Interview: Steinbrück schließt Rot-Rot-Grün aus

Der SPD-Kanzlerkandidat kämpft gut gelaunt und konzentriert um Stimmen, stellten der Verleger unser Zeitung, Walterpeter Twer, Chefredakteur Christian Lindner und Redakteurin Ursula Samary (von rechts) fest.
Der SPD-Kanzlerkandidat kämpft gut gelaunt und konzentriert um Stimmen, stellten der Verleger unser Zeitung, Walterpeter Twer, Chefredakteur Christian Lindner und Redakteurin Ursula Samary (von rechts) fest. Foto: Jens Weber

Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück lässt sich im Gespräch mit unserer Zeitung kein Hintertürchen offen: „Ich lasse mich von der Linkspartei nicht wählen oder tolerieren.“ Für die SPD ist die Linkspartei „nicht koalitionsfähig“, auch wenn es nach der Bundestagswahl eine rot-rotgrüne Mehrheit gäbe.

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Das Interview führten Chefredakteur Christian Lindner und Ursula Samary

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Vier Jahre Schwarz-Gelb. Was ist Kanzlerin Angela Merkel gelungen?

Sie hat sich bemüht. Aber einen Plan für Deutschland oder eine wegweisende Reform kann ich nicht erkennen. Es gab keine Rentenreform, keine Pflegereform. Die Energiewende ist aus der Sicht der Fachleute ein Desaster. Sogar die eigenen Ansprüche an eine Steuerreform sind nicht erfüllt. Die Bundesrepublik ist verwaltet, aber nicht politisch gestaltet worden.

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Aber sind die Kerndaten der Republik schlecht? Es gibt so viele Arbeitsplätze wie noch nie ...

Deutschland hat zweifellos eine starke Wirtschaft und eine stabile Sozialpartnerschaft. Aber: 7 Millionen Menschen verdienen unter 8,50 Euro. 1,4 Millionen verdienen trotz Vollzeit so wenig, dass der Staat ihr Gehalt aufstocken muss. Viele Menschen haben Angst vor Altersarmut. Also, die guten Daten sind von vielen Defiziten begleitet.

Wenn Sie Bundeskanzler werden, wollen Sie in den ersten 100 Tagen einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro einführen. Warum?

Weil Arbeit eine größere Wertschätzung braucht. Der Lohn muss einigermaßen auskömmlich sein, ohne dass ihn der Staat aufstockt. Dies ist sozial gerecht und ökonomisch vernünftig, weil es Kaufkraft schafft, weil Menschen fürs Alter vorsorgen können, weil der Staat damit mehr Einnahmen und weniger Ausgaben hat.

Warum nicht 7 oder 10 Euro?

Bei 8,50 Euro kommt man bei einer 38/39-Stunden-Woche brutto auf etwa 1300 Euro.

Damit kann man auch keine Familie ernähren.

Deshalb habe ich gesagt einigermaßen auskömmlich. Umgekehrt macht es aber auch keinen Sinn, einen höheren Mindestlohn festzusetzen. Dann stellt sich die Frage, ob eine Reihe von Arbeitgebern den Lohn auch zahlen können. Aber es muss Schluss sein mit Geschäftsmodellen, die so niedrige Löhne vorsehen, dass am Ende der Steuerzahler für den Rest aufkommen muss.

Wie viel gibt es beim nächsten Wahlkampf dann oben drauf?

Da gibt es keinen Automatismus. Man wird ein objektives und nicht politisch beeinflusstes Verfahren entwickeln, das Löhne festlegt. Übrigens: In mehr als 20 EU-Ländern gibt es einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Die erlebten auch nicht den Untergang des Abendlands. Und: Die Tarifpartner sind natürlich frei, mehr als den Mindestlohn zu vereinbaren.

Leiharbeiter und Werkvertragler sollen den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft bekommen. Rauben Sie den Unternehmen damit nicht Flexibilität?

