München

Immer gegen den Strich: Horst Haitzinger

Seit knapp 60 Jahren begleitet der "Meister des deftigen Strichs" bereits die politische Entwicklung seiner Wahlheimat Deutschland. Der gebürtige Oberösterreicher lebt heute in München. Die Liebhaber seiner Karikaturen schätzen seinen Humor und seine Fähigkeit, Metaphern zu verwenden. 
Seit knapp 60 Jahren begleitet der "Meister des deftigen Strichs" bereits die politische Entwicklung seiner Wahlheimat Deutschland. Der gebürtige Oberösterreicher lebt heute in München. Die Liebhaber seiner Karikaturen schätzen seinen Humor und seine Fähigkeit, Metaphern zu verwenden.  Foto: dpa

75 Jahre Horst Haitzinger – unser beliebter Karikaturist wurde am 19. Juni 1939 im oberösterreichischen Eferding geboren. Heute lebt und arbeitet er in München. Wir haben ihn interviewt.

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Gehen Sie gelöst auf Ihren Geburtstag zu?

Ganz ehrlich? Das Feiern mag ich überhaupt nicht. Gelöst – mein Gott, ich gehe auf diesen Tag zu. (lacht) Wissen Sie, ich habe zu Geburtstagen überhaupt kein Verhältnis, weder zu meinem eigenen noch zu denen von anderen. Ich empfinde es als den reinen Terror. Ich habe immer das Gefühl, dass hinter jeder Geburtstagsgratulation der unausgesprochene Satz steckt: „Aber vergiss du bloß nicht meinen.“ Das ist die Spätfolge einer umfangreichen Verwandtschaft, bei der ich bei liebevollen Onkeln und Tanten mein halbes Leben lang immer sämtliche Geburtstage vergessen habe – weshalb ich ständig mit einem schlechten Gewissen herumgelaufen bin. Aber wenn mein Geburtstag total ignoriert wird, denkt man sich ja schon auch, was jetzt los ist.

Sie sagen, dass Geburtstage Terror sind – dann stünde also bei einer Karikatur über Ihren Geburtstag vor Ihrer Tür eine Gruppe von...

(lacht laut) Ich möchte jetzt die Gratulantenschar vor meiner Haustür nicht in einen Topf mit Isis werfen ...

Aber auch wenn Sie das Feiern nicht mögen – ganz normal arbeiten werden Sie am 75. ja nicht.

Doch, doch, genau das mach ich. Sonst würde ich mich ja verpflichtet fühlen, ein großes Fest zu planen. Ich habe in meinem Leben zweimal Geburtstag gefeiert, an meinem 50. und an meinem 60. Da hat es aufgrund von Erpressung größere Partys gegeben. Die waren im Vorfeld beim Organisieren ein einziger Albtraum. Gut, hinterher hab ich schon gesagt: „Das war eigentlich richtig schön.“

Wann startet denn Ihr Arbeitstag?

Ich bin ein Langschläfer. Ich steige um 9 Uhr aus dem Bett, höre Nachrichten und überlege beim Frühstück, was auf mich zukommen könnte. Ich sortiere die Themen, welche Metaphern mir einfallen. Punkt 12 Uhr sitze ich an meinem Zeichentisch und mache die ersten Skizzen.

Ihnen fällt immer was ein?

Nein. (lacht) Nein. „Einfall“ ist auch eine falsche Vokabel. Es fällt nichts ein, es muss vielmehr etwas herbeigezogen werden. Wenn ich mich dann für ein Thema entschieden habe, überlege ich: Wie stehe ich dazu? Bin ich dafür oder dagegen? Oder kann ich das Thema locker verblödeln? Das ist übrigens nicht das Einfachste ... Dann kommt man irgendwann zu einem Bild. Es ist mein Ehrgeiz, dass ich ein kompliziertes Geschehen auf ein überschaubares Szenario reduziere, meine Karikatur soll wie ein gezeichnetes Theaterstück sein.

Sind Sie als Karikaturist der bessere Politiker?

Mit 100-prozentiger Sicherheit nicht. Ganz ehrlich bedauere ich viele Politiker, ich möchte mit keinem tauschen. O, ich glaube, jetzt bricht bei mir die Altersmilde durch – aber wir Satiriker, Kabarettisten und Karikaturisten machen es uns manchmal schon verdammt einfach mit unserer Kritik. Wenn Sie mal überlegen, was Sie selbst an der Stelle des Politikers machen würden – eine tödliche Überlegung für unsereins -, dann verkneift man sich so manche billige Pointe. Diese viel gescholtenen Sachzwänge in der Politik sind leider oft real.

Konnten Sie Politikern schon Denkanstöße geben?

