Latakia

Analyse: Putins syrischer Feldzug

Foto: dpa

Seit Monaten ist Russland im Syrien-Krieg dabei. Mit Jagdbombern am Himmel und Artillerie am Boden. Auf der Seite von Präsident Assad. Putin demonstriert Macht – und Waffen. Wenn russische Kampfjets vom Stützpunkt Hamaimim in Syrien abheben, dröhnt die Erde. Das Mittelmeer ist in Sichtweite, Kampfhubschrauber sichern das Umfeld der Luftwaffenbasis.

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Von Friedemann Kohler

Eine Gruppe Journalisten, die Anfang Mai von den Russen zum Truppenbesuch eingeladen ist, steht dicht neben der Betonpiste. Ohrstöpsel? Halten die Gastgeber für unnötig. Hauptsache, die Besucher filmen, was die Militärs vorführen wollen. Donnert ein grauer Bomber Suchoi Su-24 zum Start, halten sich viele Reporter die Ohren zu. 140 Dezibel, das ist Lärm über der Schmerzgrenze.

Und wo über Syrien werfen die Jets ihre Bomben ab? Das erfahren die beim Militär „eingebetteten“ Journalisten nicht genau. Greifen die Flieger Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in dem vom Bürgerkrieg zerstörten Land an? Oder ganz andere Gegner des syrischen Machthabers Baschar al-Assad? Machen ihre Bomben womöglich auch Krankenhäuser oder weitere zivile Ziele zu unbrauchbaren Ruinen?

Bei heiklen Fragen hat Generalmajor Igor Konaschenkow vom Verteidigungsministerium in Moskau seinen Einsatz: Der Sprecher nennt als Ziel die IS-Hochburgen Al-Rakka und Dair as-Saur im Osten. Das kann stimmen. Muss es aber nicht. Militärisch ist die Lage um die Großstadt Aleppo im Nordwesten brenzliger. Auch dort sind Luftangriffe beobachtet worden.

Syrien – das bedeutet fünf Jahre Krieg. Bis zu 400 000 Tote. Und Millionen Menschen, die vertrieben wurden. Männer, Frauen und Kinder, die zerbombte Städte und Dörfer verlassen haben. Ein Teil der Flüchtlinge hat es bis nach Europa geschafft. Syrien, das bedeutet auch Nachbarmächte mit eigenen Interessen: Türkei, Iran, Saudi-Arabien. Und Baschar al-Assad (50) – ein Diktator, der nicht gehen will. Vor acht Monaten, im September 2015, hat Russland überraschend in das Morden eingegriffen. Präsident Wladimir Putin schickte Luft- und Bodentruppen. Nicht gegen Assad, dessen Regime wenig Skrupel zeigt, Giftgas und für Menschen besonders verheerende Fassbomben einzusetzen, sondern für den weithin geächteten, fast schon geschlagenen Machthaber. „Durch Russlands Eingreifen wurde Assads Niederlage abgewendet“, sagt Hans-Joachim Schmidt, Sicherheitsexperte von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt. Andere Mächte, auch die USA, haben in Syrien gezögert. Präsident Barack Obama wollte nicht in den Sumpf hineingezogen werden. Russland jedoch kommt, so wirkt es, mit einem Plan. Den setzt sein Militär unerbittlich um.

Es geht den Russen um vieles. Ihr Land, das sich gedemütigt fühlt, kehrt im Nahen Osten als Großmacht zurück. Es zwingt sich den USA als Partner auf. Das Signal: Ohne Russland läuft in Syrien nichts!

Mehr als um die Person Assad fürchtet Moskau um den Erhalt Syriens. Das arabische Land, halb so groß wie Deutschland, soll nicht zerfallen. Es soll nicht zum Dauersitz von Terroristen werden. Denn Terror, etwa von Islamisten, fürchtet Russland auch zu Hause.

Aber, ist der Kampf in Syrien – etwa 2500 Kilometer südlich von Moskau – für Russland überhaupt ein Krieg? Generalmajor Konaschenkow will davon nichts wissen. „Das ist nur eine Operation“, sagt der Militär, kräftig gebaut, mit randloser Brille.

Der Einsatz ist begrenzt, so deuten es auch westliche Experten. Und das in mehrfacher Hinsicht. Oberstes militärisches Gebot: Treffen, aber nicht getroffen werden. Deshalb operiert Moskau massiv mit Luftangriffen. Am Boden wird mit Artillerie russischer Bauart gefeuert. Geschossen wird auf Distanz. Den Vormarsch im Gelände, bei dem viele eigene Leute sterben können, sollen die Syrer leisten.

