„Aktionsbüro Mittelrhein“: Neonaziprozess kostet Millionen

Für den Mammutprozess um das rechtsextreme Aktionsbüro Mittelrhein ist der größte Gerichtssaal des Landgerichts Koblenz gerade groß genug. Angeklagte und Anwälte sitzen dort dicht an dicht nebeneinander. Voraussichtlich finden bis Ende 2014 weitere gut 100 Prozesstage statt.
Für den Mammutprozess um das rechtsextreme Aktionsbüro Mittelrhein ist der größte Gerichtssaal des Landgerichts Koblenz gerade groß genug. Angeklagte und Anwälte sitzen dort dicht an dicht nebeneinander. Voraussichtlich finden bis Ende 2014 weitere gut 100 Prozesstage statt. Foto: DPA

Der Mammutprozess um das rechtsextreme Aktionsbüro Mittelrhein ist ein Prozess der Superlative – der größte, längste und teuerste, der seit vielen Jahren am Landgericht Koblenz stattfand: Bis Ende 2014 wird das Verfahren mit 22 Angeklagten und 44 Anwälten voraussichtlich mehr als 200 Verhandlungstage umfassen – und Kosten in Millionenhöhe verursacht haben.

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Von Hartmut Wagner

Wie lange der Prozess dauert, der im August 2012 begann, ist unklar. Viele Prozessbeteiligte gehen davon aus, dass er erst 2015 zu Ende geht. Wie hoch die Kosten für den Mammutprozess sein werden, kann heute niemand genau sagen.

Doch ein hoher einstelliger Millionenbetrag ist wahrscheinlich. Das Gericht geht davon aus, dass allein die Anwaltskosten pro Prozesstag im Schnitt etwa 30.000 Euro betragen (Termingebühren, Abwesenheitsgeld, Fahrt- und Hotelkosten).

Und die Verwaltung berechnet laut dem Landesjustizministerium für Richter und Staatsanwälte im Schnitt 78 Euro Personalvollkosten pro Stunde, für Protokollführer 43 Euro, für Wachtmeister 39 Euro. Legt man nur diese Beträge zugrunde, summieren sich die Kosten bei 200 Prozesstagen auf gut 7 Millionen Euro. Das Gericht will sich zu den Gesamtkosten des Prozesses derzeit nicht äußern.

„Sie können nicht seriös geschätzt werden“, erklärt Gerichtssprecher Alexander Walter. „Hierfür sind zu viele Unwägbarkeiten gegeben.“ Ein Vergleich mit dem Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) am Oberlandesgericht München zeigt aber, dass ein hoher einstelliger Millionenbetrag durchaus realistisch ist. Im NSU-Prozess gibt es fünf Angeklagte, zehn Verteidiger, 86 Nebenkläger und 62 Nebenklageanwälte.

Der Präsident des Oberlandesgerichts, Karl Huber, schätzt die Kosten jedes Verhandlungstages auf 150.000 Euro. Somit entstünden durch den NSU-Prozess, der bis Ende 2014 wohl insgesamt 189 Verhandlungstage haben wird, Kosten von 28 Millionen Euro. Die Staatsanwaltschaft wirft den 22 Angeklagten im Prozess um das Aktionsbüro Mittelrhein vor, Mitglied oder Unterstützer einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein.

Sie sollen für eine neue Hitler- Diktatur gekämpft haben, Antifaschisten verprügelt, Linke ausspioniert und Hakenkreuze an Wände geschmiert haben. Ihre Zentrale war das Braune Haus in Bad Neuenahr-Ahrweiler, eine Art nationalsozialistische Wohngemeinschaft. Seit Jahresbeginn sind alle Angeklagten auf freiem Fuß. Ursprünglich gab es im Prozess 26 Angeklagte, heute sind es noch 22.

Denn im November wurden die ersten vier von ihnen verurteilt. Zwei erhielten eine Bewährungsstrafe, zwei andere einen Schuldspruch, eine Jugendstrafe wurde gegen sie nicht verhängt. Zwei der Urteile sind bereits rechtskräftig. Wer bezahlt die Millionenkosten des Aktionsbüro-Prozesses? Zunächst der Staat, also der Steuerzahler.

Doch Gerichtssprecher Walter ergänzt: „Sollten die Angeklagten verurteilt werden, haben sie nach der Strafprozessordnung auch die Kosten des Verfahrens zu tragen.“ Dann kann der Staat die Millionen von den Verurteilten zurückfordern. Jeder von ihnen haftet theoretisch für alle Prozesskosten. Doch es ist unrealistisch, dass sie jemals dafür aufkommen können.

Anwalt Udo Vetter, der im Prozess den Neonaziaktivisten Sven Skoda (35) verteidigt, sagt deshalb: „Viele Angeklagte sind im Grunde schon heute insolvent.“ Der Mammutprozess ist ein träger Koloss, der nur in winzigen Schritten vorankommt. Es gab bisher 104 Prozesstage, bis Ende des Jahres sind weitere 101 anberaumt. Es wird zwar meist dreimal wöchentlich (Dienstag, Mittwoch, Donnerstag) verhandelt.

Aber an jedem Tag bleiben höchstens viereinhalb Stunden Zeit: Um 10 Uhr beginnt der Prozess, ab 12.30 Uhr ist Mittagspause, um 14 Uhr geht es weiter, um 16.30 Uhr ist Schluss. Und: Zwischendurch gibt es zwei Pausen à 15 Minuten, damit der Ex-Chef (29) des Aktionsbüros sich sammeln und eine Kleinigkeit essen kann.

Da der Prozess gut 70 Beteiligte hat, war fast keine dieser Pausen nach 15 Minuten beendet. Irgendwer fehlte immer. Der lange Prozess belastet viele Angeklagten. „Wer drei Tage die Woche vor Gericht sitzt, findet keine Arbeit“, kritisiert Anwalt Franz Obst. Kollege Sven-Ingo Kölzsch sagt: „Viele Angeklagte gehen zur Schule oder studieren. Sie haben große Probleme.“

Und Anwalt Udo Vetter schimpft: „Der lange Prozess ist für die Angeklagten faktisch eine Existenzvernichtung.“