Ich will Leiharbeit und Werkverträge nicht grundsätzlich infrage stellen, wenn damit Auftragsspitzen abfangen werden. Es hat sich aber ein skandalöser Missbrauch entwickelt. Es ist ungerecht, wenn qualifizierte Leiharbeiter nicht das gleiche Geld wie die Stammbelegschaft bekommen.

Warum ist es rückwärtsgewandt, Eltern mit einem Betreuungsgeld zu unterstützen, die Kindern 24 Stunden ein Zuhause geben?

Ich kann nicht einsehen, warum eine staatliche Leistung dafür gezahlt werden soll, dass eine andere staatliche Leistung nicht in Anspruch genommen wird. Jeder kann seine Kinder selbst erziehen. Der Punkt ist: Ich will Frauen, die arbeiten wollen, eine echte Wahlmöglichkeit geben. Deshalb ist das Geld besser beim Ausbau von Kitas angelegt.

Erstmals tritt die Alternative für Deutschland (AfD) an. Sie fordert „eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes. Deutschland braucht den Euro nicht.“ Was sagen Sie als Finanzpolitiker dazu?

Ich halte es für gefährlich, von solchen Perspektiven zu reden. Deutschland hat ein massives Interesse und die europapolitische Verantwortung, diesen Kontinent zusammenzuhalten. Ökonomisch wäre eine Re-Nationalisierung von Währungen fatal. Dann wäre die neue D-Mark einem Aufwertungseffekt von 30 bis 40 Prozent ausgesetzt. Dann ist das deutsche Exportmodell am Ende. Auch in Rheinland-Pfalz gibt es viele mittelständische Firmen, deren Umsatz zu gut 40 Prozent vom Export abhängig ist. Alle ihre Güter, Dienstleistungen und Systemlösungen würden um 30 bis 40 Prozent teurer. Das verschweigt die Primitiv-Ökonomie.

AfD-Veranstaltungen haben aber großen Zulauf. Warum?

Sie spielt mit Vorurteilen und Stimmungen – nach dem Motto: Warum soll Deutschland für Defizite anderer zahlen? Sie vergessen nur: Deutschen wurde auch geholfen – mit dem Marshall- und Aufbauprogramm nach dem Krieg wie bei der Wiedervereinigung. Deutschland wird es immer nur dann gut gehen, wenn es unseren Nachbarn gut geht.

Wird auch vergessen, dass bei der Einführung des Euro viele Fehler gemacht wurden?

Darüber kann man lange räsonieren. Die Legende der CDU/CSU, dass die SPD Griechenland in die Währungsunion geholt habe, lässt sich leicht widerlegen. Der Bundestag hat nie darüber abgestimmt. Die Entscheidung über die Aufnahme eines Landes in die EU fällt im Europäischen Rat und im europäischen Parlament. Und im Parlament haben diverse Unionsmitglieder für den Beitritt Griechenlands gestimmt. Jetzt geht es um die Frage, was passiert, wenn ein Dominostein fällt.

Sie haben einen Marshallplan für Griechenland gefordert. Stünde es den Deutschen gut an, als Oberlehrer aufzutauchen, und hätte Deutschland das Geld dafür?

Ein Wachstums- und Strukturprogramm muss von der EU organisiert werden. Die SPD sieht eine Finanzquelle zu einem Teil in der Steuer, die auf Finanzgeschäfte erhoben werden soll. Tatsache ist: Die betroffenen Länder müssen wieder Wind unter die Flügel kriegen. Die Sparkeule führt immer weiter in die Abwärtsspirale. Deshalb ist mir Frau Merkels Krisenmanagement zu einseitig.

Erleben wir eine Staatsschuldenoder eine Bankenkrise?

Eine Bankenkrise. Spanien hatte vor der Krise bessere Verschuldungsdaten als Deutschland. Deshalb rate ich, nicht immer mit dem pädagogischen Zeigefinger in der Luft rumzufummeln.

Der Finanzmarkt hat sich in Teilen von der Realwirtschaft abgekoppelt. Ist er noch zu bändigen?

