Hahn: Die schwierige Suche nach der Wahrheit

Am Flughafen Hahn gerieten möglicherweise eine Reihe von Geschäftsprozessen außer Kontrolle. Die Koblenzer Staatsanwaltschaft ermittelt - mit offenem Ausgang.
Am Flughafen Hahn gerieten möglicherweise eine Reihe von Geschäftsprozessen außer Kontrolle. Die Koblenzer Staatsanwaltschaft ermittelt - mit offenem Ausgang. Foto: dpa

Der Schock sitzt tief für die Regierenden in der Landeshauptstadt. Am Nürburgring ist endlich der erste zarte Hoffnungsstreifen am Horizont sichtbar, da ziehen die dunklen Wolken zum Flughafen Hahn weiter.

Lesezeit: 6 Minuten
Anzeige

Von Dietmar Brück

Ein Airport, dessen wirtschaftliches Überleben an sich schon einem Kraftakt mit offenem Ausgang gleicht, gerät zusätzlich durch die brisante Last der Vergangenheit ins Trudeln. Für eine rot-grüne Landesregierung, die inzwischen nach einem politischen Erfolg lechzt, ist dies ein herber Rückschlag. Zumal Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einen Verdacht amtlich machen, der bis dahin leicht ins Reich der unbewiesenen Behauptungen zu verweisen war. Was offiziell wird, ist zudem postwendend in aller medialen Munde.

Jörg Schumacher: Der Ex-Geschäftsführer war lange Jahre der uneingeschränkte Boss am Hahn. Er hat dem umstrittenen Vertrag für die Passagierabfertigung 2009 zugestimmt. Auch er steht unter Untreueverdacht. Anfang 2013 trennte sich das Land als Hauptgesellschafter von ihm. Schumacher war zuletzt beratend für den Hunsrück-Airport tätig.

picture alliance

Stefan Maxeiner (rechts, neben Schumacher, Mitte, und Bernd Müller, links): Der frühere Hahn-Prokurist soll einen lukrativen Vertrag für eine Firma ausgehandelt haben, die wenig später seine Ehefrau übernahm. Gegen ihn wird wegen Untreue ermittelt. Die Flughafengesellschaft hat ihm – aus einem anderen Grund – gekündigt. Dagegen wehrt er sich juristisch.

dpa

Heinz Rethage: Schumachers Nachfolger als Hahn-Geschäftsführer setzte sofort auf einen harten Sanierungskurs.Zugleich begann er, Unregelmäßigkeiten in der Vergangenheit auszugraben. Er ist ein sperriger, unbequemer Typ, der gern und oft aneckt.

dpa

Salvatore Barbaro: Der neue Hahn-Aufsichtsratschef reformierte den Aufsichtsrat und informierte die Staatsanwaltschaft über mögliche Unregelmäßigkeiten. Der SPD-Mann musste jüngst Kritik einstecken, weil Aussagen von ihm als verharmlosend empfunden wurden. Der selbstbewusste Barbaro will den Flughafen in ruhiges Fahrwasser lenken.

dpa

Roger Lewentz: Der Innen- und Verkehrsminister forcierte die Ablösung Schumachers. Und er schickte Rethage zum Hahn. Mit dem eigensinnigen Flughafen-Geschäftsführer hatte er manchen Strauß auszufechten – zuweilen in heftiger Form. Sozialdemokrat Lewentz betont, dass er Rethage bei seinen Aufklärungsbemühungen nie gebremst hat. Er unterhält einen guten Draht zum Hahn-Betriebsrat.

DPA

Malu Dreyer: Die SPD-Ministerpräsidentin dürfte über die jüngeren Vorgänge am Hahn gut informiert gewesen sein, ohne sich öffentlich einzumischen. Sie versprach, dass niemand eine Zukunft an dem Flughafen hat, der unsauber arbeitete.

DPA

Joachim Mertes: Der SPD-Landtagspräsident war lange Jahre Vizechef im Aufsichtsrat. Der Hunsrücker soll ein enges, vertrauensvolles Verhältnis zu Schumacher gepflegt und auch Maxeiner geschätzt haben.

dpa

Bernd Müller (links): Der Hahn-Prokurist hat den fragwürdigen Vertrag zur Passagierabfertigung ebenfalls unterschrieben. Auch er muss sich des Verdachts auf Untreue erwehren. Müller taucht im Hahn-Organigramm als Leiter der Finanzabteilung auf.

dpa

Jochen Langen: Der einstige Hauptabteilungsleiter im Wirtschaftsministerium war zur Zeit der Vertragsunterzeichnung Aufsichtsratschef. Der CDU-Mann erteilte Schumacher lediglich eine Rüge.

