Das Findelkind Jim Knopf feiert Geburtstag

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Illustration F.J. Tripp, Thienemann Verlag Foto: Thienemann Verlag

Der polnische Kuba Guzik hat Geburtstag. Nicht bekannt? Dann vielleicht der italienische Jim Bottone oder der ungarische Gombos Jim? Beide nicht? Aber sicher doch ihr deutsches Original: Jim Knopf. Der schwarze Knabe mit den Kulleraugen mischt seit 50 Jahren das Inselchen Lummerland auf. Der jugendliche Held ist nicht einen Tick gealtert und steht immer noch hoch im Kurs – mittlerweile schon bei den Kindern und Enkeln seiner ersten Fans.

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Es ist ein Irrtum, der Geschichte machen soll: Der Postbote verwechselt ein Paket. Die Anschrift ist nicht zu lesen. Und so landet ein kleines schwarzes Findelkind eben auf der Insel Lummerland bei König Alfons dem Viertel-vor-Zwölften und seinen Untertanen – und nicht im finsteren Kummerland. Der Waisenjunge erhält den Namen „Jim“ und wird von der Ladenbesitzerin Frau Waas großgezogen. Als der Junge größer wird, wird die Insel aber zu klein für alle ihre Bewohner, und Lukas der Lokomotivführer und Jim verlassen Lummerland bei Nacht und Nebel mit der zum Schiff umgebauten Lokomotive Emma.

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Illustration F.J. Tripp, Thienemann Verlag
Foto: Thienemann Verlag

Würde Jim Knopf nicht zwischen zwei Buchdeckeln leben, so wäre er heute ein gestandener Mann. In diesem Jahr feiert er seinen 50. Geburtstag: Am 9. August 1960 wurde die Geschichte von Michael Ende veröffentlicht. Seither haben Tausende Kinder gelesen, wie „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ mit Lok Emma nach langer Seereise im Land Mandala landen und dort erfahren, dass Prinzessin Li Si verschwunden ist.

Auf der Suche nach ihr erleben der kleine Held, der seinen Nachnamen übrigens einem Knopf an seiner Hose verdankt, und seine Freunde Unmögliches. Sie begegnen fantastischen Wesen wie dem Scheinriesen Tur Tur, der beim Näherkommen auf Normalgröße schrumpft. Schließlich gelangen sie in die Drachenstadt Kummerland, wo die Schule des Drachen Frau Mahlzahn liegt. Die wilden 13, eine Piratenbande, haben viele Kinder – darunter Prinzessin Li Si – entführt und an Frau Mahlzahn verkauft. Jim Knopf und Lukas können den bösen Drachen überwinden und die Kinder befreien, bevor alle gemeinsam dorthin zurückkehren, wo alles angefangen hat – nach Lummerland.

Eine fantastische Geschichte also – und doch eher ein Zufallstreffer: In den späten 1950er-Jahren bittet ein Zeichner den damals noch unbekannten Autor Michael Ende um einen Text für ein Bilderbuch. Michael Ende (1929 – 1995) setzt sich vor ein weißes Blatt Papier und beginnt mit einem Satz, der seither Generationen von Kinderherzen höher schlagen lässt: „Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, hieß Lummerland und war nur sehr klein.“ Ein Konzept gibt es nicht. Später soll der Autor gesagt haben: „In diesem Fall ist die Geschichte wirklich mit dem Buch entstanden, und ich war während des Schreibens zum Teil selber gespannt, wie es weitergehen würde.“ Zeile für Zeile gewinnen Jim Knopf und die anderen schillernden Figuren Kontur.

Von 1958 an versucht Ende, das Buch bei einem Verlag unterzubringen. Doch er braucht einige Zeit, bis er einen Abnehmer findet: Bevor der Stuttgarter Thienemann-Verlag das Potenzial der Geschichte erkennt, winkt rund ein Dutzend andere Verlage ab. Der Umfang des Manuskripts von mehr als 500 Seiten mag dazu beigetragen haben.

Thienemann veröffentlicht das Buch kurzerhand in zwei Teilen. Auf „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ folgt im Jahr 1962 „Jim Knopf und die wilde 13“. Bereits im Jahr nach dem Erscheinen des ersten Bandes gibt es den Kinderbuchpreis für den Autor. Aus der fantastischen Geschichte wird vollends eine Erfolgsgeschichte, als die Augsburger Puppenkiste und der Hessische Rundfunk sie in den 1970er-Jahren zum Inbegriff des Marionettenspiels machen. Jim, Lukas, Emma und all die anderen werden damit erst richtig berühmt.

Die Bücher wurden inzwischen laut Verlag in 33 Sprachen übersetzt, darunter Arabisch, Chinesisch, Hebräisch und Thailändisch. Das Kinderbuch hat eine weltweite Auflage von vier Millionen Exemplaren, drei Millionen Bücher wurden allein in Deutschland verkauft.

Was uns der Autor mit seinem Werk sagen will, beantwortete er selbst in einem Artikel in der „Weltwoche“ (Zürich) von 1962: „Ich wollte nichts, außer die kindliche Fantasie anregen. Ich habe das Buch geschrieben, das ich als Kind selber gern gelesen hätte, punktum.“

Michael Ende wurde für sein frühes Werk aber nicht nur gefeiert. Kritiker gehen zum Teil hart mit Jim Knopf ins Gericht, werfen Michael Ende und seiner Art zu erzählen Weltflucht und damit einen schlechten Einfluss auf Kinder vor. Endes Freund und Lektor Roman Hocke sagt später: „Das hat ihm ziemlich zugesetzt. Er fühlte sich in Deutschland zu eingeengt, um arbeiten zu können.“ 1970 wandert Ende für mehr als zehn Jahre nach Italien aus, wo unter anderem sein gefeiertes Werk „Momo“ entsteht.

Den Knopf-Kritikern gibt Michael Ende dann 1979 eine Antwort – mit der „Unendlichen Geschichte“. „Hier zeigt er, was man alles bewegen kann, wenn man durch das Lesen eines Buches in die Fantasiewelt reist und danach in die Realität zurückkehrt“, sagt Hocke. Am Schluss heißt es in der „Unendlichen Geschichte“, dass so beide Welten gesund werden. Wer einmal mit Jim Knopf, Lukas und Emma über das tiefe, weite Meer gereist ist, weiß das natürlich längst.

Angela Kauer/Wenke Böhm