Debatte: Merkels Credo, Seehofers Dilemma

Drei Bluttaten in Bayern wühlen die Menschen auf. Merkels „Wir schaffen das“ will der CSU-Chef da einfach nicht mehr hören. Können sie überhaupt noch zusammenfinden?
Drei Bluttaten in Bayern wühlen die Menschen auf. Merkels „Wir schaffen das“ will der CSU-Chef da einfach nicht mehr hören. Können sie überhaupt noch zusammenfinden? Foto: dpa

Nein, Horst Seehofer will sich gar nicht groß dazu äußern. Aber das Wenige, was er sagt, sagt auch alles. „Ich kann mir diesen Satz auch beim besten Willen nicht zu eigen machen“, erklärt der CSU-Chef zum wiederholten „Wir schaffen das“-Appell von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

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Von Christoph Trost und Kristina Dunz

Er bemüht sogar seinen Amtseid, seinen Schwur, Verantwortung für die Menschen in seinem Bundesland zu übernehmen. Mit dem Merkel-Satz würde er dem nicht gerecht, sagt er. Zu groß die Probleme, zu unbefriedigend die bisherigen Lösungsansätze.

Der Schock über zwei mutmaßlich islamistisch motivierte Gewaltakte in Bayern innerhalb einer Woche und dazu noch den blutigen Amoklauf eines 18-Jährigen in München ist dem Ministerpräsidenten zwar inzwischen einigermaßen aus dem Gesicht gewichen. Aber er betont am Samstag gleich als Erstes, dass diese längste Kabinettsklausur in der Geschichte der bayerischen Staatsregierung (fünf Tage) geprägt war von den „brutalen Bluttaten“. „Deshalb wird sie für alle Kabinettsmitglieder unvergesslich bleiben“, sagt er zum Abschluss in St. Quirin am Tegernsee.

Das Bayern von heute ist nicht mehr das Bayern von vor zwei Wochen: Die Axt-Attacke von Würzburg, der Amoklauf von München und der Bombenanschlag von Ansbach haben das Land, wie Seehofer sagt, „ins Mark getroffen“. Er hatte schon im Laufe der Woche angekündigt, dass er nicht mehr bereit sei, „nur um des Friedens willen einfach die Dinge nicht so zu behandeln, wie sie behandelt werden müssen in einem Rechtsstaat“. Seehofer will jetzt Taten statt Worte.

Aber er ist in einem Dilemma. „Wir schaffen das“ war in seinen Ohren von Beginn an eine hohle Phrase. Wie denn, wollte er von Merkel hören. Doch zu stark kann er gegen den Satz nicht ankämpfen, denn der Umkehrschluss wäre: „Wir schaffen es nicht.“ Das wäre für einen Regierungschef eine Bankrotterklärung und ein Rücktrittsgrund. Genau deshalb hält Merkel ja auch daran fest – und weil sie wohl wirklich daran glaubt. Die CSU aber will verbindlich wissen: Wie, bitte, schaffen wir es?

Deshalb geht Seehofer wiederum so deutlich wie möglich auf Distanz zu diesem prägenden Satz von Merkels Kanzlerschaft – versucht aber, den Streit mit der CDU-Chefin nicht von Neuem zu entfachen. Mühselig hatten sie vereinbart, mit ihrem „Dissens zu leben“. Eine ganze Klausur der CDU- und CSU-Spitzen in Potsdam im Juni diente dazu, den Blick gemeinsam nach vorn zu richten – und das Zerwürfnis um den Kern der Flüchtlingspolitik ruhen zu lassen.

Aber nach den mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlägen zweier Flüchtlinge in Würzburg und Ansbach kann Seehofer der Kanzlerin nicht entgegenkommen. Zu aufgewühlt sind viele Bürger, zu kritisch wird Merkels „Wir schaffen das“ seit Langem an der CSU-Basis gesehen – und die Kanzlerin insgesamt. Die Empörung in weiten Teilen der Partei, dass Merkel den Satz jetzt so einfach wiederholt hat, ist enorm – und Seehofer weiß das. Deshalb kann er seine Forderung nach begrenzter Zuwanderung nicht einfach aufgeben – auch wenn die Zahlen inzwischen sehr niedrig sind. Im Gegenteil: Jetzt – nach den drei Gewalttaten – verknüpft er diese Forderung mit Sicherheitsaspekten: „Die Begrenzung der Zuwanderung ist eine Voraussetzung für die Sicherheit im Lande“, erklärt er.

In der „Bild am Sonntag“ sagt er es noch deutlicher: „So wie bisher schaffen wir das nicht.“ Er fordert, dass auch Berlin in Sachen Sicherheit stärker aktiv wird und Bayern unterstützt, etwa mit Bundeswehreinsätzen im Inneren. Und: Seehofer will mit einer Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr sicherstellen, dass der Zuzug auf Dauer gedeckelt wird. Aber Merkel wird darauf niemals eingehen. Da hat sie sich im vorigen September aus humanitären und rechtlichen Gründen festgelegt.

Am Freitag hatte Seehofer noch Finanzminister Markus Söder (CSU) vorgeschickt, der Angela Merkel indirekt Blauäugigkeit vorwarf. Seehofer weiß aber auch: In Zeiten des Terrors wollen die Bürger kein Parteiengezänk – noch dazu zwischen Kanzlerin und CSU-Chef. Nicht jetzt, da – das sagt auch Merkel – der islamistische Terror in Deutschland angekommen ist. So betont er, die Union sei nach Potsdam „gut unterwegs“, er wolle keinen Streit und keine politische Auseinandersetzung. Merkel und er wollten fair miteinander umgehen.

„Aber ich will der Öffentlichkeit auch nicht die Unwahrheit sagen.“ Da ist es dann wieder – Seehofer kann nicht anders. So wenig wie Merkel, die auch auf eine für die Bürger ganz deutliche Geste verzichtete. Das wäre vielleicht ein Auftritt gemeinsam mit Seehofer an einem der Tatorte gewesen.