetzen. Mehr konnte man vielleicht auch nicht erwarten.

Michael Fischer und Anne Béatrice Clasmann

So könnte Berlin die Türkei unter Druck setzen

Deutschland ist nicht das erste Land, mit dem sich der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan anlegt. Ende 2015 kam es zum Konflikt mit Moskau, als die Türkei einen russischen Kampfjet im Grenzgebiet zu Syrien abschoss. Der russische Präsident Wladimir Putin verhängte Sanktionen. Aus Putins Sicht war das erfolgreich: Erdogan entschuldigte sich. Die Bundesregierung operiert bislang mit Appellen und Mahnungen. Sanktionen lehnt sie ab und setzt stattdessen auf Gespräche. Der Kurs ist umstritten. Immer wieder gibt es Forderungen, die Türkei unter Druck zu setzen – zum Beispiel wirtschaftlich. Welche Sanktionsmaßnahmen wären denkbar?

1. Handel: Die Zollunion mit der EU ist für Erdogan angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Landes außerordentlich wichtig – schließlich ist die EU der wichtigste Handelspartner der Türkei. Die 1996 gestartete Zollunion regelt, dass im Handel zwischen der EU und der Türkei die meisten Waren zollfrei aus- oder eingeführt werden können. Die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten im Dezember um Zustimmung zur Ausweitung der Zollunion gebeten. Deutschlands Stimme hätte bei dem Thema großes Gewicht. Die Erweiterung war Ankara allerdings im Rahmen des EU-Flüchtlingspakts in Aussicht gestellt worden – den Erdogan dann wieder infrage stellen könnte.

2. Tourismus: Russland strich im Konflikt mit Ankara alle Charterflüge in die Türkei, die russischen Besucherzahlen brachen um 90 Prozent ein. Würde das Auswärtige Amt in Berlin eine Reisewarnung für die Türkei herausgeben, wie es beispielsweise Israel im vergangenen Jahr getan hatte, dürfte das einen ähnlichen Effekt haben. Die schlechte Sicherheitslage böte dafür ausreichend Gründe. Zwar meiden auch schon ohne Reisewarnung zahlreiche deutsche Urlauber die Türkei, Deutsche stellen aber weiterhin eine der wichtigsten Besuchergruppen.

3. Investitionen: Bei langfristigen Kapitalinvestitionen deutscher Unternehmen sichert die Bundesregierung das Kreditrisiko mit Bürgschaften und Garantien ab. Den Rahmen dieser Außenwirtschaftsförderung könnte die Bundesregierung bei der Türkei reduzieren. Schaden würde das nicht nur der türkischen Wirtschaft, die auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen ist, sondern auch deutschen Unternehmen. 4 Kredite: Die Bundesregierung könnte außerdem bei internationalen Organisationen wie der Weltbank oder der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ihr Gewicht in die Waagschale werfen, wenn es um Kredite für die Türkei geht. Besonders in der prekären wirtschaftlichen Lage könnte das die Türkei empfindlich treffen.