Ein Überblick: Der Mammutprozess um das Aktionsbüro Mittelrhein

Razzia im Morgengrauen: Die Polizei stürmt 2012 das "Braune Haus".
Razzia im Morgengrauen: Die Polizei stürmt 2012 das "Braune Haus". Foto: Hans-Jürgen Vollrath

Der Mammutprozess um das Aktionsbüro Mittelrhein am Landgericht Koblenz ist wohl der längste und größte Neonaziprozess in der Geschichte von Rheinland-Pfalz. Er läuft inzwischen seit vier Jahren – wann er endet, ist ungewiss. Hier ist ein grober Überblick über den Prozess.

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Von unserem Chefreporter Hartmut Wagner

13. März 2012: Im Morgengrauen stürmt ein Spezialeinsatzkommando die Zentrale des Aktionsbüros Mittelrhein – das „Braune Haus“ in der Weinbergstraße 17 in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die Razzia ist Teil eines Großeinsatzes in Rheinland-Pfalz und anderen Bundesländern. Die meisten der 26 Neonazis, die später im Mammutprozess angeklagt werden, kommen in Untersuchungshaft. Um 6.09 Uhr erscheint auf der Internetseite www.ab-mittelrhein.info die letzte Meldung des Aktionsbüros (Text in Originalorthografie): „Zurzeit finden im Ahrteil bei mehreren Kameraden Hausdurchsuchungen statt. Mehr dazu, sobald weitere Informationen vorliegen. Betroffene melden sich über die Kontaktadresse. Es ist mit weiteren Durchsuchungen zu rechnen.“

18. August 2012: Zwei Tage bevor der Mammutprozess am Landgericht Koblenz beginnt, marschieren 200 Neonazis auf einer Solidaritätsdemonstration für die 26 Angeklagten vom Hauptbahnhof der Stadt zum Gerichtsgebäude. Vornweg tragen sie ein Transparent mit einem Zitat des inhaftierten Neonazis Sven Skoda: „Angst ist unsexy.“ Es gibt Gegendemonstrationen von DGB, BUND, Verdi und SPD. Die Polizei schätzt deren Teilnehmer auf gut 700. In der Innenstadt feiern 200 Schwule, Lesben und Heterosexuelle den Christopher Street Day. Ihr Motto: „Bunt statt braun“.

20. August 2012: Der Mammutprozess beginnt. Der Vorsitzende Richter Hans-Georg Göttgen befürchtet Chaos im Gerichtssaal und ruft die 26 Angeklagten und ihre 52 Verteidiger dazu auf, bei Wortmeldungen die Hand zu heben, ins Mikro zu sprechen und als Erstes ihren Namen zu nennen. Die Anwälte überhäufen das Gericht mit Anträgen. Die Stimmung ist gereizt, um 15.50 Uhr eskaliert die Situation fast. Ein Anwalt sagt zum Oberstaatsanwalt: „Wenn Sie sich vergiften, hätte ich nichts dagegen!“ Im Publikum brandet Beifall auf, dort sitzen Bekannte und Angehörige der Angeklagten.

Mitte 2012 gab es in Koblenz eine Solidaritätsdemo für die Angeklagten.
Mitte 2012 gab es in Koblenz eine Solidaritätsdemo für die Angeklagten.
Foto: Philipp Reichert

21. August 2012: Am zweiten Prozesstag kann der Oberstaatsanwalt die Anklage verlesen. Demnach bildeten oder unterstützten die Angeklagten mit dem Aktionsbüro eine kriminelle Vereinigung, kämpften für eine neue Hitlerdiktatur, verprügelten Antifaschisten, schmierten Hakenkreuze an Wände.

