Hannover

Christina Mundlos: Muttermythos ist bei uns tief verwurzelt

Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt die Soziologin Christina Mundlos, was die Gesellschaft machen kann, damit Mütter zufriedener sind.

Lesezeit: 3 Minuten
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Von unserer Reporterin Agatha Mazur

Warum bereuen es Frauen, Kinder bekommen zu haben?

Das Problem bei der Unzufriedenheit von Müttern ist, dass trotz aller Errungenschaften in puncto Gleichberechtigung in den letzten 50 Jahren der Muttermythos in unseren Köpfen beharrlich bestehen bleibt. Der besagt, dass Frauen Mütter werden müssen und dass Mütter glücklich sein müssen.

Woher kommt dieser Mythos?

Der ist nicht so alt, wie häufig behauptet wird. Dass Frauen für die Erziehung der Kinder hauptsächlich zuständig sein sollen, ist eine Vorstellung, die erst im Zeitalter der Industrialisierung entstanden ist. Als die Arbeitswelten auseinandergefallen sind – in den Bereich „zu Hause“ und die Arbeit „in der Firma“ – haben sich die Aufgabenfelder von Männern und Frauen auseinanderentwickelt. Nun ist der Muttermythos in Deutschland besonders stark ausgeprägt. Das hängt unter anderem mit dem Nationalsozialismus zusammen, der die Frauenbewegung sehr rigide zurückgeschlagen hat.

Warum schlägt die Erkenntnis, dass es bereuende Mütter gibt, gerade jetzt so hohe Wellen? Dabei leben wir doch in einer feministischen Zeit: Eine weibliche US-Präsidentin ist möglich!

Seit neun Jahren werden in Deutschland familienpolitische Strukturen geschaffen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Aber es gibt auch viele konservative Strömungen, die dem entgegenstehen. Das Beharren auf dem Ehegattensplitting beispielsweise, oder das umstrittene Betreuungsgeld, das ja wieder abgeschafft wurde. Gleichzeitig haben wir es mit einer Generation von gut gebildeten Frauen zu tun, die aufgewachsen sind in dem Glauben, dass ihnen später Tür und Tor offen steht – genau wie den Männern. Dann bekommen diese Frauen Kinder und merken, dass die Strukturen bei den Arbeitgebern nicht so familienfreundlich sind, wie immer proklamiert wird und dass die Vereinbarkeit nicht wirklich möglich ist. Dann setzt die große Enttäuschung ein.

Was für einen Anteil hat die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie an der Unzufriedenheit?

Ich würde den Anteil als relativ hoch einschätzen, weil das in meiner Studie von allen Frauen als eine Ursache genannt wurde.

Wie viele betrifft das Phänomen „Regretting Motherhood“?

Ich schätze, dass es 10 Prozent der Mütter betrifft.

Gibt es regionale Unterschiede?

Das Phänomen ist in ländlichen und konservativen Regionen wie in Süddeutschland stärker ausgeprägt. Dort ist auch der Druck auf kinderlose Frauen höher.

Rheinland-Pfalz hat ebenfalls ländlichen Strukturen. Müsste das Phänomen hier eher vorkommen?

Das würde ich in jedem Fall sagen! Man kann allerdings nicht davon ausgehen: Wer in der Stadt lebt, ist davor geschützt, aber es findet sich in ländlichen Gebieten auf jeden Fall häufiger.

Was müsste denn zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie getan werden?

Ich halte unter anderem den weiteren Ausbau der Betreuungsplätze für sehr dringlich. Darüber hinaus sollte man die Betreuungsgebühren senken und angleichen. Auch fehlt es oft an Ganztagsplätzen für ältere Kindergartenkinder und an einer adäquaten Nachmittagsbetreuung für Schulkinder. Plus: Auch Väter sollten für 14 Tage in Vaterschutz gehen können.

Bislang teilen sich wenige Paare die Elternmonate zu gleichen Teilen, meist nimmt der Mann lediglich zwei Monate. Wann kommt der Aufstand der Väter, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten?

Wenn wir und vor allem auch Arbeitgeber von der Vorstellung wegkommen, dass das Aufziehen der Kinder Aufgabe der Frau ist. Dann erreichen wir zwei Dinge: Frauen werden im Job nicht mehr diskriminiert, weil Arbeitgeber nicht mehr davon ausgehen können, dass diese Frauen Kinder bekommen und dann zu Hause bleiben. Zum anderen würde es auch deutlich eher akzeptiert, wenn Männer in Elternzeit gehen. Dazu braucht es allerdings Väter, die das auch machen.

Sie kritisieren, dass Medien, vor allem die Werbung, ein verzerrtes und viel zu positives Bild von Mutterschaft darstellen.

Es werden immer super tolle Promimütter oder Mütter als Vorbild vorgestellt, die mehrere Kinder haben und trotzdem eine riesen Karriere hinlegen. Da fragen sich „normale“ Frauen, wie das möglich ist.

Sie wurden in sozialen Medien angegriffen. Warum ist das Thema so emotional?

Weil es mit dem Muttermythos aufräumt. Das Thema zeigt deutlich, dass es keine biologische Gegebenheit ist, dass alle Frauen Mütter werden wollen. Und es wird klar, dass der Muttermythos ein soziales Konstrukt ist. Aber dann betrifft es auch das Geschlechterverhältnis generell. Es zeigt, dass es die Rollen „Männer eignen sich für dies, Frauen für jenes“, nicht gibt. Wir haben in unserer Gesellschaft einen Großteil der Fürsorgetätigkeiten an Frauen abgeschoben und motivieren Männer nicht, in diese Bereiche zu gehen. Es bringt die Gesellschaft ins Wanken, wenn man sich mit dieser Frage auseinandersetzt, ob nicht Frauen und Männer gleichermaßen für Fürsorgetätigkeiten, fürs Kinder erziehen und für das Zu-Hause-Bleiben bei Kindern geeignet sind.

Das Gespräch führte Agatha Mazur