Auch politisch lassen sich Grenzen ausmachen: Russland hilft Assad, dessen Herrschaft im Westen des Landes wieder zu festigen. Dazu wird nicht etwa gezielt der IS angegriffen, wie die Moskauer Propaganda behauptet. Auch nicht der Al-Kaida-Ableger Al-Nusra-Front. Andere Gegner des Machthabers, die Freie Syrische Armee und weitere Milizen, sollen besiegt werden. Das erhöht Assads Wert in internationalen Friedensgesprächen. Doch das ganze Land, wie Assad es erträumt, wird Russland ihm nicht zurückerobern. Nicht die IS-Gebiete im Osten, auch nicht die Kurdengebiete im Norden.

Auf 3500 bis 4100 Soldaten schätzte das britische Forschungsinstitut RUSI vergangenen November Russlands Streitmacht in Syrien. Mehr als die Hälfte seien Bodentruppen. Moskau dagegen sagt, es seien nur wenige Heeressoldaten. Im Hafen Tartus unterhält Russland eine Marinebasis, die einzige außerhalb der früheren Sowjetunion. Und, für Experten bedeutsam, am Mittelmeer.

Das Kommando sitzt auf der Luftwaffenbasis Hamaimim, das ist der ehemalige Flughafen der Provinzhauptstadt Latakia. Wohncontainer in langen Reihen. Die Soldaten haben sich eingerichtet. Es gibt Sportplätze, eine Bibliothek. Wenn beim Besuch von Reportern befohlen ist, dass Soldaten lesen, dann lesen sie, ohne den Blick zu heben. Am Rande des Geländes fahren Betonmischer, es wird gebaut. Russland stellt sich deutlich darauf ein, in Syrien zu bleiben. Ein neues Militärlager ist in nur wenigen Wochen in der Wüstenstadt Palmyra entstanden. Syrer, Russen und Iraner haben die antike Stätte im März vom Islamischen Staat zurückerobert.

In einem Propaganda-Coup brachte das Militär nicht nur rund 100 Journalisten nach Palmyra. Auch das halbe Mariinski-Orchester aus St. Petersburg flog ein – unter der Leitung von Valery Gergiev, zugleich Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. In dem Amphitheater, in dem der IS Menschen hingerichtet hatte, erklang klassische Musik.

Von September bis Mitte Mai hat Moskaus Luftwaffe mehr als 10 000 Einsätze geflogen und 30 000 Ziele angegriffen – so Putins Zahlen. Anfangs feuerte Russland auch Marschflugkörper von Schiffen im Mittelmeer und Kaspischen Meer ab. Es setzte Langstreckenbomber ein. Im März verkündete der Präsident einen Teilabzug. Es sieht eher nach einer Umgruppierung aus: weniger Flugzeuge, mehr Kampfhubschrauber. Zwar behauptet das russische Militär, keine Zivilisten getroffen zu haben. Doch dafür existieren zu viele Bilder zerstörter Städte, Krankenhäuser, Schulen; nicht immer wird es die syrische Luftwaffe gewesen sein. Die Erfahrung aus früheren Konflikten in Afghanistan und Tschetschenien besagt zudem: Russland nimmt zivile Opfer in Kauf, um Widerstand zu brechen.

Als Demonstration der Macht steht in Hamaimim auch eine Luftabwehr vom Typ S-400. Das System schützt russische Jets. Aber bei 400 Kilometern Reichweite hat es potenziell den Flugverkehr im Nahen Osten im Visier. Israels wichtigster Flughafen in Tel Aviv wird erfasst, auch die Nato-Basis Incirlik in der Südtürkei. Von Incirlik fliegen die USA Angriffe gegen den IS, deutsche Tornados stehen dort. Washington und alle anderen müssen sich also mit Moskau arrangieren.

Die Stärke in der Luft wird offen gezeigt, doch bei den Bodentruppen gibt sich Moskau zugeknöpft. Dabei dürfte gerade deren Einsatz die Lage verändert haben. „Die große Erfolgsgeschichte waren nicht die Luftschläge“, sagt der österreichische Ex-Offizier Gustav Gressel, Experte beim European Council on Foreign Relations. „Die Erfolgsgeschichte ist die Neuaufstellung der syrischen Armee.“

Nur wer die Lage am Boden beherrscht, hat die Kontrolle. Deshalb sind die Amerikaner in der Militärlogik im Nachteil. Sie und ihre Koalition fliegen hauptsächlich von außen Luftangriffe. Russland jedoch schreitet mit seinen Plänen voran. Unter Druck sind im Syrien-Konflikt die Europäer, zu denen viele Flüchtlinge kommen. Und die etwas hilflos agierende Supermacht USA mit dem scheidenden Präsidenten Obama. Er will den IS besiegen, sich aber nicht in einen langen Krieg ziehen lassen. „Unter diesem Druck steht Putin nicht“, sagt der Experte Gressel.

So könnte eine russische Taktik tatsächlich aufgehen: Assad zu stärken und seine Gegner zu vernichten bis auf die Extremisten des Islamischen Staates und der Al-Nusra-Front. Damit der Machthaber den anderen Akteuren als das kleinere Übel erscheint. Er und Russland könnten dann in Verhandlungen den Preis für seine Ablösung bestimmen.