Nur international. Der Finanzmarktkapitalismus ist grenzenlos, die Politik läuft hinterher. Daher ist es wichtig, dass sich zunächst Kontinentaleuropa stärker auf Regulierung und Aufsicht verständigt. Die ersten Schritte sind unzureichend. Beim ersten G 20-Gipfel wurde beschlossen, dass jedes Finanzmarktprodukt, jeder einzelne Finanzmarkt und Finanzmarktteilnehmer einer Aufsicht und Regulierung unterworfen wird. Leider wurde dies nie umgesetzt.

Zurück nach Deutschland: Rot-Grün hat einmal den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Warum wollen Sie ihn nun wieder auf 49 Prozent erhöhen?

Um vier große Defizitentwicklungen zu bremsen. Bildung ist in Deutschland deutlich unterfinanziert. Nicht die SPD, sondern die OECD sagt: Es fehlen 26 Milliarden Euro. Die Infrastruktur – nicht nur Straßen, Schienen, Energieversorgung und Datenautobahnen – ist unterfinanziert. Viele Kommunen hängen auch finanziell am Fliegenfänger. Und viertens: Wir müssen Schulden abbauen. Deshalb wollen wir einige Steuern für einige erhöhen, zumal die oberen Vermögens- und Einkommensetagen die großen Gewinner der vergangenen 15 Jahre sind.

Wie lässt sich in mittelständischen Firmen Betriebs- und Privatvermögen steuerlich trennen?

Wie bei der Erbschaft. Seit meiner Amtszeit kann Betriebsvermögen steuerfrei vererbt werden. Die Trennung ist schwierig, auch beim Bundesverfassungsgericht noch anhängig. Aber es bleibt dabei: Mit mir als Kanzler gibt es keine verschärfte Substanzbesteuerung.

Wie steht es um die Steuergerechtigkeit in Deutschland?

Wir müssen aufpassen, dass es auch in dieser Frage nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft kommt. Es gibt Schätzungen, dass wir durch Steuerbetrug jährlich 30 Milliarden Euro verlieren und durch die legale Steuervermeidung von Unternehmen weitere 130 Milliarden Euro.

Wie wollen Sie dies verhindern?

National mit dem sogenannten Marktortsprinzip: Schwedische Möbelhändler oder andere Konzerne sollen Gewinne da versteuern, wo sie anfallen, und nicht zu einer Holding in einem Land überführen, wo die Steuer geringer ist.

Was sagt Ihre Partei, wenn es für Rot-Grün nicht reicht?

Frau Merkel bemüht wieder mal das Gespenst Rot-Rot-Grün. Aber die Stellungnahmen der SPD sind eindeutig, dass es dazu nicht kommen wird. Die Linkspartei ist nicht koalitionsfähig. Sie besteht aus drei Parteien: einer ostdeutschen, die Verantwortung übernimmt, einer kommunistischen Plattform und einer Partei westdeutscher Sektierer.

Die Linkspartei wirft der SPD vor, dass sie ihre Werte vernachlässige.

Für die sektiererische West-Linke ist die SPD der Hauptfeind. Und deshalb will ich mich von denen auch nicht wählen oder tolerieren lassen.

Sie wollen auch keine Große Koalition, daher notfalls Neuwahlen?

Diese Frage stellt sich nicht. Die Wahl wird über die Mobilisierung gewonnen. Und wir haben derzeit zehn Millionen Bürger, die schon einmal SPD gewählt haben. Die wollen wir zurückgewinnen. Die Umfragen sagen rein gar nix, weil sich Unentschlossene erst kurz vor der Wahl entscheiden.

Welche Gespräche führen Sie am 23. September?

Mit den Grünen, über den Zeitplan der Koalitionsverhandlungen.

Was trinken Sie am Wahlsonntag vor der Wahlrunde im Fernsehen?

In jedem Fall einen schönen deutschen Weißwein.

Ein Interview mit Kanzlerin Angela Merkel folgt