Der Kater nach der Revolution: Auf den Arabischen Frühling folgte die große Ernüchterung

Die Hoffnungen der Demonstranten 
haben sich nicht erfüllt. Foto: dpa
Die Hoffnungen der Demonstranten 
haben sich nicht erfüllt. Foto: dpa

Sie hat die arabischen Aufstände in Kairo durch die Kameralinse erlebt. Die Bilder von Eman Helal hielten Mut, Euphorie und Gewalt historischer Tage fest. Heute sind sie angesichts neuer Unterdrückung verblasst. Am Morgen des 25. Januar 2011 hatte Eman Helal noch mit ihrem Chef gescherzt. Ein Protest im Stadtzentrum.

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Hier im Kairo des autoritären Machthabers Husni Mubarak. Das werde bestimmt ein Riesending. Die junge Zeitungsfotografin zog trotzdem auf den Tahrir-Platz. Stunden später rief sie ihren Boss unter Tränen an: „Kommt alle her. Es ist die Revolution.“

2016, fünf Jahre nach dem Sturz Mubaraks. Nach dem Arabischen Frühling ist das Land in eine rigorose Repression zurückgefallen. Opposition und Aktivisten? Reihenweise weggesperrt und verfolgt. Die Presse? Nicht frei. Die Menschenrechte? Häufig nicht beachtet. Wie 2011 wird in sozialen Medien zu Protesten am Montag, dem 25., aufgerufen. Doch keiner am Nil glaubt mehr daran, dass sie wirklich stattfinden. Denn es ist wieder Winter in Ägypten.

Als Eman Helal damals, an dem historischen Tag, durch Kairo lief, demonstrierten die Menschen – inspiriert von den Aufständen und dem Sturz Zine al-Abidine Ben Alis in Tunesien – gegen schlechte wirtschaftliche Bedingungen, gegen eine alles aufzehrende Korruption, gegen die Folter in den Gefängnissen. Aus Hunderten wurden schließlich Tausende, Hunderttausende, am Ende Millionen. Die Aufstände erfassten Ägypten und die arabische Welt wie eine bis dahin unbekannte Naturgewalt.

Hoffnung auf ein besseres Leben trieb Menschen auf den Tahrir-Platz

Nun sollte alles anders werden. Besser. „Damals hatten wir so viele Hoffnungen“, erinnert sich Helal. Und wenig Angst. Die Gangart der Sicherheitskräfte wurde rauer. Ein Polizist nahm Helals Kamera und brach sie entzwei. Sie schrie: „Du bist kein Mann“, er schlug sie. Ihrer Mutter sagte die 25-Jährige, dass sie hingefallen sei. Die wollte ihre Tochter trotzdem nicht mehr aus dem Haus lassen. Doch es half nichts, Helal ging auf die Straße. „An diesem Tag wäre ich bereit gewesen, für mein Land zu sterben“, meint sie. Nachdem Hunderte umgekommen waren, ergriff Mubarak an 11. Februar unter dem Jubel des Volkes nach fast 30 Jahren Herrschaft die Flucht.

Die Journalistin Eman Helal ist ernüchtert. Foto: dpa
Die Journalistin Eman Helal ist ernüchtert.
Foto: dpa

Doch wie konnte der Rausch am Tahrir, der doch alles verändern sollte, zum Kater der Gegenwart werden? Ein zentrales Datum ist zweifellos der Mai 2012, als nach der ersten Runde der Präsidentenwahl überraschend ein Vertreter des alten Mubarak-Systems und der islamistische Muslimbruder Mohammed Mursi vorn lagen. Mursi wurde später der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens.

Ernüchterung unter den Aktivisten. In der Folge trifft der Gegensatz zwischen religiösen und weltlichen Kräften in dem Land auf die Unfähigkeit Mursis, seinen Gegnern die Hand zu reichen. Zudem versuchen das omnipräsente Militär, Teile des Staatsapparats sowie der Wirtschaft, die islamistische Regierung zu sabotieren. Im Juli 2013 wird Mursi nach Massenprotesten gegen seine autoritäre Herrschaft vom Militär gestürzt. Es folgt der wohl blutigste Tag in der jüngeren Geschichte Ägyptens. Bei einem Massaker der Polizei sterben mindestens 600 protestierende Islamisten. „Weißt du, wie Eisen riecht?“, fragt Eman Helal. „So riecht auch Blut.“

„Den Schießbefehl, den es 2011 nicht gab, hat man 2013 nachgeholt“, sagt Stephan Roll, Ägyptenexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Seiner Einschätzung nach wären statt des Putsches Verhandlungen möglich gewesen. Das Argument, dass Armeechef Abdel Fattah al-Sisi einen Bürgerkrieg verhinderte, findet er übertrieben. „Es ging von Anfang an darum, das Regime zu restaurieren und repressiver zu machen.“

Unter al-Sisi grassieren weiter Folter, Korruption und Armut

Aus General al-Sisi ist mittlerweile der autoritäre und bei vielen beliebte Präsident al-Sisi geworden. Doch im Kampf gegen die drängendsten Probleme hat er offenbar kein Konzept gefunden: Die Wirtschaft liegt am Boden, die Korruption grassiert weiter, Folter bleibt Mittel der Ermittlungsbehörden. Zudem macht dem Land und vor allem dem Tourismus ein massives Terrorproblem zu schaffen.

In den vergangenen Wochen wurden die Behörden zunehmend nervös. Fast jeden Tag gab es neue Meldungen über Razzien und Festnahmen. Ziel waren nicht nur Demokratieaktivisten, sondern auch Kultureinrichtungen oder Verlage. Prediger in Moscheen wurden angewiesen, Demonstrationen als Sünde zu bezeichnen. Die Antwort sind Twitter-Botschaften mit dem Hashtag „Ich habe an der Januar-Revolution teilgenommen“.

Doch ist Abdel Fattah al-Sisi wirklich ein neuer Mubarak? „Es bleibt abzuwarten, wie sich die verschiedenen Machtzentren in der jetzigen Regierung entwickeln“, sagt H. A. Hellyer vom Thinktank des Atlantic Council. Auch wenn Ägypten weit weg von den Idealen der Aufstände sei, solle man nicht vorschnell urteilen. „Geschichte wird über viele Jahre hinweg geschrieben. Nicht nur in fünf.“

Trotzdem, die Hoffnungen der 2011er-Generation sind erloschen. Eman Helal ruft ein Foto vom Januar 2011 auf: ein Polizist mit einem Gewehr zum Verschießen von Tränengas. Eine zweite Aufnahme zeigt denselben Mann mit demselben Gewehr – zwei Jahre später. „Sie sind noch immer da.“

Benno Schwinghammer