Ein Blick in die Zukunft: Was die Bundesbürger im neuen Jahr besonders beeinflussen wird

Was wird die Bundesbürger im neuen Jahr besonders beeinflussen? Vier Experten haben sich mit diesem Thema befasst und beantworten die wichtigsten Fragen.

Lesezeit: 6 Minuten
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Folgende Fragen haben die Experten Jutta 
Allmendinger, Volker
Perthes, Ulrich Reinhardt und Sven Gabor Janszky beantwortet:

  1. Welche Entwicklung wird Deutschland 2017 besonders prägen?
  2. Welcher große Trend wird – nach Digitalisierung, Globalisierung, Spaltung vieler Gesellschaften – in den kommenden fünf Jahren besonders wichtig?
  3. Welches Produkt oder welche Entwicklung wird das Alltagsleben der Menschen hierzulande in den nächsten Jahren besonders stark verändern?
  4. Wovor sollten sich die Deutschen 2017 besonders hüten?
  5. In Ihrem Themenbereich, wo sehen Sie 2017 die größten Chancen, wo die größten Risiken für Deutschland?

Jutta 
Allmendinger

Sozialforscherin Jutta Allmendinger mahnt mit Blick auf das Wahljahr 2017 eine offene Debatte über wachsende Ungleichheit in Deutschland an. Dieses Thema werde auch international eine große Rolle spielen, sagt die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin. Im Alltagsleben werde die Technisierung viele Menschen künftig weiter vereinzeln.

1. Der Umgang mit der immensen globalen Ungleichheit, sozial, ökonomisch und rechtlich. Diese Ungleichheit, Kriege und massive Einschränkungen politischer Rechte in vielen Ländern lösen große Wanderungsbewegungen aus. Gerade in einem Wahljahr müssen wir offen darüber reden, wie sich das in vieler Hinsicht sehr reiche Deutschland hierzu verhält, genau wie über die steigende Ungleichheit in Deutschland. Jeder Fünfte arbeitet schon im Niedriglohnsektor, die Vermögen sind zunehmend ungleicher verteilt. Dabei gilt es, gegenseitigen Respekt und Achtung der Würde jedes Einzelnen zu wahren.

2. Die Erhebung, Verbindung und Auswertung riesiger Datenmengen und deren unrechtmäßiger Einsatz. Hieraus ergeben sich ganz neue Machtkonstellationen. Unser Verhalten wird gesteuert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind und uns dagegen wehren können. Der Hinweis auf eine bewusste Manipulation der US-Wahlen durch Moskau ist hier nur ein Beispiel unter vielen.


3. Die zunehmende Technisierung wird dazu führen, dass sich das alltägliche Zusammenleben weiter entflechten wird. Menschen werden sich seltener persönlich treffen und noch stärker in ihren eigenen Kreisen bleiben. Gemeinsame Räume über gesellschaftliche Schichten und Milieus hinweg werden rar. In dem Kontext wird sich die Betreuung von Kranken und Älteren durch die Technik ebenso verändern wie die Interaktion in der eigenen Familie.

4. Ich sehe in allen Bereichen die Gefahr, mit einfachen Antworten zufrieden zu sein, Tatsachen zu ignorieren und sich Stimmungen hinzugeben. Damit maximiert man das Hier und Jetzt, das Morgen schiebt man einfach zur Seite.

5. Das Wahljahr 2017 bedeutet auch eine große Chance. Gerade die Sozialwissenschaften können dazu beitragen, kühlen Kopf zu bewahren, eine klare Haltung gegenüber populistischen Strömungen zeigen, sich klar für Europa positionieren. Das größte Risiko sehe ich in einer Wahrung des Friedens. Es ist ein Jahreswechsel, der mich unmittelbarer als sonst die reale Gefahr eines Krieges spüren lässt.

Zur Person: Die Professorin Jutta Allmendinger (60) ist seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Sie forscht in den Bereichen Arbeit, Soziales und Bildung, berät Wirtschaft und Politik.

Volker Perthes

Deutschland hat als internationaler Akteur eine Position errungen, die viele dem Land vor einigen Jahren noch nicht zugetraut hätten. Das sagt Prof. Dr. Volker Perthes, Chef der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik.