12. September 2012: Ein Angeklagter (29) – Ex-Bewohner des „Braunen Hauses“ und Ex-Mitglied des Aktionsbüros – belastet seine früheren Kameraden. Er schildert, wer an „Führertreffen“ teilnahm. Und er sagt: „Unser Ziel war der Tag X – der Tag der Machtübernahme.“

Zwei Schokonikoläuse sorgten vor Gericht für Wirbel – am Ende flog ein Schöffe aus dem Prozess.
Zwei Schokonikoläuse sorgten vor Gericht für Wirbel – am Ende flog ein Schöffe aus dem Prozess.
Foto: dpa

6. Dezember 2012: Am Nikolaustag stellt ein Schöffe den beiden Staatsanwälten vor Prozessbeginn zwei Schokonikoläuse auf den Tisch. Der Anwalt des Ex-Chefs des „Braunen Hauses“ befindet, der Schöffe habe ein zu inniges Verhältnis zu ihnen. Er stellt einen Befangenheitsantrag. Und: Das Gericht gibt ihm recht. Der Vorsitzende Richter Hans-Georg Göttgen erklärt einige Tage später mit Blick auf sich und seine beiden Kollegen: „Wir drei haben zusammen 100 Jahre Berufserfahrung, und es ist das erste Mal, dass wir einen Befangenheitsantrag für begründet ansehen.“ Der „Nikolausschöffe“ fliegt aus dem Prozess und wird durch einen Ersatzschöffen ersetzt.

28. Februar 2013: Ein Angeklagter (31), der als Chef des „Braunen Hauses“ galt, bricht am 40. Prozesstag sein Schweigen. Er berichtet über sein ultrarechtes Wohnprojekt, sein Leben als rechtsradikaler Aktivist und seinen Einsatz für die NPD.

Stinkbombe im Gericht: Beißender Gestank führte zu einem Großeinsatz.
Stinkbombe im Gericht: Beißender Gestank führte zu einem Großeinsatz.
Foto: Ingo Schneider

29. Oktober 2013: Stinkbombe im Gerichtssaal: Es kommt zu einem Großeinsatz mit gut 40 Polizisten, Sanitätern und Feuerwehrmännern. Das Gebäude wird teils evakuiert, der Prozess unterbrochen. Zeugen verorten den Gestank zwischen Käse und Knoblauch. Die Staatsanwaltschaft teilt später mit: Der Täter setzte abgelaufenes Knoblauchöl ohne toxische Wirkung ein. 2014 gab es zwei weitere Stinkbomben, aber die Einsätze waren kleiner. Der Täter wurde nie gefasst. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen einen Angeklagten ein.

22. November 2013: Vier Angeklagte scheiden aus dem Prozess aus. Das Gericht verurteilt zwei Männer aus dem Kreis Ahrweiler zu Bewährungsstrafen – den einen zu 21 Monaten wegen Landfriedensbruch, den anderen zu 18 Monaten wegen Körperverletzung. Zwei Männer erhalten einen Schuldspruch, eine Jugendstrafe wird nicht verhängt.

8. Januar 2014: Das Gericht entlässt die letzten sieben Angeklagten aus der Untersuchungshaft.

18. Februar 2014: Zwei weitere Angeklagte scheiden aus. Das Gericht stellt ihre Verfahren ein.

Sie gehen bis heute für ihre Gesinnung auf die Straße. Foto: Ditscher
Sie gehen bis heute für ihre Gesinnung auf die Straße.
Foto: Ditscher

22. November 2014: Neonazis marschieren durch Remagen und missbrauchen das Gedenken an gefallene Wehrmachtssoldaten für aktuelle politische Forderungen. An der Spitze des Zuges laufen mehrere Angeklagte, die im Januar 2014 aus der Haft entlassen wurden.

29. September 2015: Ende 2012 musste der „Nikolausschöffe“ den Prozess verlassen – jetzt ist es der „Handyschöffe“. Grund: Er hantierte im Prozess 30 Minuten an seinem internetfähigen Handy und konnte nicht belegen, dass dies einen Bezug zum Prozess hatte. Ein Anwalt stellte einen Befangenheitsantrag und das Gericht gab ihm statt. Wenn noch ein Richter ausfällt, müsste der Prozess von vorn beginnen.

8. Dezember 2015: Der bisher letzte Angeklagte scheidet aus. Das Gericht stellt sein Verfahren ein. Der Prozess gegen 19 Angeklagte geht weiter.

10. Mai 2016: Der Vorsitzende Richter Hans-Georg Göttgen gibt bekannt, dass er den Prozess bis Ende 2017 terminiert hat.