Ampelkoalition besteht ersten Härtetest: Malu Dreyers zweitschönster Tag im Leben

Malu Dreyers glücklicher Tag
Malu Dreyers glücklicher Tag Foto: dpa

Es gibt Weggabelungen, die über Karrieren entscheiden können. Eine solche war die geheime Wahl zur Ministerpräsidentin. Zwei Abweichler hätten genügt, um die mühsam geschmiedete Ampelkoalition innerhalb weniger Momente komplett zu zerstören. Daher ist es mucksmäuschenstill, als der neue Parlamentspräsident Hendrik Hering (SPD) das Ergebnis des Votums verkündet. Sekunden später brandet Beifall auf.

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Malu Dreyer hat es geschafft und alle 52 Stimmen der Abgeordneten von SPD, FDP und Grünen auf sich vereinigen können. Erst jetzt ist ihr Triumph bei der Landtagswahl perfekt. Die Ampel hat Kurs gehalten und ihre erste Bewährungsprobe bestanden. Der Höhepunkt einiger spannender Stunden.

Vor 11 Uhr: Linke Gruppierungen protestieren vor dem Landesmuseum gegen die AfD. „Ihr habt den Krieg verloren“, singen etwa 40 Aktivisten. Auf einem Transparent steht: „Nationalismus raus aus den Köpfen!“

11.05 Uhr: Alterspräsidentin Cornelia Willius-Selzer (FDP) eröffnet die Sitzung in der Steinhalle des Landesmuseums. Sie ist die erste Frau, die diese Rolle in Rheinland-Pfalz einnimmt. Und erst zum zweiten Mal übernimmt ein erstmals gewähltes Mitglied gleich die Alterspräsidentschaft. Das war zuvor 1991 nur dem Sozialdemokraten Gottlieb Spies gelungen.

Willius-Selzer (FDP), Präsidentin des Allgemeinen Deutscher Tanzlehrerverbands, mahnte soziale Gerechtigkeit und Bürgerrechte an. „Wenn Flüchtlinge zu uns kommen, dann ist das keine Krise und darf auch niemanden veranlassen, eine Krise heraufzubeschwören“, sagte sie.

11.27 Uhr: AfD-Fraktionschef Uwe Junge begründet den ersten von zwei Anträgen seiner Fraktion. Er bemängelt, dass die Alternative durch ein verändertes Zählverfahren bei der Vergabe von Ausschusssitzen benachteiligt werde. „Das verfälscht den Wählerwillen“, beklagt er. Martin Haller für die SPD und Martin Brandl für die CDU weisen den Vorwurf sachlich zurück. Die AfD verliert die anschließende Abstimmung. Junge kündigt eine verfassungsrechtliche Überprüfung an.

11.43 Uhr: Der Westerwälder Hendrik Hering (SPD) wird einstimmig zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt. Gratulationen von allen Seiten. In seiner Rede sagt er: „Wir wollen Menschenfreundlichkeit durch unser politisches Handeln leben.“ Und er spricht sich für authentische Volksvertreter aus: Die Bürger würden schnell merken, „wenn Politiker anders erscheinen wollen als sie sind. Das größte Kapital in der Politik ist und bleibt die Glaubwürdigkeit.“

11.57 Uhr: Martin Haller, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, schlägt die Zahl von zwei Landtagsvizes vor. Wenig später plädiert AfD-Fraktionschef Uwe Junge für nur einen. Wieder setzen sich SPD, CDU, FDP und Grüne im Verbund durch. Als Konsequenz stellt die AfD mit dem Lehrer Michael Frisch einen eigenen Kandidaten auf. Er unterliegt mit der üblichen Mehrheit gegen die Sozialdemokratin Barbara Schleicher-Rothmund. Hans-Josef Bracht (CDU) wird wieder mit den Stimmen aller 101 Abgeordneten zum Parlamentsvize gekürt. Hendrik Hering hat damit je einen Stellvertreter von der SPD und je einen von der CDU.

12.08 Uhr: SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer schlägt Malu Dreyer (SPD) als Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin vor. Gegenkandidaten gibt es keine. Dann beginnt die geheime Abstimmung.

12.35 Uhr: Malu Dreyer im Glück. Sie hat alle 52 Stimmen der Abgeordneten von SPD, FDP und Grünen bekommen. CDU und AfD haben gegen sie gestimmt. Parteifreunde umarmen sie. Aber auch CDU-Oppositionschefin Julia Klöckner gehört zu den ersten Gratulanten. Die beiden Frauen reden länger miteinander – eine herzliche, versöhnliche Szene. Auch AfD-Fraktionschef Uwe Junge reicht Dreyer kurz die Hand. Natürlich nimmt die Ministerpräsidentin die Wahl an. Für die CDU ist dies ein bitterer Moment. Somit ist besiegelt, dass sie vorerst keine Machtoption in Rheinland-Pfalz hat.

12.39 Uhr: Dreyer wird vereidigt. Parlamentspräsident Hendrik Hering wünscht ihr „alles erdenkliche Gute“. Die Ministerpräsidentin meint auf eine Nachfrage eines Journalisten, ob dies der schönste Tag ihres Leben sei: „Der schönste Tag ist mein Hochzeitstag. Aber es ist der zweitschönste“, meint sie.

Anschließend wird die Sitzung unterbrochen. In der Staatskanzlei werden alle Minister ernannt.

13.45 Uhr: Malu Dreyer hält eine kurze Ansprache im Parlament. Sie plädiert für eine offene Gesellschaft. „Dazu gehören auch die Verteidigung unserer Freiheiten wie die Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit oder die Freizügigkeit“, sagt sie. Mehrfach betont sie, wie sehr sie sich über ihre Wiederwahl freut. Und dass sie hofft, „dass die Freude überspringt“.

13.57 Uhr: Alle neuen Minister werden vereidigt. Jeder verwendet die religiöse Eidesformel: „So wahr mir Gott helfe.“ Die Ampelregierung ist somit im Amt.

Randbeobachtung: Unsicherheit herrscht unter den Abgeordneten von CDU, FDP, Grünen und SPD, wie sie mit der AfD umgehen sollen. Manche vermeiden den Handschlag oder gar komplett jeglichen Kontakt.