Ausstellung Trier vermittelt ein neues Bild: Kaiser Nero 2.0

Er ist bis heute neben Julius Caesar der bekannteste Römer: Nero. Anno 37 n. Chr. geboren, wurde er mit 17 Jahren Kaiser des Imperiums, starb nur 14 Jahre später durch die eigene Hand. Seine Berühmtheit verdankt er seinem schlechten Ruf. Er gilt als Tyrann, Muttermeuchler, Gattinnenmörder, Brandstifter, Christenmassakrierer. Aber stimmt das Bild, das sich die Nachwelt von Nero gemacht hat? Nein, es ist in wesentlichen Punkten schief bis falsch. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt eine große Ausstellungstrias in Trier, die sich erstmals in Westeuropa um die Wahrheit hinter dem Mythos bemüht.

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Rheinisches Landesmuseum, Stadtmuseum und Museum am Dom beleuchten aus unterschiedlichen Blickwinkeln das Phänomen Nero. Das Landesmuseum nimmt sich der historischen Persönlichkeit an. Beim Rundgang begegnet einem Nero zu Beginn als lebensgroße Kinderstatue: ein schlanker Jüngling, anmutig die Haltung, ernst und nachdenklich das Gesicht. Das vom Louvre ausgeliehene Exponat ist einer jener Hochkaräter, die in beträchtlicher Zahl aus Museen weltweit nach Trier gekommen sind. Erstmals gezeigt werden Funde aus der unlängst in Rom entdeckten Brandschicht jener Feuersbrunst des Jahres 64 n. Chr., für die Nero die Christen, die Nachwelt hingegen den Kaiser verantwortlich machte. Dass beides falsch ist, darüber herrscht inzwischen weitgehend Einigkeit. Geborstene Gefäße und das ausgeglühte Eisengitter eines antiken Keramikgeschäfts zeugen von der Feuerwalze.

Die Ausstellung in Trier vermittelt ein neues Bild vom „Kaiser, Künstler und Tyrannen“

Marcus Reuter, Direktor des Rheinischen Landesmuseums, verantwortet einen Ausstellungsort anlässlich der Nero-Schau.

Der Schauspieler François Joseph Talma schlüpfte 1853 in die Rolle Neros.

Kristina Gehrmann, Jahrgang 1989, greift in ihrem Bild den Gattinnenmord Neros auf: „The Head of Octavia“ entstand 2010.

Trier beleuchtet Nero: vom hoffnungslosen Thronanwärter bis zum verhassten Tyrannen

Schau eröffnet neue Blickwinkel

Daneben Exponate, die eine wenig beachtete Seite Neros zeigen: Löschwerkzeug und Teile von Rohrsystemen aus Blei nebst Bleibarren aus Britannien. Der Kaiser regelte nach dem Brand den Wiederaufbau Roms – unter strengen Vorschriften für Feuerschutz und Löschwasserversorgung. Weshalb die Bleiproduktion in Britannien nach dem Brand boomte.

Dass der Kaiser den Moment nutzte, um sich einen neuen Palast, das Domus aurea, in nie da gewesener Pracht errichten zu lassen, ist die Kehrseite. Ja, er war ein unglaublicher Verschwender, der den Staat schier in den Bankrott trieb. Doch war maßlose Luxussucht Mode in der gesamten römischen Oberschicht seiner Zeit. Das Landesmuseum präsentiert exemplarisch Tischgeschirr aus massivem Silber; ein aus Bergkristall gearbeitetes Trinkgefäß zum damaligen Preis von 1 Million Sesterzen (entspricht circa 250 000 Euro); Teile edelster Bodenmosaiken; den Nachbau von Neros achteckigem Speisesaal, über dem sich eine Kuppel mit Sternzeichen dreht. Die Qualität der neroischen Paläste zeugt zugleich von jenem Zug Neros, der für Kaiser des Imperiums als unstatthaft galt: seine künstlerische Ader, die er auch als Dichter, Schauspieler, Sänger öffentlich auslebte – zum Entsetzen seiner Standesgenossen und des Senats. Es gehörte sich für den Kaiser und obersten Feldherrn nicht, sich mit dem Pöbel der Bühnen gemeinzumachen.

Die ersten Amtsjahre galten als goldene Zeit

Neros erste Amtsjahre galten als goldene Zeit, vor allem beim Volk war der junge Kaiser beliebt. Kostenlose Grundversorgung mit Getreide, dazu unterhaltsame Shows taten das ihre, wie in Trier Gladiatorenausrüstungen, Darstellungen von Wagenrennen und Wandgemälde belegen. Wie kam es, dass er als irrer Finsterling in die Geschichte einging? Gewiss, er ließ seine Mutter Agrippina ermorden, tötete zwei seiner Ehefrauen, eröffnete das düstere Kapitel der Christenverfolgung. Im Falle Agrippina erhellen Münzen, dass sie anfangs fast mächtiger war als der Kaiser. Ihr diesen Status radikal zu nehmen, war für Nero politisch ebenso wichtig wie später die Präsentation eines Sündenbocks für den Brand Roms.

Nero, ein Kind seiner Zeit

Bei Letzterem bot sich die damals kleine Sekte der Christen an. Und innerfamiliäre Morde in Herrscherhäusern gehörten seit jeher zum Normalfall. Für uns mag das grausig sein, historisch handelt es sich quasi um gewöhnliche Politik.

Das negative Bild von Nero geht auf drei römische Chronisten zurück, vornweg Tacitus, die ihm nicht wohlgesinnt waren. Hinzu kommt die christliche Märtyrer-Überlieferung. Beides begründete eine Nero-Sicht, die sich als Legende vom wahnsinnigen Schlächter quer durchs Mittelalter und die Kunstgeschichte bis ins Heute festsetzte. Während das Landesmuseum abschließend die chaotischen und nicht zuletzt für den Rhein-Mosel-Raum so bedeutsamen Jahre nach Neros Ableben thematisiert, wendet sich das Stadtmuseum der mannigfachen Legendenbildung späterer Zeit zu.

Wen haben wir bei Nero vor Augen? Peter Ustinov als irrer Kaiser im Spielfilm „Quo Vadis“ – grandios gespielt, aber historisch falsch. 60 Spielfilme über Nero dokumentiert das Stadtmuseum sowie 100 Opern und Schauspiele. Alte Chroniken und malerische Adaptionen von Tizian-Schülern über Delacroix bis zu Gegenwartsarbeiten etwa von Erwin Olaf zeigen die Beständigkeit des Mythos.

Nero war kein Unschuldslamm, aber verrückt war er auch nicht. Zu diesem Ergebnis kommt ein vom Landesmuseum in Auftrag gegebenes psychoanalytisches Gutachten über den Kaiser, Künstler und Tyrann – der in Trier neu zu entdecken ist.