Brauchtum: Gehört das ins Weltkulturerbe?

Manch einer fragt sich: Welch feuchtfröhliche Runde kam auf diese Schnapsidee? Doch ist's kein Schelmenstreich, kein Narrenspiel. Es gibt sie tatsächlich: eine Initiative, die Fastnacht in deutschen Landen zum Unesco-Weltkulturerbe zu erheben.

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Von Andreas Pecht

Wie ernst das gemeint ist, lässt sich daran erkennen, dass der Vorstoß von den Präsidenten des Bundes Deutscher Karneval ausgeht. Von Zeitgenossen also, denen die Fastnacht (auch genannt Karneval, Fasching, Fasnacht, Fasnet, Fasteleer...) mehr bedeutet als Spaß an der Freud bei Schunkelage, Witzerei, Kamelle und Trärä.

Womit die Herren nicht falsch liegen. Denn in manchen Gegenden gehört das Fest zum ältesten Teil eines seit Jahrhunderten lebendigen Volksbrauchtums. Demnach darf die Fastnacht durchaus als regionales Kulturerbe gelten. Aber muss sie deshalb gleich auf die Unesco-Liste der „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“? Dort sind schon mehrere, örtlich sehr spezielle Karnevale vertreten.

Etwa derjenige in der bolivianischen Andenstadt Oruro mit seinen riesigen kunstvoll geschnitzten Holzmasken und Gebräuchen, die widerborstig der Sklaverei spotten, zugleich Aspekte der indigenen Kultur aus vorkolonialer Zeit pflegen. Oder der Karneval im belgischen Binche, der aufs 14. Jahrhundert zurückgeht und mit seinen Gilles-Masken Ähnlichkeiten zur alemannischen Fasnet aufweist.

Die Unesco-Liste beinhaltet obendrein eine Reihe von uralten Masken- und Tanzfesten aus etlichen Kulturen, die sich nicht Karneval nennen, aber doch zwei wesentliche Gemeinsamkeiten mit ihm aufweisen.

Erstens: Letztes ausgelassenes Feiern zu Beginn der magersten Jahreszeit nach Mittwinter, wenn Vorratskammern sich leeren. Bei uns entspricht das eben dem Übergang zur Fastenzeit. Vielerorts finden sich dabei rituelle Elemente aus vorchristlicher Zeit zur Austreibung des Winters.

Zweitens: Seit der sumerischen Frühantike kennen wir als wichtiges Moment solcher Feste gleichmacherische, spöttische, persiflierende Bräuche: Einfaches Volk schlüpft unter dem Schutz von Göttern und Dämonen frech in die Larve hoher Herrschaften.

Es mag im Vergnügungstrubel von Düsseldorf und Köln über Koblenz bis Mainz und weiter fast vergessen sein: Auch die hiesigen Sessionen stehen in Traditionslinien, die heidnische, christliche, neuzeitliche Gebräuche und Anlässe vermischen wie kaum ein anderes Volksfest. Die Geschichte des Kölner Fastelovend liest sich seit 1341 wie eine endlose Abfolge von Verboten desselben nebst jeweils nachfolgender Renaissance des unausrottbaren Mummenschanzes.

Wer immer in Köln herrschte, er musste damit rechnen, dass während der närrischen Tage an ihm kein gutes Haar blieb und die Ordnung der Stadt gehörig aus den Fugen geriet. Unterschiedlich ausgeprägt, gilt das für die meisten altehrwürdigen Fastnachtshochburgen. Außerkraftsetzung der Alltagsregeln sowie despektierlicher Spott wider jedwede Obrigkeit gehören zum Kernbestand der Volksund Straßenfastnacht seit Anbeginn.

Im 19. Jahrhundert waren denn am Rhein nicht selten französische und preußische „Besatzer“ Ziel närrischer Stichelei. Wobei beschränkende Auflagen und wachsendes Karnevalsengagement des Bürgertums das zuvor eher anarchische Narrentreiben in zusehends geregeltere Bahnen lenkte; der Sitzungskarneval ist ein Ausdruck davon.

Dennoch: In den satirischen Motivwagen der Umzüge findet die Renitenz-Tradition ebenso ihre Fortsetzung wie in den politischen Büttenreden insbesondere der Mainzer Fastnacht. So gibt es gute Gründe, den hiesigen Karneval als historisch gewachsenes Kulturgut zu betrachten. Weshalb es nicht abwegig ist, über einen Antrag zur Aufnahme in die Unesco-Liste des immateriellen Weltkulturerbes nachzudenken. Allerdings wirft das einige Probleme auf.

Etwa dieses: Es gibt keinen deutschen Karneval an sich, sondern nur verschiedene Traditionen in verschiedenen Regionen. Gemeinsamkeiten zwischen rheinländischer und rheinhessischer Fastnacht ließen sich ja noch herausarbeiten – wenngleich es beiden kaum gefallen würde, in einem Topf zu landen. Aber die alemannische Fasnet etwa passt überhaupt nicht dazu, entstammt einer völlig anderen Entwicklungslinie.

Welche der deutschen Fastnachten soll die Kultusministerkonferenz also bei der Unesco vorschlagen? Welchen der Anträge aus NRW, Rheinland-Pfalz, Bayern oder Baden-Württemberg soll sie sich zu eigen machen? Aus jeweils lokalpatriotischer Sicht ist das natürlich keine Frage, überregional folglich Stoff für allerhand Zwist. Und noch eines gilt es zu bedenken: Der Unesco-Welterbestatus, auch der immaterielle, ist nicht nur Ehre und Wertzeichen.

Er ist – trotz aller Freiheit zur Weiterentwicklung – ebenso Verpflichtung, das Authentische, Überlieferte, Originale des Kulturguts zu schützen und zu wahren. Sind die Narren bereit, sich dieser Pflicht zu stellen? Bedenket: Der Welterbestatus ist ein ähnlich zweischneidiges Schwert wie der Vortrag des Till.