Berlin

Die Kanzlerin kämpft: Angela Merkel appelliert an das Wir-Gefühl der Bürger

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Die Kanzlerin will Bürgern Ängste nehmen. Sie versichert: Deutschland wird Deutschland bleiben. Möglichst ohne Rechtspopulisten. Dafür brauche es Teamgeist. Ihr Vorbild sitzt im Bundestag auf der Tribüne. Ein junger Mann mit Krücken.

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Generaldebatte in Berlin: Parlamentspräsident Norbert Lammert schwärmt von dem „wahrhaft olympischen Geist“, den der deutsche Turner Andreas Toba bei den Spielen in Rio de Janeiro bewiesen hat. Trotz einer Verletzung turnte der 25-Jährige noch eine Disziplin, um seinem Team auf dem Weg ins Finale zu helfen – in dem er selbst ganz sicher nicht mehr stehen würde. Dieser Teamgeist droht an „mancher Stelle verloren zu gehen“, sagt Lammert vor Beginn der Generaldebatte des Bundestages zum neuen Haushalt. Eine politische Königsdisziplin, in der es zuvorderst um einen grundsätzlichen Schlagabtausch und nur nachrangig um die Finanzen geht. Teamgeist – das ist für Lammert nicht nur eine Kategorie im Sport, sondern auch in der Politik.

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es ein schwerer Auftritt. Sie darf jetzt nicht patzen, wenn sie ihre Regierung, ihre Koalition, ihre Union in den 25 Minuten ihrer Rede zusammenhalten und ein starkes Signal an die Bürger senden will. Zu viel Verunsicherung hat Einzug gehalten in ihr Land und auch in ihre CDU, seit sie vor einem Jahr für eine vergleichsweise kurze Zeit die Türen für Flüchtlinge öffnete. Nicht die hohe Anerkennung im Ausland für Merkels Politik, nicht die schiere Begeisterung über die neue deutsche Willkommenskultur, auch nicht der Dank von Holocaust-Überlebenden an Merkel für die Hilfe für Menschen in Not haben die Kritik im eigenen Land relativiert.

Trotz faktischer Kurskorrektur ihrer Flüchtlingspolitik mit einer drastischen Verschärfung des Asylrechts sowie rückläufigen Flüchtlingszahlen bröckelt Merkels Ansehen bei den Bürgern. Auch in ihrer CDU beklagen Abgeordnete Überforderung, der Chef der CSU-Schwesterpartei, Horst Seehofer, wettert weiter gegen die Kanzlerin. Und Vizekanzler Sigmar Gabriel distanziert sich von ihr, obwohl seine SPD alle Beschlüsse mitgefasst hat.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch versichert den „lieben Sozialdemokraten“, dass die Linke in die Regierung will und die Politik ändern möchte. Gabriel zieht die Schultern hoch. Merkel verzieht keine Miene. Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl 2017? Man kann beobachten, wie aufmerksam Merkel dann der Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, zuhört, die Gabriel vorhält, dass er vor einem Jahr mit dem Flüchtlinge-willkommen-Anstecker der „Bild“-Zeitung in den Bundestag gekommen ist und heute Obergrenzen fordert. „Das spaltet“, beklagt sie. Für Merkel wäre das eine Option: Schwarz-Grün.

Merkel sagt immer, dass die Wahl der Farben ihrer Kleidung nicht politisch motiviert ist. Fakt ist. Am Mittwoch trägt sie eine schwarze Hose und einen roten Blazer. Schwarz-Rot. Sie erklärt, wie die Koalition die Aufnahme von Flüchtlingen in den vergangenen Monaten geregelt, geordnet und gesteuert habe. Auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt dekliniert das später durch: Fehlanreize reduziert, Personal aufgestockt, Flüchtlinge vollständig registriert. Sie setzt sich damit von Seehofer ab. Und sie sagt, die Bürger wüssten, dass sie in einem sicheren und wohlhabenden Land leben. Wie sonst hätte Finanzminister Wolfgang Schäuble auch trotz der Aufnahme von fast einer Million Flüchtlinge 2015 nun einen ausgeglichenen Haushalt für 2017 vorlegen können? Merkel geht dann – ungewöhnlich für eine Rede von ihr als Kanzlerin – auf die Schlappe ihrer CDU und den Erfolg der AfD bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ein. Sie versucht, die AfD als Partei ohne Lösungskompetenz zu entlarven. Die AfD sei eine Herausforderung für alle anderen Parteien – Politiker mit Verantwortung müssten sich in ihrer Sprache mäßigen. „Denn wenn auch wir anfangen, in unserer Sprache zu eskalieren, gewinnen nur die, die es immer noch einfacher und noch klarer ausdrücken können.“ Namen nennt sie nicht.

Das macht dafür Göring-Eckardt. Sie sagt, wer die AfD stärken will, soll es einfach machen wie Seehofer – „jeden Blödsinn der Populisten nachplappern“. Die schlechten Wahlergebnisse für die CDU sind für sie nicht die Folge von Merkels Satz „Wir schaffen das“. Vielmehr vermitteln aus ihrer Sicht Spitzenleute der Union den Eindruck, dass es nicht zu schaffen ist.

Merkel sagt es nicht noch einmal – ihr „Wir schaffen das“. Sie schafft eine andere Formulierung, die die Menschen beruhigen soll, und die sich wieder zu einem Mantra entwickeln könnte: „Deutschland wird Deutschland bleiben“, sagt sie und fügt hinzu: „Mit allem, was uns daran lieb und teuer ist.“ Uns. Wieder ein Wir-Gefühl.

Kanzlerin Merkel fragt aus einer Mischung von Kampfesgeist und Gelassenheit, welches Land Deutschland sein will. Als größte Volkswirtschaft der EU mit internationaler Rolle, wirtschaftlicher Stärke, Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und, trotz aller Probleme, sozialem Zusammenhalt – in einer Welt, die „in einem kritischen Zustand ist“? Die Antwort gibt sie selbst: „Wir dienen unserem Land in Zeiten der Globalisierung am besten, wenn wir uns an unseren Werten orientieren.“ Das sind für sie Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Liberalität, Solidarität. Veränderung sei nötig im Leben – aber diese Werte änderten sich nie. Deutschland wird Deutschland bleiben. Bei aller Veränderung. Das ist jetzt Merkels Botschaft.

Von Kristina Dunz