In 100 Tagen geht es los: Olympia im Schatten der Krise

Sind die Olympischen Spiele Segen oder Fluch für Rio? Die Christusstatue thront über der Stadt, im Hintergrund liegt das Maracana-Stadion.
Sind die Olympischen Spiele Segen oder Fluch für Rio? Die Christusstatue thront über der Stadt, im Hintergrund liegt das Maracana-Stadion. Foto: dpa

Rio de Janeiro. Ein Taxifahrer in Rio sagt: Seit dem 1:7 gegen Deutschland bei der Fußball-WM geht es in der brasilianischen Metropole nur noch bergab. Das Zika-Virus, die Rezession, das politische Chaos – Rios Olympiapremiere (5. bis 21. August) steht 100 Tage vor der Eröffnung bisher unter keinem guten Stern.

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Von Georg Ismar

Und dann noch das: Mitte Januar hatte Eduardo Paes, der Bürgermeister von Rio de Janeiro, einen spektakulären, für die Spiele gebauten Radweg entlang der Atlantikküste eröffnet. Drei Monate später stürzte er ein, starker Wellengang riss ihn weg, zwei Männer starben. Just als Paes am 21. April in Griechenland weilte, zur Entzündung des olympischen Feuers.

Der Bürgermeister gibt sich dennoch optimistisch. Zu 98 Prozent sei alles fertig. „Die größten Herausforderungen bei der Organisation sind überwunden“, erklärte er. Doch Olympiafieber? Fehlanzeige. Und dann ist noch nicht einmal klar, wer die Spiele eröffnet.

Paes' großes Vorbild ist Barcelona 1992. Wie damals will er mit heiteren Spielen, mit großartigen Bildern aus einer der schönsten Städte der Welt einen Touristenandrang auslösen. Er will „weiße Elefanten“ verhindern – Stadien, die nach Olympia verfallen. So wird eine 10 000-Zuschauer-Arena später in eine Schule umgebaut.

Stadien sind weitgehend fertig

Das neue Schwimmstadion mit der künstlerischen Außenfassade ist das Schmuckstück, ein energiesparendes Zirkulationssytem soll für frische Luft sorgen. Nur das Radstadion ist etwas in Verzug. Anders als etwa bei Athen 2004 sind die Anlagen nicht das Sorgenkind – auch wenn Verbände sich über geringere Zuschauerkapazitäten als in London 2012 mokieren. Ärger gab es bei den Testwettbewerben der Turner: Der Strom fiel aus, ebenso die Ergebnisanzeigen – es war bei Weitem nicht die einzige vorolympische Panne.

Auch das renovierte Leichtathletikstadion (60 000 Plätze), Heimat des Fußballklubs Botafogo, ist sicher nicht das modernste. Hier will der sechsfache Olympiasieger Usain Bolt seine Medaillensammlung mehren. Das oberste Gebot lautet: nachhaltige, kostenbewusste Spiele, kein Gigantismus. Daher gibt es auch kein „richtiges“ Olympiastadion, denn Eröffnungs- und Schlussfeier finden im Fußballtempel Maracana statt.

Aber die Leute bewegt anderes: Die Wirtschaftsleistung ist 2015 um 3,8 Prozent eingebrochen, es droht die größte Rezession seit den 30er-Jahren. Das einst gefeierte Aufschwungsland hat 9,6 Millionen Arbeitslose, regiert wird kaum noch, da es einen erbitterten Kampf gibt um die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff, die fast alle Koalitionspartner verloren hat – wahrscheinlich wird sie zur Prüfung von Vorwürfen wie Tricksereien beim Staatshaushalt für 180 Tage suspendiert. Dann würde Vizepräsident Michel Temer die Spiele im Maracana eröffnen.

Hinzu kommt ein milliardenschwerer Korruptionsskandal, in den mehr als 50 Politiker verwickelt sind. Das Land ist tief gespalten, die Rio-Organisatoren sind wegen der miesen Lage zum radikalen Sparen gezwungen – so wird es Tausende Freiwillige weniger geben, und die Sportler müssen Abstriche beim Komfort machen.

Größtes Sorgenkind ist die neue Metro-Linie nach Barra zum Olympiapark. Es ist das wichtigste Infrastrukturprojekt, das ein Viertel der Gesamtkosten ausmacht, aber womöglich nicht rechtzeitig fertig wird. Ursprünglich sollte die Linie 8,5 Milliarden Reais kosten, nun könnten es mehr als 10 Milliarden (2,5 Milliarden Euro) werden. Im schlimmsten Fall müssen die Touristen mit Pendelbussen zum 40 Kilometer entfernten Olympiapark anreisen – schon jetzt sind die Straßen nach Barra meistens verstopft.

Doch kann die Macht der Bilder, zum Beispiel der Cristo, der auf die Ruderer in der Lagune Rodrigo de Freitas herunterblickt, die Probleme übertünchen? In der Lagune kommt es immer wieder zu Fischsterben – noch dramatischer ist die Wasserqualität im Segelrevier, der malerischen Guanabara-Bucht. Fäkalien, Abwässer, Keime – Wassertests fallen katastrophal aus.

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Zudem hält die Debatte um das mysteriöse Zika-Virus so manchen Olympiafan von einer Reise nach Rio ab. Allerdings sind die das Virus übertragenden Moskitos im südamerikanischen Winter weniger aktiv und Rio nicht so stark betroffen wie der Nordosten. Von 7,4 Millionen Tickets für Olympische und Paralympische Spiele sind erst 62 Prozent verkauft. 30 Prozent gehen ins Ausland, 70 Prozent werden in Brasilien verkauft – doch viele Sportarten interessieren hier nicht. Die Stimmung wird auch vom Erfolg der Brasilianer abhängen, doch die Medaillenhoffnungen sind gering. Schwimm-Olympiasieger Cesar Cielo scheiterte überraschend in der Quali. Brasiliens beste Sprinterin, Ana Claudia Lemos, verpasst die Spiele wegen eines Dopingfalls.

Als Pflicht gilt fast schon Olympiagold im Fußball. Der wichtigste Spieler, Neymar, hat nun die Freigabe vom FC Barcelona bekommen. Bei Olympia 2012 in London landete Brasilien mit drei Gold-, fünf Silber- und neun Bronzemedaillen nur auf dem 22. Platz. Aber: Die Organisatoren setzen auf die traditionelle Begeisterungsfähigkeit und Lebensfreude der Brasilianer, auf dass es am Ende doch heißt: „tudo bem“ – alles gut.