Berlin

Attentat auf „Charlie Hebdo“: Das war auch ein Anschlag auf Muslime

Muslime stecken für den sudanesischen Zeichner Khalid Albaih in einer fatalen Zwickmühle. „Du bist mit den Ungläubigen!“, warnt ihn der Islamist. „Du bist mit den Terroristen!“, wirft ihm die übrige Welt vor. Dabei ist er „nur ein Muslim“.
Muslime stecken für den sudanesischen Zeichner Khalid Albaih in einer fatalen Zwickmühle. „Du bist mit den Ungläubigen!“, warnt ihn der Islamist. „Du bist mit den Terroristen!“, wirft ihm die übrige Welt vor. Dabei ist er „nur ein Muslim“. Foto: Karikatur: Khalid Albaih

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hat es als einer der Ersten geahnt. Als der Wirtschaftsminister nach dem brutalen Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ vor die Presse trat, warnte er vor einer Instrumentalisierung der Bluttat.

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Muslime dürften nicht pauschal als Islamisten oder gar Gewalttäter verurteilt werden: „Wir müssen auch die Religionsfreiheit in unserem Land verteidigen.“

Nur wenig später meldet sich Vize-AfD-Sprecher Alexander Gauland zu Wort. Absichtlich undifferenziert wirft er Islamismus und Islam in einen Topf, sieht die Pegida-Demonstranten, die inzwischen allwöchentlich mit ihren islam- und asylfeindlichen Forderungen auf die Straße gehen, bestätigt. Die Organisatoren ihrerseits rufen dazu auf, am nächsten Montag mit Trauerflor zu erscheinen. Dass AfD-Sprecher Bernd Lucke und die sächsische AfD-Fraktionschefin Frauke Petry kurz darauf sagen, der Islam sei eine friedliche Religion, verpufft daneben.

SPD-Parteichef und
Vizekanzler Sigmar Gabriel
SPD-Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel
Foto: dpa

Die Stimmung gegen Muslime heizt sich auf. In der nächsten Woche tagt in Berlin die Deutsche Islamkonferenz. Es geht um die Frage nach Wohlfahrtspflege für Muslime, Anerkennung für eine Religionsgemeinschaft, die inzwischen selbstverständlich dazugehört. Zugleich machen nach dem Pariser Anschlag Rechtspopulisten noch stärker Stimmung gegen Muslime. „Natürlich ist der Anschlag Wasser auf die Mühlen von Pegida“, sagt der Sozialanthropologe Werner Schiffauer, Vorsitzender des Rats für Migration. Erst in dieser Woche forderte das Gremium eine umfassende Strategie gegen Pegida.

Das war auch ein Anschlag auf Muslime
Foto: picture alliance

Einschneidende Ereignisse, weiß Schiffauer, können den Blick auf eine Bevölkerungsgruppe nachhaltig prägen. Studien haben das bereits am Beispiel der Muslime vor und nach den Anschlägen am 11. September 2001 nachgewiesen. Islamistische Bluttaten verändern demnach den Blick auf die Muslime insgesamt. Wenn Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erklärt, der Pariser Anschlag sei auch ein Anschlag auf den Islam gewesen, hat er damit auch auf diese Weise recht.

Die von Pegida neu geschürte, diffuse Angst vor dem Islam belegt auch eine Studie der Gütersloher Bertelsmann Stiftung. 57 Prozent der Bevölkerung sehen der repräsentativen Umfrage zufolge aktuell den Islam als Bedrohung, 2012 waren es 52 Prozent. 61 Prozent meinen, der Islam passe nicht in die westliche Welt. Die Mehrheit ist geprägt von Argwohn, und das obwohl – das zeigt die Studie auch – in Deutschland lebende Muslime in überwiegender Mehrheit die Grundwerte der Bundesrepublik bejahen und Vertreter der muslimischen Verbände Hasstaten stets verurteilen. Doch solche Fakten wie auch die Tatsache, dass die geschätzt rund vier Millionen Muslime in Deutschland wohl kaum eine „Islamisierung“ der 80-Millionen-Einwohner-Republik bedeuten, prallen ab an den Pegida-Mitläufern.

Werner Schiffauer hofft indes, dass die Mehrheit dem Pegida-Populismus doch nicht auf den Leim geht. Der Blick auf Muslime sei inzwischen differenzierter, sagt er. Was Schiffauer in der Bevölkerung fehlt, ist aber die Einsicht, dass islamistische Terrorakte nicht als etwas Fremdes abgetan werden dürften. In Frankreich stehen Männer unter Verdacht, die dort aufgewachsen sind. „Es ist also ein französisches Problem“, sagt Schiffauer. Auch in Deutschland müsse man sich fragen, wie es geschehen kann, dass sich Deutsche für den Dschihad radikalisieren lassen. Und schließlich müsse man den Dialog mit ihnen suchen. „Wir brauchen die islamischen Gemeinden“, sagt Schiffauer. „Wenn jemand an die Betreffenden rankommt, sind es die.“ Pegida verschlimmere nur, ist er überzeugt: „Islamophobie und Salafismus schaukeln sich gegenseitig hoch.“

Dass Ressentiments sich verstärken, das fürchten auch viele Muslime in Rheinland-Pfalz. Zum Beispiel Mesut Aydin, Sekretär der Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Selters im Westerwald. „Dieser schreckliche Anschlag bedeutet für uns einen Imageverlust und macht uns das Leben nicht einfacher“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Aydin sieht die Gefahr, dass durch Anschläge wie in Paris auch Muslime, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, „zu Unrecht in eine Terrorecke gedrückt werden“. Für ihn ist die aktuelle Debatte eng mit der Frage verbunden: „Wo stehen wir als Muslime?“ Dazu zählt für ihn auch, sich in einem fremdem Land an dort bestehende Regeln zu halten. Dies müsse mehr als ein Lippenbekenntnis sein.

„So eine Grausamkeit kann man durch nichts rechfertigen, der Anschlag ist aufs Schärfste zu verurteilen – ohne Wenn und Aber!“, sagt Zeynep Begen, Vorsitzende des Beirates für Migration und Integration des Landkreises Mayen-Koblenz. Ihre Eltern stammen aus der Türkei, sie selbst ist in Mainz geboren. Für sie sind die Täter Terroristen. Aber natürlich hat sie Angst, dass nun Vorurteile geschürt würden und die Pegida-Bewegung das Ereignis instrumentalisieren wird. Begen hält die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften in Mayen-Koblenz für sehr gut. Aber sie kennt auch die Wirkung solcher Ereignisse wie in Paris und bietet an: „Wenn nach dem Anschlag Gesprächsbedarf herrscht, werden wir das Gespräch suchen.“

Das Gespräch suchen – das ist auch für den Bad Kreuznacher Islamforscher Muhammad Sameer Murtatza der einzige Weg. Statt zu einer Pegida-Demonstration zu gehen, solle man besser „die nächste Moschee aufsuchen und kritisch das Gespräch mit Muslimen darüber suchen, ob das, was in Paris geschehen ist, der Islam ist“. Die Mehrheit der Demonstranten habe noch nie mit Muslimen gesprochen. „Die bequeme Unmündigkeit und dieses Mitläufertum sind ja das Gefährliche an Pegida.“