An so ein Kompliment kann ich mich nicht erinnern. Nur weil ich zeichnen kann, fällt mir ja noch keine tiefere politische Kenntnis zu. Ich bin ein politisch interessierter Zeitungsleser wie viele andere auch, ich ziehe meine Schlüsse und bringe diese zu Papier. Aber ich bin keinem Politiker in Sachen politische Kreativität voraus.

Manchmal wird sogar das Leben von Karikaturisten bedroht: Hat sich für Sie persönlich im Zuge der Mohammed-Karikaturen etwas verändert?

Nein, es hat sich bei mir nichts geändert, ich habe weiterhin gezeichnet, was ich für richtig gehalten habe. Aber es war unsäglich, was damals geschehen ist.

Rechnen Sie beim Zeichnen stets mit Ärger?

Ich lege es nicht darauf an, mit irgendeiner Beleidigung für Furore zu sorgen. Die Qualität einer Karikatur hängt nicht vom Grad der Aggressivität ab, sondern davon, wie sehr man den Kern der Sache trifft. Dieses Reindreschen und hinterher schauen, wen man getroffen hat – das ist nicht mein Stil. Die Aggressivität muss im Verhältnis zum Delikt stehen.

Aber manchmal reicht es ja, wenn Sie entlarven. Wenn der Kaiser nackt ist und Sie das entsprechend zeichnen – dann klagt der Kaiser natürlich heutzutage gegen Sie.

Diese Metapher ist ziemlich abgedroschen, aber sie ist leider Gottes die pausenlos treffendste. Gerade im Bereich der Kultur.

Apropos Metapher: Verstehen junge Leute Ihre Karikaturen noch?

Die meisten schon, ja. Aber Sie sprechen da ein ganz konkretes Problem an. Ich war zeitlebens am stärksten darin, Bilder aus Balladen, Märchen und der Bibel zu verwenden – und da sind junge Leute heute zusehends schwach auf der Brust. Aber gut, manchmal muss man auch ein Minderheitenprogramm machen.

Wie jung ist denn Horst Haitzinger als Karikaturist? Verstehen Sie Facebook, soziale Netzwerke ...?

Ich hoffe, dass das jetzt die perfideste Frage des Interviews war. (lacht) Was das angeht, da bin ich so was von ururalt. Ich verstehe das überhaupt nicht. Ich habe zwar einen PC, um meine Karikaturen zu übermitteln – aber ich habe mich so lange dagegen gesträubt. Ich liebe es, Bücher in der Hand zu haben, ich höre fast rund um die Uhr Hörfunk. Da gibt es übrigens im Bayerischen Rundfunk eine Radiosendung mit Computertipps. Die höre ich schrecklich gern – weil ich da kein Wort versteh. Die Sendung ist für mich wie eine Parodie...

Wenn Sie eine Figur zeichnerisch entwickeln – achten Sie da eher auf äußerliche Merkmale oder auch auf die Seele des Menschen?

Ich krieg eine gute Karikatur gar nicht hin, wenn ich nicht das Innere mitfühle. Meine beiden Töchter haben sich früher, als sie noch klein waren, immer königlich amüsiert, weil ich beim Zeichnen Grimassen geschnitten habe. Man muss schon ein inneres Verhältnis zu den Figuren haben, die man zeichnet. Aber das Äußere ist natürlich auch wichtig, klar.

Gibt es eine Lieblingsfigur?

Nein, die gibt es nicht. Jede Figur verbraucht sich im Lauf der Jahre. Da ist der Franz Josef Strauß anfangs ganz spannend, aber irgendwann kann man das Gesicht nicht mehr sehen. Da ist man wirklich dankbar, wenn mal wieder neue Gesichter kommen. Ich freue mich über jeden politischen Wechsel – nach angemessener Zeit.

Das heißt, Frau Merkel ...

... darf ihre Legislaturperiode schon noch in Ruhe zu Ende führen, ja.

Das Gespräch führte Michael Defrancesco

Atommüll, ein bis heute strahlendes Thema. „Stolzer Hundebesitzer“ vom 13. Januar 1988. Karikatur: Horst Haitzinger

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„Der Sonnenkanzler“ (Helmut Kohl) vom 3. Dezember 1990. Karikatur: Horst Haitzinger

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Kindermangel und -Prämie vom 18. April 2001. Karikatur: Horst Haitzinger

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Verteilung der Vermögen und Einkommen in Deutschland. 16. Februar 2010. Karikatur: Horst Haitzinger

Horst Haitzinger

Horst Haitzinger wurde am 19. Juni 1939 in Eferding (Oberösterreich) als Sohn eines Gendarmeriebeamten geboren. In München studierte er Grafik und Malerei und zeichnete bald Karikaturen für den „Simplicissimus“. Zu seinen Vorbildern zählt er Wilhelm Busch. Für unsere Zeitung ist er seit fast 40 Jahren tätig.