Karlsruhe

In der Realität ist die Rechtslage eindeutig

Wie sich das Dilemma für den Einzelnen in einem rechtlichen wie ethischen Konflikt zuspitzen kann, inszeniert Ferdinand von Schirachs Theaterstück. In der Realität ist die geltende Rechtslage eindeutig, auch wenn die höchsten Richter – anders als im Theater – sie in Karlsruhe strafrechtlich nicht bewertet haben. Aber: Es verstößt gegen das Grundgesetz, wenn der Staat den Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeugs mit Passagieren an Bord verfügt.

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Das Bundesverfassungsgericht gab den Klägern, den FDP-Politikern Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, Recht und entschied in seinem viel diskutierten Urteil am 15. Februar 2006: Die Abschussermächtigung im Luftsicherheitsgesetz „ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig“. Denn der Staat behandele bei einem Angriff die Passagiere in einem als Waffe eingesetzten Flugzeug auch nur als bloße Objekte, ihr Leben werde gegen das anderer aufgerechnet.

Kein Aufrechnen von Leben erlaubt

In der Begründung heißt es: „Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst Willen zukommt.“ Auch die Einschätzung, dass die Betroffenen ohnehin dem Tod geweiht seien, ließen die Richter nicht gelten: „Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz.“

Bundespräsident regte verfassungsrechtliche Prüfung an

Ein Zwischenfall im Frankfurter Luftraum hatte 2003 das politisch, rechtlich und ethisch umstrittene Gesetz forciert: Damals drohte ein geistig Verwirrter, seinen Motorsegler in ein Hochhaus zu stürzen. Als der damalige Bundespräsident Horst Köhler das Gesetz Anfang 2005 unterschrieb, regte er bereits richterliche Überprüfung an. Der in der Debatte angeführte Rechtfertigungsansatz des „übergesetzlichen Notstands“ ist im durchgespielten Abschussfall gesetzlich eben nicht geregelt. Der Paragraf 35 im Strafgesetzbuch geht von eignen Notwehrlagen aus, wenn Gefahr von sich oder der Familie abgewendet werden soll.

Ursula Samary