Alexander Licht: Der CDU-Fraktionsvize kam 2013 ins Gerede, weil er die desolaten Verhältnisse am Hahn anprangerte, aber zugleich Vorsitzender des Fördervereins eines Handballklubs war, der besonders hohe Sponsorengelder von der Flughafengesellschaft erhielt.

Hans-Josef Bracht: Der CDU-Politiker saß lange im Aufsichtsrat. Er will von Unregelmäßigkeiten nichts gewusst haben und verließ das Gremium, weil er sich schlecht informiert fühlte.

Julia Klöckner: Die CDU-Chefin klagt am Hahn stets Transparenz ein. Beim Komplex Unregelmäßigkeiten hielten sie und ihre Fraktion sich lange zurück. Über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses etwa dachte bislang nur die FDP laut nach. db

DPA

In der Regierung dürften bis zuletzt viele nicht geglaubt haben, dass die Koblenzer Staatsanwaltschaft mit einem Großaufgebot an dem Hunsrück-Airport anrücken würde. Vielleicht war der Wunsch der Vater des Gedankens. Ein solcher Vorgang zieht einen Rattenschwanz an Risiken nach sich.

Fragen, auf die niemand eine schnelle Antwort geben kann: Wer wusste mehr als er sagte? Wer hätte kontrollieren müssen und schaute weg? Und wer hatte möglicherweise ein Interesse, brisante Sachverhalte zu kaschieren? Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sprach jüngst den ehrlichen Satz: „Ich kann Ihnen nicht sagen, was uns am Hahn noch alles begegnen wird.“ Solche Worte wären in den letzten Jahren der Amtszeit von Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) undenkbar.

Kampf um die Deutungshoheit

Wenige Stunden nachdem der Skandal um den Airport offensichtlich wurde, ließ sich ein klassisches Verhaltensmuster im politischen Geschäft beobachten: der Kampf um die Deutungshoheit. Aus Sicht der Regierung gilt es, den politischen Schaden zu minimieren. Aus Sicht der Opposition wird die politische Rendite berechnet – abzüglich eigener Angriffspunkte. Die Lage ist unübersichtlich. Rund um den Flughafen gab und gibt es ein Geflecht freundschaftlicher Beziehungen, das auch in politische Kreise hineinreicht.

Inwieweit kriminelle Energie bei den Geschäften am Hahn eine Rolle spielte, werden Staatsanwälte und Korruptionsexperten klären. Noch kann niemand sagen, wie der strafrechtliche Befund am Ende aussieht. Ob es tatsächlich Netzwerke der Bereicherung gab und gibt, die über stille Beteiligungen heimlich Gewinne an Profiteure im Hintergrund weiterleiteten. Doch der Fall hat nicht nur eine juristische Dimension. Fragwürdige Vorgänge an einem Flughafen in Landesbesitz – lange ein Beleg für erfolgreiche rheinland-pfälzische Konversationspolitik – lassen sich nicht von der politischen Verantwortung abkoppeln.

Der Fall um die Passagierabfertigung hat im Grunde zwei Phasen: eine umfasst die Jahre 2009 und 2010, die zweite die jüngere Gegenwart. Doch zunächst kurz zusammengefasst, worum es geht: 2009 wurde eine äußerst lukrative Vertragsverlängerung für die Passagierabfertigung unterschrieben. Der Kontrakt sicherte der Serve & Smile Dienstleistungs GmbH (SSD) Rekordrenditen von über 40 Prozent. Den Vertrag, der allein 2013 Mindereinnahmen für die defizitäre Flughafengesellschaft von 500 000 Euro nach sich zog, wurde von dem damaligen Prokuristen Stefan Maxeiner mit ausgehandelt. Wenig später übernahm seine Ehefrau das Unternehmen.

Im weiteren Verlauf kam noch ein fingierter Vergabevermerk hinzu. Es gab Unruhe im Aufsichtsrat. Maxeiners Ehefrau musste die Gesellschafteranteile zurückgeben, blieb aber Prokuristin – auch bei der ähnlich gewinnträchtigen Handle & Smile Dienstleistungs GmbH (HSD). Der damalige Flughafenchef Jörg Schumacher, der dem Vertrag seinen Segen erteilt hatte, erhielt eine Rüge von Aufsichtsratschef Jochen Langen (CDU). Das war es auch schon.

Beck-Brief ohne Wirkung

Ein Brief einer Informantin an Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) im Sommer 2010 erreichte zwar den Ministerpräsidenten persönlich, der ihn ans Bürgerbüro und ans Wirtschaftsministerium weiterleiteten ließ. Doch auch dieses Schreiben führte nicht dazu, den Vorgängen am Hahn auf den Grund zu gehen. Insgesamt war die dubiose Auftragsvergabe sechsmal Thema im Hahn-Aufsichtsrat. Eine unterlassene Ausschreibung für die HSD (Gepäck) musste nachgeholt werden, bei der SSD (Passagiere) wurde der Vergabefehler nie geheilt.

