Berlin

Elfmeter für den SPD-Mann: Peer Steinbrück brennt für das Kanzleramt

Im August 2008 gab Peer Steinbrück ein Interview. Ob er Kanzler könne, wurde der damalige Finanzminister gefragt. „Nee“, antwortete er. Vier Jahre später ist alles anders. Peer Steinbrück wird Kanzlerkandidat der SPD. Kann er nun doch Kanzler?

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Steinbrück, der sonst gern lässig mit hanseatischem Understatement auftritt, war am Freitag sichtbar nervös. Als Erster der Troika, vor Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, trat er an die Mikrofone. Dünner ist er geworden. Der Anzug saß ein wenig locker. Er trinkt jetzt mehr Wasser als Wein, heißt es. Fit muss er sein, wenn er ab jetzt die Speerspitze der SPD-Troika bildet und ein Jahr Wahlkampfmarathon überstehen muss. Die Öffentlichkeit wird den Kandidaten testen – sein Fachwissen über die Finanzen hinaus, seine Nerven und sein Geschick.

Ziel ist Rot-Grün

Zum Beispiel im Umgang mit der Kanzlerin im Wahlkampf: Die Frau, über die Peer Steinbrück in der Großen Koalition kein schlechtes Wort verlor, ist nun seine Gegnerin. Schon vor wenigen Tagen hatte er bekundet, dass er nicht abermals als Minister in ein Kabinett Merkel einsteigen werde. Bei seiner kurzen Ansprache in der SPD-Parteizentrale rief er als Ziel Rot-Grün aus. Ausgerechnet Steinbrück, der sich als Ministerpräsident in NRW den Ruf des Grünen-Fressers erarbeitet hatte. Jetzt kämpft er gegen Schwarz-Gelb. Der 65-Jährige ist ein wenig nach links gerückt. Bei der Vorlage des Finanzkonzepts präsentierte er sich als Bändiger der Finanzmärkte und Wächter der Anleger und Sparer.

Beherrschendes Thema im Bundestagswahljahr wird voraussichtlich die Rettung des Euro sein. Für Steinbrück ein Elfmeter: Kaum ein Spitzenpolitiker erklärt komplexe Zusammenhänge der Finanzpolitik, von Zinsspreads bis Währungsrisiken, so bildhaft und konkret wie er. Zudem kann er mit eigenen Konzepten der Krisenbekämpfung einen gesellschaftspolitischen Theorie-Überbau geben.

Doch Politikwissenschaftler glauben nicht, dass Steinbrück bei dem Thema Euro der Kanzlerin wirklich Paroli bieten kann. „Die Menschen sehen sich bei Merkel in der Euro-Krise gut aufgehoben. Wenn dieses Thema bis 2013 durchträgt, hat Steinbrück keine Chance“, prophezeit der Bonner Politologe Frank Decker. Steinbrück hätte immer das Problem, dass seine Partei in der Euro-Krise stärker noch als Merkels CDU die Richtung einer Haftungs- und Transferunion einschlagen wolle – und einen solchen Kurs lehnten die Deutschen mit großer Mehrheit ab.

Auch Parteilinke überzeugt

Überzeugt hat Steinbrück auch die Linken in der SPD am Ende wohl vor allem durch den erkennbaren Ehrgeiz, den Spitzenposten zu erringen. Während Frank-Walter Steinmeier immer wieder mit der Frage rang, ob er seiner gesundheitlich angeschlagenen Frau den Wahlkampf zumuten könne und Parteichef Sigmar Gabriel früh mit seiner geringen Popularität im Volk haderte, tourte Steinbrück als Handlungsreisender in eigener Sache durch die Hallen, traf Wirtschaftschefs und Genossen. Gerhard Schröder, der Ex-Kanzler, hatte intern darauf hingewiesen, Kandidat könne nur werden, wer für das Amt brenne. Steinbrück tut das.

Doch ein Bundestagswahlkampf ist lang. Der Kandidat wird auf frühere Positionen abgeklopft, die so gar nicht in das Gerechtigkeitsempfinden der Genossen passen. Noch 2002 warb Steinbrück als NRW-Ministerpräsident für eine Absenkung der Steuersätze. Die Rentengarantie der Großen Koalition bezeichnete er als Sündenfall gegenüber der jüngeren Generation. Und der Mindestlohn gehörte nie zu seinen Lieblingsprojekten. Nun steht er als Kandidat für höhere Steuern und die Aufweichung der Rente mit 67.

Diese Widersprüche wird er erklären müssen. Etwa der Wirtschaft: Nicht nur Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt erwartet eine Kurskorrektur der SPD. „Ich hoffe sehr, dass Herr Steinbrück die wirtschaftsfeindlichen steuer- und rentenpolitischen Vorschläge der SPD der letzten Wochen korrigiert“, sagte Hundt unserer Zeitung.

Von unseren Berliner Korrespondenten