1. Im politischen Bereich sind das vor allem Wahlen. Wobei die Wahlen in Deutschland jetzt im Ausland viel stärker beachtet werden als früher, das ist besonders so aufgrund der gestiegenen Erwartungen an Deutschland als Akteur in der internationalen Politik. Die Frage in den USA ist: Lässt ein Präsident Trump sich doch auf etablierte Formen der internationalen Politik ein? Oder will er, wie es aktuell aussieht, in die Geschichte eingehen als jemand, der tatsächlich politische Verhältnisse umstößt.

2. Es gibt einen Trend, der sich in vielen demokratischen Staaten durchsetzt: Der heißt Populismus. Er ist Reaktion darauf, wenn man mit Unsicherheiten der Globalisierung nicht klarkommt. Wobei es Unterschiede gibt je nach Land. In der Bundesrepublik etwa ist das Risiko eines Durchmarsches so viel geringer als in den USA, weil die Elite nicht so sehr in einer Blase sitzt, wie das in den USA der Fall ist. Zudem haben wir eine funktionierende Soziale Marktwirtschaft und nicht einfach nur Marktwirtschaft.

3. Das wird vor allem das Internet der Dinge sein. Dafür brauchen wir eine Sozialwissenschaft des Internets der Dinge. Wir müssen nicht nur prüfen, ob ein Produkt technisch sicher ist, sondern wir müssen bedenken, was unfreundliche Aktionen anderer Akteure bewirken können, Stichwort Hacker. Wenn die richtigen Leute die richtigen Daten haben, programmieren sie unsere Geräte. Sie programmieren noch nicht die Menschen, aber ihre Technik.

4. Wir sollten uns vor falschen Nachrichten hüten. Denkbar ist auch, dass Kriminelle oder feindliche politische Akteure künftig falsche Nachrichten über Twitter und Facebook verbreiten, die sogar Panik auslösen könnten, wenn sie etwa behaupten, dass das Trinkwasser vergiftet worden sei.

5. Für Deutschland sehe ich die Chance, dass wir als europäischer und internationaler Akteur eine Position errungen haben, die man uns vor fünf Jahren nicht zugetraut hätte. Gerade wenn die Zuverlässigkeit der USA abnimmt, liegt hier eine Chance, die wahrgenommen werden sollte. Unser eher langsames, faktenorientiertes Entscheiden und Handeln wird damit zu einem Wert, der helfen kann, Konflikte einzudämmen.

Zur Person: Prof. Dr. Volker Perthes (58) ist der Chef der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Der Experte für Außenpolitik berät mit seinen Wissenschaftlern auch die Regierung und die Mitglieder des Parlaments.

Ulrich Reinhardt

Mehr Mythos als Realität ist das Heraufbeschwören der guten, alten Zeit, sagt Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt: „Hüten wir uns vor unbegründeter Zukunftsangst.“

1. Das kommende Jahr wird durch den Trend zur nationalen Abschottung geprägt werden. Geschlossene Grenzen, die Betonung eigener Interessen oder auch Debatten um „wir“ und „die anderen“ werden zunehmen.

2. Die Sehnsucht nach Beständigkeit. In einer zunehmend komplexeren Welt steigt in der Bevölkerung das Bedürfnis nach Konstanz und Verlässlichkeit. Viele Bürger haben das Gefühl, mit dem Tempo, in dem sich wie Welt verändert, nicht mithalten zu können, und fühlen sich zunehmend überfordert. Parallel schwindet das Vertrauen in Politik und Unternehmen, Medien und Institutionen. Einen Bedeutungszuwachs erfahren Familie, Freunde und Nachbarschaft – stehen sie doch für Sicherheit und Verlässlichkeit, Konstanz und Beständigkeit.

3. Die Feminisierung der Arbeitswelt. Seit Jahren erlangen mehr Frauen als Männer das Abitur, sie haben im Durchschnitt die besseren Noten und studieren häufiger als Männer. Dies wird zu Veränderungen in der Arbeitswelt führen, da Unternehmen den Wettbewerbsvorteil durch mehr weibliche Führungskräfte nutzen werden. Und wenn zunehmend mehr Frauen Hauptverdiener sind, werden mehr Männer in Teilzeit tätig sein und die Betreuung des Nachwuchses oder der Eltern übernehmen.

