Berlin/Ankara

Alles Intrige? Wusste Erdogan vorher vom Umsturzplan?

Präsident Recep Tayyip Erdogan gedenkt der Opfer des Putschversuchs. Wusste er vorher von den Plänen der Umstürzler? 
Präsident Recep Tayyip Erdogan gedenkt der Opfer des Putschversuchs. Wusste er vorher von den Plänen der Umstürzler?  Foto: dpa

Wer bombardiert das Parlament, wenn er den Staatspräsidenten treffen will? Wer besetzt das Staatsfernsehen, wenn er das private Mediensystem kontrollieren will? Wer startet einen Putsch an einem Freitagabend, wenn er Erfolg haben will?

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Von unserem Berliner Korrespondenten Gregor Mayntz

Diese Fragen rufen Verschwörungstheorien auf den Plan und lassen die Vorgänge von Freitagnacht als Inszenierung erscheinen. Doch ein Vergleich mit dem Vorgehen „erfolgreicher“ Putschisten kommt zu einem anderen Ergebnis.

Denn auch der 12. September 1980 war ein Freitag, und es war 23 Uhr, als das türkische Militär Panzer und Truppentransporter losschickte, im weiteren Verlauf das nationale Fernsehen besetzte, Posten vor Parteizentralen aufstellte und Soldaten auf Kreuzungen und Brücken postierte. Und es dauerte bis 3.15 Uhr, bis der damalige Premier Bülent Ecevit verkündete, dass sein Haus umstellt ist. Um 4.15 Uhr vollzog sich seine Absetzung, begannen die Militärs mit rund 45 000 Festnahmen, waren Zehntausende von „Säuberungen“ betroffen.

Verglichen damit waren die Militärs vergangenen Freitag deutlich schneller. Die rund 40 Spezialkräfte, die Recep Tayyip Erdogan in seinem Hotel in Icmeler festsetzen wollten, kamen zu spät, um ihn noch zu erwischen, und die Putschisten hatten wohl auch die Schnelligkeit der sozialen Medien unterschätzt, durch die Erdogan die Stimmung gegen den Putsch auf die Straße bringen konnte.

Der in Portugal am 24. April 1974 gestartete Putsch begann ebenfalls um 22.55 Uhr, betraf auch nur einen kleinen Teil der Streitkräfte, nahm dann mit zehn Panzern um 3.30 Uhr auf dem Weg nach Lissabon seinen Verlauf, führte erst um 12 Uhr des folgenden Tages zur Festsetzung von Regierungschef Marcelo Caetano und zum Ende seiner Diktatur, weil Zehntausende auf die Straßen strömten und die Soldaten mit Nelken im Gewehrlauf unterstützten.

Nicht geklärt ist indes, ob Erdogan die Reaktionen auf den Putsch vorbereiten konnte. Seit Monaten waberten Putschgerüchte durch das Parlament. Möglich, dass der Geheimdienst die Planungen der Putschisten kannte und Erdogan die Dinge laufen ließ, um daraus Profit zu schlagen. Das würde erklären, warum die Alarmierungen der Polizei binnen Minuten wirkten und erste Festnahmelisten offenbar bereits in den Schubladen lagen.