Doch im Aufsichtsrat saß nicht nur der CDU-Mann Langen, ein versierter Verwaltungsprofi in Wirtschaftsfragen. Vertreten waren auch SPD-Parlamentspräsident Joachim Mertes, der Hunsrücker Landrat Bertram Fleck (CDU), Harald Rosenbaum (CDU) als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kirchberg, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion Hans-Josef Bracht und der hessische Ex-Minister Jochen Riebel (CDU), der gelegentlich Rabatz machte. Von dieser Besetzung behält allein Riebel sein Mandat.

Bereits jetzt lässt sich feststellen, dass der Aufsichtsrat keinen guten Job machte. Alle drei, vier Monate über ein dickes Aktenpaket zu befinden, führte wohl allenfalls zur oberflächlichen Unterrichtung anstatt zur gründlichen Kontrolle. Anders lässt sich nicht erklären, dass der Maxeiner-Schumacher-Deal keine tieferen Nachforschungen auslöste. Der neue Hahn-Aufsichtsrat wird komplett anders arbeiten müssen.

CDU-Mann Bracht, der als rechtschaffen gilt, betreibt Selbstdemontage, wenn er seine Ahnungslosigkeit und seine chronisch schlechte Informationslage beteuert. Dann hätte er die Verhältnisse eben ändern müssen. Genug Parteifreunde waren ja an Bord.

Und SPD-Parlamentspräsident Mertes wird sich die Frage stellen müssen, ob ihm sein freundschaftliches Verhältnis zu Schumacher nicht den Blick für die Realität am Hahn vernebelte. Der Sozialdemokrat, ein temperamentvoller Herzblutpolitiker mit Liebe zum Hunsrück, dürfte sich dieser Tage kritische Fragen zu seiner Rolle als Aufsichtsrat anhören. Daran ändert auch nichts, dass er mit Vehemenz bestreitet, 2010 jene Briefeschreiberin an Beck während eines Telefonats abgebügelt zu haben (wir berichteten). Laut Mertes ging es in dem Gespräch ausschließlich um die „zu lange Bearbeitungszeit“ ihres Schreibens, das eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung mit der Flughafengesellschaft beschreibt, aber auch Hinweise über Unregelmäßigkeiten enthält.

Haarscharf vor der Verjährung

Die Frage stellt sich zudem, warum die fraglichen Vorgänge um die Passagierabfertigung erst knapp fünf Jahre später aufgeklärt werden – haarscharf vor der Verjährung? Was geschah in der Zwischenzeit, außer dass SSD und HSD üppige Gewinne abwarfen, während der hoch verschuldete Flughafen Steuermillionen verschlang?

Erst mit dem Auftauchen des neuen Geschäftsführers Heinz Rethage begann das große Aufräumen. Dabei stieß er manchen Mitarbeiter vor den Kopf, zugleich aber legte er überall den Finger in die Wunde. Die massiven Widerstände, mit denen Rethage all die Monate zu ringen hat, hatten sie tatsächlich gar nichts mit mangelnden Aufklärungswillen zu tun?

Ministerpräsidentin Dreyer, Innen- und Verkehrsminister Lewentz, der neue Hahn-Aufsichtsratschef und Finanzstaatssekretär Salvatore Barbaro – sie alle betonen, dass niemand gebremst und nichts unter den Teppich gekehrt werden sollte. Aber haben sie Rethage und die Menschen, die am Hahn eine neue Unternehmenskultur wollen, auch aktiv unterstützt? Dieser Eindruck war bislang schwerlich zu gewinnen.

Lewentz nennt Rethage respektvoll einen „harten Hund“, den „man nicht ermuntern muss“. Und Barbaro hat reichlich belastendes Material an die Staatsanwaltschaft geschickt, auch wenn er nach außen lange den Anschein erweckte, an den Vorwürfen sei nichts dran. Dreyer indes wirkte regelrecht erschrocken angesichts des Misstrauens, das in diesem Fall aufbrandete.

Die Frage wird kaum zu beantworten sein, ob die Aufklärung der fragwürdigen Vorgänge am Ende erzwungen wurde, weil sich einige Leute in den Fall verbissen hatten und nicht abzuschütteln waren? Oder ob Aufsichtsrat und Landesregierung diesen steinigen Pfad ohnehin eingeschlagen hätten. Am Hahn ist fraglos auch politisch viel aufzuarbeiten. Es gab schon parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die aus nichtigeren Anlässen eingesetzt wurden.