4. Vor einem verklärten Blick auf die Vergangenheit und Angst vor der Zukunft. Früher war nicht alles besser, und die gute, alte Zeit ist mehr Mythos als Realität. Zukünftig wird die Lebenserwartung weiter steigen und die Kindersterblichkeit sinken, die Bürger werden weniger arbeiten und mobiler sein, die medizinische Versorgung wird noch besser werden. Hüten wir uns also vor einer unbegründeten Zukunftsangst und zeigen wir stattdessen einen begründeten Zukunftsoptimismus.

5. Deutschland steht an einem Scheideweg und muss die Frage beantworten: Wie wollen wir zukünftig leben? Das bietet die Chance, darüber nachzudenken, was wirklich wichtig im Leben ist. Soll der Mensch der Wirtschaft dienen oder die Wirtschaft dem Menschen? Was ist wichtiger: Lebensstandard oder Lebensqualität, Zeit oder Geld? Soll im Egoismus oder in der Gemeinschaft die Zukunft liegen?

Zur Person: Prof. Dr. Ulrich Reinhardt (46) ist Zukunftswissenschaftler und seit 2011 Wissenschaftlicher Leiter der „Stiftung für Zukunftsfragen“ in Hamburg.

Sven Gabor Janszky

Computer werden künftig zu sprechenden, schlauen Assistenten – und geben sogar Tipps fürs Privatleben. Das sagt der Leipziger Trendforscher Sven Gabor Janszky.

1. Das größte Problem wird sein, dass wir eine große Gruppe von Menschen haben, die ihr eigenes Zukunftsbild sehr undigital prägt. Und es gibt eine andere große Gruppe, die sehr digital geprägt wird. Wie wir es schaffen, dass die unterschiedlichen Gruppen im Land wieder miteinander reden und damit die Zukunftsbilder wieder eine gemeinsame Schnittmenge bekommen, das wird künftig das größte Thema sein.

2. Der ganz große Trend hat noch mit Digitalisierung zu tun. Nachdem die heutige Digitalisierung auf der Auswertung von Echtzeitdaten besteht, wird es in den kommenden fünf Jahren nochmals eine Weiterentwicklung geben. Dann werden wir schneller als Echtzeit sein. Das heißt: Computer analysieren Daten, prognostizieren die nahe Zukunft und geben uns Hinweise, wie wir unsere Prozesse am besten anpassen. Dies wird auch unser privates Leben beeinflussen. Schon heute kann Software ganz passabel die Symptome von Lügen erkennen. Sie gibt mir dann ein Zeichen: Übrigens, die Stimmlage deiner Frau hat sich gerade verändert. Sie scheint unsicher, oder lügt sie?

3. Die größte Veränderung in den nächsten zwei, drei Jahren wird, dass wir keine Apps auf dem Smartphone mehr haben. Wir haben dann intelligente, digitale Assistenten, mit denen man in ganz normaler menschlicher Sprache sprechen kann. Alle großen Betriebssystemhersteller im Silicon Valley, aber auch in China bringen schon heute als zentrale Werbebotschaft: Wir sind dein intelligenter Assistent.

4. Wir sollten uns davor hüten zu denken, dass das heutige Wissen und die bisherigen Erfahrungen in unserem Kopf bis zum Lebensende ausreichen.

5. Im nächsten Jahr besteht die Chance für Deutschland, politisch gesehen, dass man in der Bundestagswahl etwas beweisen kann: Dass man in der westlichen Welt das Land ist, das das Management zwischen der schnellen Entwicklung der einen und der langsamen Entwicklung der anderen hinbekommt. Und dass es nicht nur populistisch geht, sondern in einer Weise, die unserem westlichen demokratischen Werteverständnis entspricht.

Zur Person: Sven Gabor Janszky ist Autor, Trendforscher und Chef des Leipziger Instituts 2b Ahead ThinkTank. Unter der Leitung des 43-Jährigen kommen regelmäßig Experten zusammen, die Zukunftsszenarien entwerfen.