Ein Kommentar: Der Streit um Incirlik zeugt von einem zerrütteten Verhältnis

Gregor Mayntz
Gregor Mayntz Foto: RZ-Archiv

Es dampft und brodelt gewaltig im Verhältnis zur Türkei. Die Anlässe zu Streit, Verstimmung und Konflikten lassen sich inzwischen schon kaum mehr an den Fingern abzählen.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Angefangen von Erdogans Beleidigungsklagen und Pro-Erdogan-Demos über die Armenien-Resolution, wüste Beschimpfungen und Bedrohungen deutscher Politiker, die deutsche Beschreibung der Türkei als Terrorplattform, die Versuche der Union, Wahlkampfstimmung gegen Doppelpässe für Türkeistämmige zu machen, die Blockade der Visumliberalisierung, die damit verknüpften Unzufriedenheiten mit dem Flüchtlingsabkommen, die Rufe nach einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen bis hin zur neuerlichen Zuspitzung in Sachen Incirlik. Das lässt sich nur noch mit diplomatischer Zurückhaltung als belastete Beziehung bezeichnen. Zerrüttet trifft es schon besser.

Dabei müssten gerade Deutsche und Türken an funktionierenden Beziehungen interessiert sein. Millionen Deutsch-Türken, die ihre alte Heimat genauso schätzen wie ihre neue, droht es innerlich zu zerreißen, so oft sich ein neuer deutsch-türkischer Konflikt auftut. Die viel beschworene Integration fällt umso leichter, je harmonischer die beiden Seiten kooperieren. Schon vor der großen Flüchtlingsdynamik war es für Deutschland zudem ein besonderes Anliegen, dass der Bürgerkrieg in Syrien endet und der Nahe Osten endlich auf die Straße in Richtung Verständigung und Frieden einbiegt. Die Türkei als einer der wichtigsten und einflussreichsten Spieler und Deutschland als einer der angesehensten Staaten in der Region schaffen hier Seite an Seite eindeutig mehr als gegeneinander. Und seit Hunderttausende Syrer den Tag herbeisehnen, an dem sie aus Deutschland wieder in die Heimat aufbrechen können, ist das deutsche Interesse an Fortschritt in der Region extrem gewachsen.

Vielleicht erklärt das die bemerkenswert moderaten Töne, die Kanzlerin Angela Merkel immer wieder verwendet, wenn es darum geht, die Entwicklung der Türkei nach dem Putschversuch klar zu beschreiben und dem Partner angesichts der Massenverhaftungen und Massenverfahren gegen alles und jedes, das sich unter Gülen-Verdacht stellen lässt, ein klares Stoppzeichen vorzuhalten.

Dabei ließe sich das Verlangen des Bundestages, jederzeit die Bundeswehrsoldaten aufsuchen zu können, den türkischen Politikern in dieser Phase ihrer Entwicklung so gut erläutern wie selten zuvor. Hatte sich das türkische Militär doch jahrzehntelang eine zuweilen bizarre Sonderstellung gegenüber den politisch Verantwortlichen erhalten. Das führte sogar so weit, dass der türkische Verteidigungsminister einen ausländischen Staatsgast an einer Stelle seines Ministeriums verabschiedete, ihn der militärischen Führung übergab und selbst zurückzubleiben hatte. Die Generäle machten auf diese Weise symbolisch deutlich, von der politischen Führung unabhängig zu bleiben. Das wird nach dem Putschversuch zur Makulatur. Die Erdogan-Regierung sorgt systematisch dafür, dass die Politik auch in Militärbelangen den Hut auf hat. Es müsste daher aktuell auch für die türkische Politik leicht nachvollziehbar sein, warum Bundestagsabgeordnete sich von niemandem vorschreiben lassen, ob sie ihre Soldaten aufsuchen können.

Bei seinem Türkeibesuch dürfte Außenamtsstaatsminister Michael Roth (SPD) diesen Punkt forcieren. Bis Ende Oktober muss die Sache hingebogen sein. Sollten die wichtigsten Vertreter des Bundestags-Verteidigungsausschusses erneut von einem Besuch in Incirlik abgehalten werden, lässt sich eine weitere Verschlechterung der Beziehungen nicht mehr vermeiden. Daran kann auch Ankara kein Interesse haben. Andererseits verweist die türkische Diplomatie leicht verschnupft darauf, dass es nach der Bedrohung der Türkei durch putschende Militärs durchaus höherrangige Besucher aus Europa nach Ankara schaffen sollten als ein relativ unbekannter Staatsminister. Letztlich wird die Kanzlerin die Sache mit Erdogan persönlich hinbiegen müssen. Dass sie das schon einmal ohne Erfolg versucht hat, zeigt, wie schlecht es derzeit um das deutsch-türkische Verhältnis bestellt ist.


E-Mail an den Autor: gregor.mayntz
@rhein-zeitung.net